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"Es kann nicht jeder bleiben"

Nina Werkhäuser22. November 2015

Auf ihrem Parteitag haben sich die Grünen sich gegen eine weitere Verschärfung des Asylrechts ausgesprochen. Im DW-Interview erklärt Parteichef Cem Özdemir, warum trotzdem nicht jeder Asylbewerber bleiben kann.

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Cem Özdemir, Parteivorsitzender der Grünen, Foto: dpa
Bild: picture-alliance/dpa/U. Deck

Deutsche Welle: Herr Özdemir, Sie sind auf dem Parteitag in Halle für zwei weitere Jahre zum Vorsitzenden der Grünen gewählt worden - mit einer größeren Zustimmung als bei der letzten Wahl. Welche Ziele haben Sie für Ihre Partei?

Cem Özdemir: Ich freue mich natürlich über mein Ergebnis. Das ist aber nicht nur ein Ergebnis für mich persönlich, sondern für den gesamten Bundesvorstand. Der Bundesvorstand hat hier auf dem Parteitag keine einzige Abstimmung verloren. Jeder Antrag, der unseren Antrag zur Flüchtlingspolitik verändern wollte, ist abgelehnt worden. Das spricht schon dafür, dass wir großes Vertrauen haben.

Vergleichen Sie das mal mit dem parallel stattfindenden Parteitag der CSU, wo die Bundeskanzlerin auf eine sehr unangenehme Art und Weise vorgeführt wurde. Man hatte schon das Gefühl, dass Parteichef Host Seehofer und die CSU ihre gute Kinderstube vergessen haben. Es kann nicht sein, dass CDU und CSU sich in dieser Krisensituation zerlegen. Die müssen bitteschön anpacken.

Dennoch gab es auf dem Parteitag einige Kontroversen über die Flüchtlingspolitik. Etwa über den Satz im Antrag des Bundesvorstands, dass nicht alle Asylbewerber in Deutschland bleiben können. Vertreten die Grünen bei diesem Thema eine klare Linie?

Wir sagen ganz klar: Deutschland bekennt sich zu seiner Verantwortung, Flüchtlinge aufzunehmen. Wir sagen aber auch: Die Leute, die aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen kommen, haben gute Gründe, aber Asyl ist der falsche Weg. Da brauchen wir einen anderen Weg über ein Einwanderungsgesetz. Und wir sagen auch: Es kann nicht jeder bleiben.

Die Regierungsparteien diskutieren derzeit über ein Gesetz, das das Asylrecht weiter verschärfen soll. Werden die Grünen, die ja in neun Bundesländern mitregieren, das im Bundesrat mittragen?

Ich wäre schon sehr froh, wenn die Regierung jetzt mal ihren Job macht. Sie soll gefälligst dafür sorgen, dass die Verfahren beschleunigt werden und dass die Leute an den europäischen Grenzen mal wieder erfasst werden, so dass wir wissen, wer nach Europa kommt. Sie soll dafür sorgen, dass wir innerhalb von Deutschland wissen, wer im Land ist und wie viele Leute im Land sind. Wir haben dazu eine Anfrage im Bundestag gestellt, und der Bundesinnenminister ist nicht in der Lage, die Frage zu beantworten. Das alles kann nicht in den Ländern entschieden werden. Dazu brauchen wir die Bundesregierung, und die muss jetzt endlich mal ihre Probleme lösen.

Cem Özdemir während einer Rede auf dem Grünen-Parteitag in Halle, Foto: dpa
Wurde von den Grünen für weitere zwei Jahre zum Parteivorsitzenden gewählt: Der 49-jährige Cem ÖzdemirBild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Die Bundesregierung erwägt, den Familiennachzug für Flüchtlinge zu begrenzen. Was halten Sie von diesen Plänen?

Was die Familienzusammenführung angeht, so ist es doch spannend, dass sich das mal wieder gegen die Frauen richtet. In dem Sinne, dass die Frauen gefälligst in den Lagern bleiben sollen - in Syrien oder den Nachbarländern - und die Männer hier sind und ihre Frauen und Kinder nicht nachziehen lassen sollen. Ganz abgesehen davon ist das eine virtuelle Debatte, denn das steht aktuell sowieso nicht an - die Botschaften und Konsulate sind gegenwärtig hoffnungslos überfordert. Das sind Nebelkerzen, die ablenken von der eigentlichen Lösung der Probleme. Ich sage es nochmal: Jetzt ist es endlich Zeit, dass die Verfahren beschleunigt werden, dass schnell entschieden wird. Es liegt ja auch im Interesse der Flüchtlinge, dass sie wissen, woran sie sind.

Die Grünen begrüßen es, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel Obergrenzen für Flüchtlinge ablehnt. Rückt Ihre Partei dadurch näher an die CDU heran?

Wir suchen uns richtig und falsch nicht danach aus, wer es sagt, sondern danach, was gesagt wird. Nochmal: Ich bin wirklich zutiefst erschrocken darüber, wie verroht die Umgangsformen mittlerweile bei den Schwesterparteien CDU und CSU sind. Ich freue mich, dass aus Hessen, Nordrhein-Westfalen und anderen Landesverbänden der CDU klare Kritik kam an dem ungehobelten Vorgehen gegenüber der Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Auf den CSU-Parteitag in Bayern schaut ja die ganze Welt.

Angela Merkel und Horst Seehofer auf dem CSU-Parteitag - Foto: Getty Images/AFP/C. Stache
In der Konfrontation mit CSU-Parteichef Seehofer sei die Klarheit der Bundeskanzlerin zu bewundern, so ÖzdemirBild: Getty Images/AFP/C. Stache

"Wir schaffen das", sagt Angela Merkel über die Aufnahme und Integration der vielen Flüchtlinge. Kann Deutschland das wirklich noch schaffen angesichts der Meinungsverschiedenheiten zwischen den Regierungsparteien?

Wenn diejenigen, denen es um die Sache geht und nicht um die Parteipolitik, klaren Kopf bewahren, dann können wir es natürlich schaffen. Aber es wird immer schwieriger, je mehr Leute da kopflos agieren. Und die CSU hat sich offensichtlich dafür entschieden, kopflos zu agieren. Umso mehr muss man da die Klarheit der Kanzlerin bewundern.

Nach den Terroranschlägen von Paris ist eine Diskussion über einen möglichen Einsatz der Bundeswehr im Inland entbrannt. Was sagen die Grünen dazu?

Wir brauchen eine starke Polizei. Wir müssen die Geheimdienste in die Lage versetzen, dass sie ihre Aufgabe tun können, indem sie Informationen austauschen, aber das bitteschön mit rechtsstaatlicher Kontrolle. Was wir nicht brauchen, ist die Bundeswehr im Inland. Und was wir auch nicht brauchen, sind ständig irgendwelche Gesetzesvorschläge, die eine virtuelle Sicherheit vorgaukeln, aber keine reale.

Die Fragen stellte Nina Werkhäuser.