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Über den Berg heißt nicht am Ziel

3. Juni 2009

Wer die 89 Kilometer beim Comrades Ultramarathon in Südafrika nicht innerhalb von zwölf Stunden schafft, fliegt beim wohl bekanntesten Langstreckenrennen der Welt aus der Wertung.

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Stephen Muzhingi aus Simbabwe durchreißt die Ziellinie bei Comrades Marathon in Südafrika. (Foto: U. Reimann)
Sieger Stephen Muzhingi aus Simbabwe brauchte für die 89 Kilometer 5:23:26 StundenBild: U. Reimann

Sonntagmorgen, 3.00 Uhr Ortszeit am Strand von Durban: Es ist finsterste Nacht, doch die Strandpromenade wird bevölkert von unruhigen Menschen aus aller Welt, die sich dehnen und stretchen, die mit kleinen Sprints die Müdigkeit aus dem Körper vertreiben wollen. Einmal im Jahr ist die Stadt am Indischen Ozean das Mekka für alle Langstreckenläufer. Der Comrades Ultramarathon über 89 Kilometer fordert über 12.000 Läufer auch in diesem Jahr heraus. Jährlich abwechselnd wird die Strecke entweder bergauf von Durban nach Pietermaritzburg oder umgekehrt gelaufen. An diesem Sonntag wird das Rennen in Pietermaritzburg gestartet und führt bergab an den Indischen Ozean nach Durban.

Die Idee zu dem Lauf ist 88 Jahre alt. Bei der Premiere im Jahr 1921 absolvierten gerade einmal 34 Läufer die hügelige Strecke. Vic Clapham, ein Veteran aus dem Ersten Weltkrieg, verstand den Lauf als Erinnerung an seine im Krieg gefallenen südafrikanischen Kameraden. Junge Soldaten sollten beim Comrades ihre Ausdauer unter Beweis stellen.

Start vor dem Rathaus in Pietermaritzburg. (Foto: Uli Reimann)
5.30 Uhr: Start vor dem Rathaus in PietermaritzburgBild: U.Reimann

Marathon trotz Herzrhythmus-Störungen

Neben den Spezialisten - der Südafrikaner Bruce Fordyche lief in diesem Jahr seinen 27. Comrades und ist mit neun Siegen in Folge von 1981 bis 1990 der Rekordgewinner - zieht der Comrades aber vor allem Amateure aus aller Welt an. Kurt Brennert aus Dormagen ist so einer: Der 63-Jährige stand im vergangenen Jahr noch vor dem Ende seiner Langstreckenkarriere, als die Ärzte ihm wegen Herzrhythmus-Störungen das Laufen ganz verbieten wollten. Erst als ihm ein Arzt attestierte, dass er weiterlaufen könne, wenn er es ruhiger angehen lasse, meldete er sich für seinen achten Comrades an.

Zusammen mit seiner Frau und 16 weiteren Läufern aus Deutschland steigt er in den Bus, es geht von Durban nach Pietermaritzburg an den Start. "Von Routine keine Spur", sagt Brennert und versucht, im Bus noch etwas vor sich hin zu dösen. "Es kribbelt und krabbelt. Man ist nervös und es ist wie beim ersten Mal. Man sehnt es herbei, aber wir zittern immer wieder", gibt der Pensionär zu, der noch bis zum März für die Stadtverwaltung Dormagen die Finanzen geordnet hat.

Pflicht: Schneller als zwölf Stunden

Am Start um 5.30 Uhr ist es bei einer Temperatur von 10 Grad Celsius in Pietermaritzburg noch stockfinster. Die Läufer schützen sich mit Plastiksäcken gegen die Kälte. Dann der Countdown, der für Gänsehaut sorgt: Die südafrikanische Nationalhymne wird inbrünstig von den Läufern mitgesungen. Der traditionelle Hahnenschrei sorgt für die letzte Aufmerksamkeit, Vangelis "Chariots of Fire" erklingt als Countdown bis zum Startschuss. Dann geht für über 12.000 Läufer der Kampf gegen die Uhr und vier schwere Anstiege auf dem hügeligen Weg bergab nach Durban los.

