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Ägyptens Revolutionäre

18. Juli 2011

Wegen der anhaltenden Proteste hat der ägyptische Regierungschef Scharaf seine angekündigte Kabinettsumbildung eingeleitet. Doch die Menschen auf dem Tahrir-Platz fordern mehr als nur den Rücktritt einiger Minister.

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'Gegen den Militärrat' steht auf dem Plakat eines Kairoer Demonstranten (Foto: DPA)
Demonstranten forden die Auflösung des MilitärratsBild: picture alliance/dpa

Es ist drückend heiß auf dem Tahrir-Platz im Herzen Kairos. Unbarmherzig brennt die Sonne auf das Zeltlager herab, das die Demonstranten dort vor zehn Tagen errichtet haben. Kleine und große Zelte stehen kunterbunt durcheinander, dazwischen sind schattenspendende weiße Planen gespannt. Eine Familie aus Oberägypten hat sich zum Ausruhen niedergelassen, daneben schneidet ein Friseur die Haare der Revolutionäre. Junge Leute verteilen Wasser und Flugblätter, und mitten im Trubel stehen vor ihren Kameras die Fernsehjournalisten der großen arabischen Networks und die zahlreichen kleinen ägyptischen Sender. Auf einer Bühne ruft ein junger Mann Parolen, die von der Menge skandierend wiederholt werden.

Forderungen nicht erfüllt

Zelte der Demonstranten auf dem Tahrir-Platz (Foto: DW/B.Marx)
Sie werden nicht gehen, ehe ihre Forderungen erfüllt wurdenBild: DW/B.Marx

In einem großen weißen Zelt sitzen Hadir, Hiba, Islam und ihre Freunde. Junge Leute, die sich seit einer Woche an den Demonstrationen gegen den Militärrat beteiligen. "Wir bleiben so lange hier, bis unsere Forderungen erfüllt sind", sagt Hadir, eine junge Frau mit einem ernsten Gesicht unter einem blauen Kopftuch. "Unsere Wünsche sind die Wünsche der Revolution der Befreiung, die am 25. Januar begonnen hat. Bisher sind nur zwei unserer Forderungen erfüllt worden: der Rücktritt Mubaraks und die Auflösung des Parlaments", sagt sie.

Auch, dass Ministerpräsident Essam Scharaf derzeit sein Kabinett umbildet und Minister entlassen hat, stößt bei den Dauerdemonstranten auf wenig positives Echo. Die restlichen Forderungen seien immer noch nicht erfüllt worden, sagt Hadir. Neben der Bestrafung von Polizisten, die für den Tod von zahlreichen Demonstranten verantwortlich sind, fordert die Opposition, die früheren Machthaber endlich vor Gericht zu stellen, den Wohlstand besser zu verteilen und Zivilisten nicht länger vor Militärtribunale zu stellen.

Parlamentswahlen oder neue Verfassung?

Die anderen jungen Leute im Zelt mischen sich aufgeregt in das Gespräch. Sie alle wollen, dass das Militär die Macht abgibt, die es nach dem Sturz Mubaraks übernommen hat. Die Generäle, sagen sie, spalten das Volk, um ihre Macht zu festigen. In einem vorbreiteten Statement, das General Mohsen al Fangari einige Tage zuvor vorgelesen hatte, hatte er die Demonstranten gewarnt, die öffentliche Ordnung nicht zu stören. Gleichzeitig wies er auch die Forderung zurück, die Militärtribunale abzuschaffen. Fangari sagte außerdem, die militärische Führung, die nach dem Rücktritt Mubaraks die Macht übernommen hatte, sei nicht bereit, sich jetzt aus der Führung des Landes zurückzuziehen. Der Militärrat halte an dem Plan fest, erst Parlamentswahlen abzuhalten, dann eine neue Verfassung zu schaffen und danach Präsidentschaftswahlen anzusetzen.

