Ägyptens Justiz greift ein
15. Juni 2012Das ägyptische Verfassungsgericht hat mit zwei überraschenden Entscheidungen tief in das politische Geschehen des Landes eingegriffen. Die Richter erklärten zum einen die Parlamentswahl für ungültig, zum anderen kassierten sie ein Gesetz, das ranghohe Parteigänger des gestürzten Machthabers Hosni Mubarak von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen hatte.
Mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht vereinbar
Ein solches Gesetz verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, urteilten die Richter. Auch Vertraute des früheren Präsidenten Mubarak müssten das Recht zur Teilnahme am öffentlichen Leben haben. Die Verfassungsrichter in Kairo ließen damit auch den letzten von Ex-Machthaber Mubarak eingesetzten Regierungschef Ahmed Schafik als Kandidaten für das Präsidentenamt zu.
Damit kann Schafik am Wochenende gegen den Kandidaten der im Parlament dominierenden Muslimbrüder, Mohamed Morsi, antreten. Der neue Präsident soll sein Amt am 1. Juli übernehmen und damit den demokratischen Wandel krönen, denn mit seiner Amtseinführung soll zugleich die politische Gewalt in zivile Hände übergehen. Gegenwärtig regiert ein Militärrat das arabische Land.
Lässt sich der politische Fahrplan noch einhalten ?
Ob dieser Zeitplan und die Einsetzung einer Zivilregierung ab Juli tatsächlich auch realisiert werden können, ist nach dem Urteil der Verfassungsrichter nun aber fraglich geworden. Das Staatsfernsehen jedenfalls meldet, das Urteil erzwinge eine Neuwahl des Parlaments. Ähnlich äußerten sich führende Juristen.
In einer ersten Reaktion nannte der frühere Mubarak-Vertraute und jetzige Präsidentschaftskandidat Schafik das Urteil der Verfassungsrichter historisch. Die Zeit der politischen Ausgrenzung sei jetzt vorbei, sagte er vor jubelnden Anhängern. Die Muslimbrüder dagegen erklärten, das Land begebe sich in einen dunklen Tunnel, sollte das Parlament aufgelöst werden. Der neue Präsident werde weder eine Verfassung noch ein Parlament vorfinden. Der liberale Politiker und Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei warnte sogar vor einem Abgleiten Ägyptens in eine Diktatur.
Das Parlament in Kairo war erst Anfang des Jahres gewählt worden. Aus der ersten freien Volksabstimmung seit dem Sturz Mubaraks vor mehr als einem Jahr waren islamistische Parteien siegreich hervorgegangen.
haz/gri (rtr, dpa)