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Wie geht es weiter in Ägypten?

31. Mai 2011

Wird die Revolutionsbewegung in Ägypten ihr Ziel erreichen und einen offenen, demokratischen Rechtsstaat schaffen können? Das fragen sich viele Beobachter im Ausland und auch Aktivisten im Land am Nil selbst.

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Ein Demonstrant auf dem Tahrirplatz schwenkt eine ägyptische Fahne (Bild: dpa)
Nach der Revolution muss jetzt der Wandel kommenBild: picture-alliance/dpa

Ein Vierteljahr ist es her, dass Ägyptens Staatschef Hosni Mubarak gestürzt wurde. Unvergessen sind die Bilder der jubelnden Menschen, die auf dem Tahrir-Platz in Kairo das Ende der Diktatur feierten. Wochenlang hatten sie gegen Mubarak demonstriert; Freiheit, Gerechtigkeit und soziale Teilhabe gefordert. Inzwischen aber ist Ernüchterung eingekehrt, sagt Wolfgang Mayer, Vertreter der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung in Kairo. Die großen Erwartungen an das Ägypten nach der Revolution hätten sich bislang nicht erfüllt und die Stimmung habe sich in großen Teilen der Bevölkerung verändert. "Man ist misstrauisch geworden, man ist deprimiert und man fragt sich, was hat uns die Revolution gebracht, hat sie sich überhaupt gelohnt?", sagt Mayer.

Verunsicherung am Nil

Der Chef des Militärrats Hussein Tantawi in Kairo (Bild: dpa)
Alte Garde: Hussein TantawiBild: picture alliance / dpa

Mayer ist zu einem kurzen Besuch nach Berlin gekommen, um über die Lage im Land am Nil zu berichten. Sein Eindruck ist, dass die Menschen drei Monate nach dem Sturz des Regimes tief verunsichert sind. Die Präsidentenfamilie und ihre Getreuen seien zwar verhaftet worden und gegen Mubarak und seine Söhne sei inzwischen Anklage erhoben worden. Sonst aber habe sich an den Strukturen nicht viel verändert. Die alte Verwaltung sei noch immer im Amt, die Polizei inzwischen auf die Straßen zurückgekehrt, Schulen und Universitäten harrten noch der Reformen. Unklar sei auch, was der herrschende Militärrat eigentlich anstrebe. Sicher sei nur, dass er die bestehende innere Struktur des Staates weitestgehend erhalten wolle, dass er die soziale Spaltung der Gesellschaft überwinden und die religiöse Spaltung verhindern wolle. Vor allem aber verlange das Militär ein Ende der Demonstrationen.

Demonstrationen, Protest, Kundgebungen

Demonstrationen von Kopten und Muslimen im Shobra Disktirkt in Kairo. Demonstranten halten Koran und Holzkreuze in die Höhe. Foto: DPA
Demonstrationen von Kopten und Muslimen in KairoBild: picture alliance/dpa

Denn nach wie vor gehen die Menschen in Kairo an jedem Freitag auf den Tahrirplatz zu Demonstrationen. Tagelang kampierten außerdem Kopten vor dem Gebäude des staatlichen Fernsehens, um ihren Forderungen nach Gleichberechtigung und Schutz Nachdruck zu verleihen. Hinzu kommen Solidaritätskundgebungen mit den Demonstranten in Spanien, Proteste gegen die israelische Besatzung und Streiks gegen schlechte Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne.

Die prekäre Wirtschaftslage stelle eine besonders große Gefahr dar, so Wolfgang Mayer. Sie sei durch den Einbruch im Tourismus nach Beginn der Unruhen noch einmal verschärft worden. Die Zahlen, die der neue Finanzminister Samir Radwan vorgelegt habe, sprächen eine eindeutige Sprache. Demnach sind 66 Prozent der Ägypter arbeitslos, vor allem den jungen Menschen bietet sich keine Perspektive. Der Mindestlohn liegt bei 400 Pfund im Monat, ungefähr 45 Euro. Um den Lebensunterhalt einer sechsköpfigen Familie zu decken, sind aber einer Studie zufolge mindestens 1200 Pfund, ungefähr 150 Euro, notwendig.

Hunger und Armut sind die Hauptfeinde

Eine ägyptische arbeiterin näht Kleider an einer Nähmaschine, Foto: AP
Nur wenige Menschen in Ägypten haben ArbeitBild: AP

Auch Fouad Riad, Chef des Nationalen Ägyptischen Menschenrechtsrats, sieht in der sozialen Ungleichheit die größte Gefahr für die Zukunft seines Landes. "Die Hauptfeinde sind Armut und Hunger. Wenn die Menschen Hunger haben, sind sie zu allem bereit. Das könnte zu einer neuen Revolution und zu einer Katastrophe führen." Vorderstes Ziel müsse es daher sein, so schnell wie möglich die Wirtschaft anzukurbeln und Ägypten zu entwickeln. Dafür hofft Riad auf Unterstützung aus Europa. Nur ein Entwicklungsschub könne sein Land aus der derzeitigen Misere herausbringen und politisch stabilisieren, erklärt er. Riad, der Chef des nationalen ägyptischen Menschenrechtsrates ist und im Rahmen einer Konferenz zum Menschenrechtsdialog mit der arabischen Welt in Berlin war, stützt sich auf einen Stock. Er hatte sich bei den Demonstrationen in Kairo ein Bein gebrochen, das noch nicht vollkommen geheilt ist. Seine Hoffnung richtet er auf Deutschland. Als junger Mann hat er in Tübingen studiert und den Wiederaufbau nach dem Krieg miterlebt. Er habe gesehen, wie seine Kommilitonen und Freunde danach strebten, in der jungen Bundesrepublik Gleichheit und Menschenrechte durchzusetzen. "Ich habe Deutschland immer als ein Beispiel für Perfektion angesehen", sagt er und fügt hinzu: "Das ist es, wofür wir jetzt in Ägypten kämpfen."

"Kein Frieden ohne Gerechtigkeit"

Früher war Riad Richter am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag und nahm am Kriegsverbrechertribunal gegen das ehemalige Jugoslawien teil. Nun kämpft er in seiner Heimat für die Einhaltung der Menschenrechte und für Gerechtigkeit. Für ihn steht fest: "Die Verbrechen müssen vor Gericht. Es gibt keinen Frieden ohne Gerechtigkeit." In seinem Amt als Richter habe er selbst erlebt, dass die Opfer nach Gerechtigkeit verlangten. Seiner Meinung nach dürfe es für schwere Verbrechen gegen die Menschenrechte keine Verjährung und keine Gnade geben. Die Gerechtigkeit aber sollte in fairer Weise geübt werden.

Und auch dabei kann Europa helfen, sagt Wolfgang Mayer von der Hanns-Seidel-Stiftung in Kairo. Europa müsse dem Land am Nil bei seinem Weg hin zu Rechtsstaatlichkeit und Demokratie helfen, zum Beispiel mit der Öffnung seines Agrarmarktes und mit mehr Investitionen. Leider habe Europa im Nahen Osten durch seinen Umgang mit Palästina viel an Glaubwürdigkeit verspielt. Für die weitere Entwicklung werde nun der kommende September entscheidend sein, denn dann wollen die Ägypter ihr neues Parlament wählen und die Palästinenser ihren eigenen Staat ausrufen.

Autorin: Bettina Marx

Redaktion: Doris Krannich