Anti-Militärrat Plakat auf dem Tahrir-Platz (Foto: DW/B.Marx)
Die Menschen demonstrieren friedlich - mit Herz und SeeleBild: DW/B.Marx

Dabei forderten die meisten Menschenrechtsorganisationen einen umgekehrten Vorgang, so wie in Tunesien, sagt Bahey al din-Hassan vom "Cairo Institute for Human Rights Studies": "Unser Interesse ist es, mit der Verfassung zu beginnen, denn die Verfassung würde eine rote Linie für das Parlament und den neu gewählten Präsidenten vorgeben." Hassan plädiert, dafür zunächst eine verfassungsgebende Versammlung einzuberufen, die dann auch über das künftige Wahlrecht entscheiden soll. Die Verschiebung der Wahlen von September auf November reiche nicht aus.


Tantawi soll gehen

Egal, wann die Wahlen stattfinden werden, die Demonstranten fordern schon jetzt den sofortigen Rücktritt des Militärrats unter General Tantawi. "Tantawi hat Mubarak jahrzehntelang treu gedient", empört sich die Demonstrantin Hadir. "Soll etwa der Helfer des Diebes den Dieb beurteilen?"

Auch die Entscheidung des Innenministeriums, rund 600 Polizeioffiziere aus dem Dienst zu entlassen, besänftigt die jungen Leute nicht. Die wären ja ohnehin demnächst in Rente gegangen, sagen sie. Dass sie nun früher in den Ruhestand geschickt würden, reiche nicht aus. Sie sollten vor Gericht gestellt und für ihre Taten bestraft werden, unterstreicht Hiba: "Alle, die in den letzten 30 Jahren korrupt waren, müssen vor Gericht gestellt werden. Wir möchten ein ziviles Land und kein Polizeistaat sein."

T-Shirt mit dem Aufdruck: 25. Januar, Tahrir Platz, Freiheit und Facebook (Foto: DW/B.Marx)
Am 25. Januar hat alles begonnen...Bild: DW/B.Marx

Die Menschen auf dem Tahrir-Platz fordern also ein Ende der Militärherrschaft. Und damit seien sie nicht allein in der arabischen Welt, sagt der jordanische Publizist Rami Khoury, Direktor eines Forschungsinstituts in Beirut im Fernsehsender Al-Dschasira: "Das ägyptische Militär ist eigentlich seit 1952 pausenlos an der Macht. Das gilt für die gesamte arabische Welt. Es gibt überall in dieser Region Unzufriedenheit, und sie hat viele Gründe. Einer der Gründe ist die lang anhaltende Herrschaft von politischen Eliten, die durch das Militär gestützt werden." Die Menschen hätten die Nase voll davon.

Wie geht es weiter?

Die jungen Revolutionäre vom Tahrir-Platz sind verbittert. Mit dem Mut der Verzweiflung haben sie vor fünf Monaten gegen Mubarak revoltiert, haben Angriffe und Verfolgungen in Kauf genommen. Rund 1000 Demonstranten wurden damals getötet, Tausende wurden verletzt, verhaftet, misshandelt und gefoltert. Und auch nach der Revolution sind viele festgenommen worden. Haben sie eigentlich keine Angst, dass die Sicherheitskräfte gegen sie vorgehen werden? Islam zeigt auf seinen Oberkörper und auf seinen Mund und sagt: "Hier ist meine Brust, und hier ist meine Zunge. Mehr habe ich nicht. Ich habe keine Waffen."

Mit bloßem Oberkörper werde er sich den Sicherheitskräften entgegenstellen, denn er habe nichts zu verlieren. Auch die Mädchen lassen sich nicht mehr einschüchtern. Sie werden wütend, wenn sie daran denken, was die Sicherheitskräfte nach dem Sturz Mubaraks festgenommenen Frauen angetan haben. Nach ihrer Verhaftung wurden sie frauenärztlich untersucht, um festzustellen, ob sie noch Jungfrauen seien. Wenn nicht, dann wurden sie als Prostituierte abgestempelt. Hadir hat Tränen in den Augen, als sie davon berichtet.

Als die Sonne untergeht und eine kleine Brise aufkommt, füllt sich der Tahrir-Platz. Immer mehr Demonstranten bleiben inzwischen auch über Nacht im Zeltdorf. Die Revolution in Ägypten ist noch lange nicht vorbei.

Autorinnen: Bettina Marx/Diana Hodali
Redaktion: Daniel Scheschkewitz