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Ägypten übt Demokratie

Mahmoud Tawfik9. November 2005

Ägypten wählt in Etappen ein neues Parlament - mit ungewohnten Freiheiten für die Opposition. Erwartet wird trotzdem ein klarer Sieg der Partei von Präsident Mubarak.

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Anhänger von Mubarak machen WahlkampfBild: AP

Die Ägypter wählen am Mittwoch (9.11.) ein neues Parlament. Landesweit bewerben sich mehr als 5000 Kandidaten um 444 Sitze. Die Wahl geht in drei Etappen über die Bühne. Zuerst wählt die Hauptstadt Kairo. In Kairo, in der Landesmitte und zwei abgelegenen Regionen stehen 184 Abgeordnetensitze zur Wahl. Etwa 1500 Politiker bewarben sich um die Posten. Am 20. November folgt in einer zweiten Wahlrunde der Norden, am 1. Dezember der Süden Ägyptens mitsamt der Sinai-Halbinsel. Die endgültigen Ergebnisse könnten erst Mitte Dezember feststehen. Der letzte Wahltag ist der 7. Dezember.

Beobachter erwarten eine große Mehrheit für die regierende Nationaldemokratische Partei (NDP) von Präsident Husni Mubarak. Im alten Parlament stellte die NDP mehr als 85 Prozent der Abgeordneten. Die Parlamentswahl gewinnt auch dadurch Bedeutung, dass eine Partei, die mindestens 23 Sitze gewinnt, bei der nächsten Präsidentenwahl einen Kandidaten stellen darf.

Auto, Stern und Kamel

Ägpyten startet Parlamentswahl
Wahlkampf auf ägyptischBild: AP

Im Vorfeld der Parlamentswahl genoss die Opposition ungewohnte Freiheiten. Das typische Kunterbunt der Kairoer Straßen wird diese Tage bereichert durch tausende von Postern und großen Bannern, die für diesen oder jenen Kandidaten werben, in großen Lettern, inklusive eines kleinen figurativen Symbols für jeden Kandidaten – für die Millionen, die nicht lesen können, für die Wiedererkennung auf dem Stimmzettel: Ein Auto, ein Stern oder eben die beliebtesten, weil volkstümlichen: Halbmond und Kamel. Der Lärm der Hauptstadt ist in diesen Tagen deshalb immer wieder überlagert von fahrenden Werbekolonnen mit großen Lautsprechern oder von eifrigen Rednern auf Kundgebungen, mal mehr, mal weniger gut besucht.

"Nicht einmal in den USA"

Kamal Abu Eita ist auf Stimmenfang im Armenviertel Bulak el Dakrur. Im Publikum sitzen gerade mal ein paar Dutzend Interessierte, obwohl Eita ein bekannter Politiker ist. Er ist eines der Vorzeigegesichter der Oppositionsbewegung Kifaya ("Es Reicht"). Die Menschen in Bulak el Dakrur sind skeptisch. Am Rande der Veranstaltung kommt es zu heftigen Diskussionen: "Soll ich ihnen was sagen", sagt ein junger Mann, "es spielt überhaupt keine Rolle, ob wir wählen gehen oder nicht." Ein zweiter stimmt ihm zu: Die Regierung setze sowieso ihren Kandidaten durch. Ein anderer Mann widerspricht ihm: "Wir müssen dem Kandidaten helfen, der sich um unsere Belange kümmern wird. Und wenn er das dann nicht tut, dann werden wir ihn dafür verantwortlich machen." Damit erntet er Applaus. Ein älterer Mann fügt hinzu: "Ganz ehrlich, wir leben hier in einer Demokratie, wie es sie nicht einmal in den USA gibt."

In einem Land wie Ägypten – mit wenig Erfahrung in Sachen Demokratie – werden die Skeptiker wohl vorerst die Überhand behalten. Zum einen sind die Voraussetzungen für eine freie und faire Wahl bei weitem noch nicht optimal. Abu Eita beschwert sich über erschwerte Arbeitsbedingungen: "Es gibt Hindernisse, die freien Wahlen im Wege stehen: dass zjum Beispiel allein die Regierungspartei den Halbmond und das Kamel als Symbole verwenden darf, oder nehmen sie als Beispiel diese Kundgebung hier, die einzige, für die ich eine Erlaubnis bekam", Kamal Abu Eita. "Und diese Erlaubnis bekam ich erst heute, und zwar erst um vier Uhr nachmittags."

Zersplittert, zerstritten, gekauft

Zum zweiten ist die Opposition zersplittert und zerstritten. Zum dritten tun sich die Oppositionsparteien schwer damit, ihren potenziellen Wählern eine Lösung für das Problem zu präsentieren, das diese am meisten beschäftigt: die wirtschaftliche Misere. Stattdessen begnügt sich die Opposition damit, die finanziellen Vergehen der Regierungspartei anzuprangern. Weil die ägyptische Opposition aber eben nicht auf den milliardenschweren Töpfen und Geheimkonten der ägyptischen Regierung sitzt, bleibt Kandidaten wie Eita der Weg ins Parlament wohl vorerst versperrt. Denn in Bulak el Dakrur wie anderswo wird ein großer Teil der Stimmen nach wie vor schlicht gekauft.

Eine Ausnahme innerhalb der Opposition bilden die Islamisten. Ihre Partei – die Moslem-Brüder - ist in Ägypten nach wie vor verboten. Seit Jahren ziehen sie jedoch als "Unabhängige" ins Parlament – zuletzt immerhin mit etwas mehr als einem Dutzend Abgeordneten. Das politische Klima in Ägypten und der Zickzackkurs der Regierung Mubarak in Sachen Demokratie ermöglichen den Moslem-Brüdern zurzeit neue Freiheiten, die diese zur Gänze ausschöpfen. Funktionäre der größten Oppositionsgruppe, der islamistischen Moslembrüderschaft, wurden rechtzeitig zum Wahlkampf aus den Gefängnissen entlassen. Siegessicher sprechen sie von einer Vervielfachung ihrer Abgeordnetenzahl. Ihre Kandidaten bekennen sich offen zur Parteimitgliedschaft. Und sie skandieren auf Kundgebungen lautstark ihre Hymnen, in denen von Schwerterkampf und Scharia geschwärmt wird.

Populäre Islamisten

Und nicht zuletzt verdanken die Moslem-Brüder ihre Popularität eben jenem Kurs, der klar an weit verbreitete religiöse Sentiments anknüpft - Tendenz steigend. Ihr Motto: Al-Islam huwa al-Hall - der Islam ist die Lösung: "Die Ägypter wollen die Veränderung. Und das Motto 'Der Islam ist die Lösung' spricht ihre Herzen an", sagt der Bezirkskandidat Hazem Farouk.

Gute Organisationsstrukturen und robuste Finanzen halfen den Moslem-Brüdern traditionsgemäß dabei, die meisten Oppositionskandidaten aus anderen Lagern zu besiegen – und auch mal einen Regierungskandidaten.