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Ärger im Land der Freiheit

8. Mai 2004

Das Versagen der USA im Irak gefährdet das Selbstbild der Amerikaner von ihrem Land als "Stadt auf dem Hügel", die der Welt ein leuchtendes Vorbild sein will, meint der Amerikanist Thomas Greven.

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Die politische Landschaft der USA ist im Schicksalsjahr 2004 so extrem polarisiert, dass manche Beobachter gar von Tribalisierung sprechen. Republikaner und Demokraten leben in so verschiedenen Welten, dass sie sich nicht nur nicht mehr verstehen, sondern wie verfeindete Stämme auch nicht länger versuchen, in ziviler Form miteinander zu kommunizieren. Dies ist eine feuilletonistische Zuspitzung, denn faktisch gibt es in einigen Politikbereichen weit gehende Einigkeit und überdies müssen amerikanische Parteien grundsätzlich sehr inklusiv sein, um Wahlen gewinnen zu können. Aber ein wahrer Kern bleibt doch.

Verschiedene Welten

Hinter den von privaten Sicherheitsdiensten bewachten Mauern der gated communities, in denen private Entsorger den Müll einsammeln, wohnen wenige Wähler der Demokraten, sondern eher Menschen, die sich am liebsten völlig von der sie umgebenden gesamt-amerikanischen Gesellschaft abgrenzen möchten. Das bedeutet nicht, dass sie sich jeglicher Gemeinschaft entziehen wollen, vielmehr akzeptieren sie sogar einen merkwürdigen "Sozialismus für die Reichen", der ihnen gelegentlich en detail vorschreibt, wie sie ihr Haus zu streichen und ihren Garten zu bepflanzen haben. Sie sind oft aktiv in ihren zumeist protestantischen Kirchen. Aber sie wollen sich eben aussuchen können, wer zu ihrer Gemeinschaft zählt.

Dagegen zählen diejenigen, gegen die diese Abgrenzung vor allem stattfindet, nämlich die in den innerstädtischen Gettos lebenden Schwarzen wie schwarze Amerikaner insgesamt zu den eindeutigsten Unterstützern der Demokraten (zu mehr als 90%). Allerdings ist ihre Wahlbeteiligung oft niedrig. Die Prediger in den schwarzen Kirchen werden ihre Gemeinden im Wahlkampf an das Menetekel von Florida 2000 erinnern, als die Stimmen zahlreicher Schwarzer nicht gezählt wurden bzw. sie überhaupt an der Stimmabgabe gehindert wurden – durch eine von der Republikanischen Innenministerin Floridas beauftragte private Firma, die fehlerhafte "bereinigte" Wählerlisten erstellte, die dann von überlasteten Behörden nicht überprüft wurden. Doch es ist unklar, ob vier Jahre Republikanischer Politik und die schleppenden Reformen der Wahlauszählungsverfahren nicht doch eher ihre Wahlmüdigkeit verstärken werden. Daran können möglicherweise auch der erste schwarze Außenminister und die erste schwarze Sicherheitsberaterin (dazu noch die erste Frau in diesem Amt) nichts ändern, denn es fällt vor dem Hintergrund des Irak-Krieges – den die schwarzen Amerikaner mit großer Mehrheit gegen den pseudo-patriotischen Mehrheitstrend abgelehnt haben – schwer, stolz auf diese Amtsträger zu sein.

Dass der Markt, dass privates Unternehmertum stets bessere und billigere Lösungen als der Staat produzieren, ist seit langem Credo vor allem der Republikanischen Partei. Kein Bereich der Gesellschaft wird davon ausgenommen und auch nicht die Politik. Privat finanzierte und dementsprechend interessengeleitete Think Tanks schließen z.B. zunehmend die inhaltlichen Lücken, die unterfinanzierte Regierungsbehörden und uninteressierte Parteien lassen. Ganz geglaubt haben die Amerikaner das Mantra von der Überlegenheit des Marktes und des Unternehmertums nie, denn sie wissen von Selbstbedienungsläden wie Enron, von verseuchtem Rindfleisch in Hamburgern, von Florida 2000, und sie haben alle schon einmal ein Microsoft-Produkt benutzt. Ohne effektive Kontrolle durch gewählte Regierungsbehörden setzen sich eben nicht notwendigerweise die Besten durch, sondern manchmal nur die Skrupellosesten und ohnehin schon Mächtigen. Doch erst jetzt kommt die Privatisierung der Politik möglicherweise an ihre Grenze, weil sie die amerikanische Außenpolitik in einer beispiellosen Weise diskreditiert.

Öl und Folter

Amerikaner tun sich schwer mit der Welt. Ihre Geschichte beginnt mit einem Auserwähltheits- und Überlegenheitsgefühl gegenüber dem kriegerischen und feudalen Europa. Amerika sollte als "Stadt auf dem Berg" der Welt Vorbild in Sachen Freiheit, Menschenrechte, später auch Demokratie, sein. Einmischen wollte man sich lieber nicht. Und wenn doch, dann muss es um ganz Grundsätzliches gehen, um einen "Krieg, um alle Kriege zu beenden", "um die Welt sicher für die Demokratie zu machen", wie Präsident Wilson den Kriegseintritt der USA in den ersten Weltkrieg begründete, mit dessen Ablehnung er kurz vorher noch seine Wiederwahl gesichert hatte. Selbstverständlich wissen die Amerikaner, dass es im Irak auch um den Zugang zum Öl geht, um Geostrategie, um Macht. Aber sie wollen glauben, dass es eben auch darum geht, unterdrückten Menschen Freiheit, Menschenrechte und Demokratie zu bringen. Jetzt kommen die rücksichtslose Bereicherung amerikanischer Firmen, denen die Regierung die Gestaltung des Nachkriegsiraks teilweise überlassen hat, und die skandalösen Folterungen irakischer Gefangener, ausgeübt unter anderem von privaten Sicherheitsfirmen, die offensichtlich in einer perfiden Form der Arbeitsteilung die Drecksarbeit übernehmen sollen, ans Licht. Dies schockt die Amerikaner auch deshalb, weil ihr manichäisches Weltbild ins Wanken gerät, jedenfalls der Teil, wo man selber als ausschließlich Guter vorkommt. All dies ist nicht neu; ihre Unschuld hat die amerikanische Außenpolitik nicht erst jetzt verloren, wenn sie sie je hatte. Aber die Diskussion um eine mögliche Wiederholung des "Vietnam-Syndroms" im Irak ist merkwürdig beschränkt auf die Konsequenzen des Irak-Engagements für amerikanische Soldaten und die Folgewirkungen auf die außenpolitischen Freiheiten des Präsidenten. Viel wichtiger ist wohl, dass jede Generation wieder neu entdecken muss, dass Amerika vielleicht doch nicht so grundverschieden vom historischen Europa und von anderen "normalen" Staaten ist.

Dr. Thomas Greven ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin. Er arbeitet zurzeit an einem Buch über die Republikanische Partei in den USA.