Läufer Ulli Tomaschewski lächelt (Foto: Uli Reimann)
Uli Tomaschewski, noch guter DingeBild: U. Reimann

12 Stunden für 89 Kilometer. Wer das Ziel später erreicht, wird aus der Wertung genommen und hat den Comrades nicht geschafft. Daran denkt Uli Tomaschewski aus Crailsheim nach den ersten zwölf Kilometern noch nicht: "Mir macht's Spaß! Ich fange langsam an, es sind die ersten Steigungen da. Ich laufe sie durch und ich fühle mich noch wohl. Ich warte auf die Sonne. Meine Sonnenbrille ist jetzt startklar", ruft er an der Strecke seiner Frau zu, die ihn mit Wasser versorgt. Uli läuft bereits seinen fünften Comrades und für ihn entwickelt sich der Lauf in diesem Jahr zu einem ganz besonderen Krimi: Er wird immer langsamer, die mangelnde Vorbereitung rächt sich. Er muss kämpfen, um unter der 12 Stunden-Grenze zu bleiben. Er schafft es nur ganz knapp, fällt viereinhalb Minuten vor dem Schlusssignal seiner Frau Doris im Ziel um den Hals. Völlig kaputt und ausgepumpt, unfähig auch nur ein Wort herauszupressen.

Vorbeugend aussteigen

Wolfgang Müller nach seinem Ausstieg nach 45 Kilometern (Foto: Uli Reimann)
Wolfgang Müller, nach 45 Kilometern ausgestiegenBild: U. Reimann

Für Wolfgang Müller aus Bad Schwartau läuft es noch schlechter: Er erreicht das Ziel nicht. 2000 und 2002 ist er den Comrades zu Ende gelaufen. 2004 musste er wegen Muskelkrämpfen abbrechen, wurde von der Strecke direkt ins Krankenhaus gebracht und mit Infusionen versorgt. In diesem Jahr steigt er nach der Hälfte des Rennens aus. Das Kapitel Ultramarathon ist jetzt für ihn erledigt: "Ich weiß, dass ich es nicht drauf habe, so einen Lauf in zwölf Stunden zu machen. Ich steige lieber rechtzeitig aus, ehe ich zehn oder fünf Minuten zu spät ins Ziel komme. Das möchte ich nicht erleben", konstatiert er nüchtern, nachdem er im Begleitbus das Stadion in Durban erreicht hat.

"Ganz vernünftig ist es vielleicht nicht"

Kurt Brennert auf der Zielgeraden nach neun Stunden und 48 Minuten (Foto: Uli Reimann)
Kurt Brennert auf der Zielgeraden nach neun Stunden und 48 MinutenBild: U. Reimann

Das Zwölf-Stunden-Limit ist für Kurt Brennert kein Problem: der 63jährige Routinier beendet seinen achten 89 Kilometer-Lauf in Südafrika nach neun Stunden und 48 Minuten und genehmigt sich als Belohnung zuerst einmal ein kaltes Bier. Zwei Mal noch will er ins Ziel kommen. Mit zehn gelaufenen Comrades steigt man auf in den exklusiven Klub mit der grünen Startnummer, die ein lebenslanges Startrecht garantiert. Dafür, dass Langstreckenlaufen zur Sucht werden kann, ist Kurt Brennert der laufende Beweis: Nur drei Wochen nach dem Comrades will er im schweizerischen Biel am 13. Juni die legendären 100 Kilometer laufen. Dass er von vielen Mitläufern für seine Pläne nur ein verständnisloses Kopfschütteln erntet, versteht er sogar: "Na ja, ganz vernünftig ist es vielleicht nicht. Aber es gibt andere Läufer, die laufen 20 oder 25 Marathons im Jahr. Dagegen bin ich ja ein Waisenknabe. Und Biel muss man mal gemacht haben." Mit den Gedanken ist Brennert schon wieder in Deutschland, bei den Vorbereitungen für sein nächstes Laufabenteuer in der Schweiz.

Autor: Ulrich Reimann
Redaktion: Stefan Nestler