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Ölmultis "verstehen sich quasi blind"

26. Mai 2011

Ohne direkte Absprachen setzen die "Großen Fünf" auf dem Tankstellenmarkt ihre Preise gemeinsam fest, kritisiert das Bundeskartellamt. Das mache den Sprit unnötig teuer. Es fordert daher die Politik zum Gegensteuern auf.

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Eine Hand greift zum Tanken nach einer Zapfpistole (Foto: DW)
Oligopol: Deutschlands Autofahrer haben wenig Auswahl

Die zentralen Inhalte waren schon am Wochenende durchgesickert, doch am Donnerstag (26.05.2011) stellte das Bundeskartellamt seine "Sektoruntersuchung Kraftstoffe" ausführlich vor. Von Januar 2007 bis Ende Juni 2010 haben die Wettbewerbshüter an 407 Tankstellen in der Bundesrepublik alle Preisänderungen ausgewertet. Was sie auf mehr als 300 Seiten herausgefunden haben, hätte ihnen jeder Autofahrer auch vorher sagen können: "Die fünf großen Tankstellenbetreiber in Deutschland machen sich gegenseitig keinen wesentlichen Wettbewerb."

"Stillschweigendes Verständnis"

Fahnen wehen in Bochum vor der Firmenzentrale des Mineralölkonzerns BP/Aral. (Foto: dpa)
Gewaltige Marktmacht: Firmenzentrale von BP/Aral in BochumBild: pIcture-alliance/ dpa

Zwar sprechen die führenden Mineralölunternehmen ihre Preise nicht ab - aber sie können stillschweigend ein höheres Preisniveau als nötig durchsetzen. "Die Unternehmen verstehen sich ohne Worte", sagte Kartellamtspräsident Andreas Mundt in Bonn. Die Wettbewerbsbehörde geht davon aus, dass die großen Konzerne Aral/BP, Shell, Jet, Esso und Total ein marktbeherrschendes Oligopol auf den Tankstellenmärkten in Deutschland bilden. Ein Oligopol zeichnet sich dadurch aus, dass vielen Nachfragern wenige Anbieter gegenüberstehen. Etwa 65 Prozent ihres Sprits tanken die mehr als 50 Millionen deutschen Autofahrer demnach an den Stationen der "Großen Fünf". Einen Wettbewerb untereinander oder schlagkräftige Wettbewerber von außen gebe es nicht, sagte Mundt.

Diese Marktstruktur ermögliche es den Mineralkonzernen, ihre Preise an der Tankstelle nahezu einheitlich zu bewegen. Es ergäben sich präzise Preissetzungsmuster, heißt es in der Studie des Kartellamts. In nahezu allen Fällen seien Aral oder Shell Vorreiter bei flächendeckenden Preiserhöhungen. Exakt drei Stunden später passe das jeweils andere Unternehmen seinen Preis an. Die übrigen Oligopolisten folgten ebenfalls in festen Zeitkorridoren. Verbotene Preisabsprache bräuchten die Unternehmen gar nicht, klagte der Kartellamtspräsident, "sie verstehen sich quasi blind".

"Spielregeln ändern"

Bei diesen Preisbewegungen kommen die Preissenkungen eindeutig zu kurz: Von "deutlich kleineren Schritten" im Vergleich zu den Erhöhungen sprechen die Wettbewerbshüter. Wenn der Sprit etwas billiger werde, diene das eigentlich nur dazu, den "optimalen Preis" zu finden. Und das ist im Zweifel immer der höhere. Einschreiten kann Mundt gegen diese Praxis nicht - deshalb fordert er Schützenhilfe durch die Politik.

Der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt (Foto: picture-alliance)
Schiedsrichter, der nicht viel tun kann: Kartellamtschef MundtBild: picture-alliance

Damit die Macht des Oligopols nicht weiter anwachse, werde die Kartellbehörde eine "äußerst harte Linie der Fusionskontrolle" verfolgen, kündigte Mundt an. Gegen einzelne Wettbewerber würden Verfahren wegen Rechtsverstößen eingeleitet. Um das für die Konzerne so effektive System der Preisbeobachtung zu stören, müsse allerdings der Gesetzgeber tätig werden. Die Kartellwächter hätten das Gefühl, Schiedsrichter in einem Spiel zu sein, bei dem sie aber nicht viel tun könnten, sagte Mundt. "Vielleicht sollten die Spielregeln ein wenig geändert werden."

Unruhe in das Oligopol bringen

Wie diese geänderten Regeln aussehen könnten, zeige ein Beispiel aus Westaustralien. Dort müssten jegliche Kraftstoffpreise am Vortag angekündigt werden, berichtete Mundt. Sie seien dann ab 6 Uhr morgens für 24 Stunden gültig. Für solche oder ähnliche Modelle zur Begrenzung der Preisgestaltung seien aber gesetzliche Grundlagen erforderlich.

Der neue Bundeswirtschaftsminister Phillip Rösler kündigte eine Prüfung an: Wettbewerb könne nur bei ausreichend Transparenz funktionieren, sagte er der "Bild"-Zeitung. "Wir werden deswegen prüfen, ob es sinnvoll ist, dass Preise täglich nur einmal geändert werden dürfen." Zugleich kündigte er an, die Marktmacht der freien Tankstellen zu stärken. Die beste Maßnahme gegen ein Oligopol bildende Ölkonzerne seien viele kleine freie Tankstellen.

Für eine 24-Stunden-Regelung sprach sich auch SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber aus. Der Bundeswirtschaftsminister könne die Preise von heute auf morgen durch eine Verordnung regulieren, sagte er. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle forderte, dem Bundeskartellamt die Entflechtung der Konzerne im Interesse der Verbraucher zu ermöglichen.

Die Multis sehen sich bestätigt

Klaus Picard, Hauptgeschäftsführer des Mineralölwirtschaftsverbands (MWV), steht neben dem Logo seines Verbands (Foto: dpa)
MWV-Chef Picard: Der Markt ist sehr transparentBild: picture-alliance/dpa

Die Mineralöl-Konzerne verstehen die ganze Aufregung nicht: Das Kartellamt habe "offiziell bestätigt", dass es keine Preisabsprache gebe, erklärte der Mineralölwirtschaftsverband (MWV). Der Markt hierzulande sei "sehr transparent", sagte der MWV-Chef Klaus Picard. Für die häufigen Preiserhöhungen und -senkungen machte Picard die deutschen Kunden verantwortlich, die schon für einen um einen Cent günstigeren Liter Benzin kilometerweite Umwege auf sich nähmen: "Jeder Tankstellen-Pächter weiß, dass wenn er einen Cent günstiger ist als der Nachbar, dann zieht er den gesamten Umsatz, das gesamte Geschäft auf sich." Außerdem zählten die Kraftstoffpreise in Deutschland "vor Steuern und Abgaben zu den günstigsten in Europa."

Autor: Rolf Breuch (afp, dapd, dpa, rtr)
Redaktion: Martin Schrader