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Über den gemeinen Bücherdieb

Thomas Böhm30. Januar 2004

Schnöder Diebstahl oder "Augenraub"? Wie wird Bücherdiebstahl eigentlich bestraft? Thomas Böhm über die moralischen Abgründe, die sich bei Buchliebhabern auftun können.

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Viel zu schön zum Stehen lassenBild: AP

Was interessiert es mich, dass es bei den 68ern zum guten Ton gehörte, Bücher zu stehlen, weil geistiges Kulturgut nicht dem kapitalistischen Markt unterworfen sein darf? Was soll ich mir Gedanken machen über Ethik, wenn es um Sekunden geht, denn grade schaut der Buchhändler nicht herüber und die Innentasche meines Sakkos beginnt schon nach dem Buch zu schnappen, der Bauch zieht sich ein und macht Platz unter dem Hemd, die Aktentasche bietet das Inkognito zwischen anderen Büchern an.

Überhaupt: Zeugt so ein kleiner Diebstahl nicht von Raffinesse, beschert das gute Gefühl, doch nicht ganz angepasst zu sein, einen Rest Unberechenbarkeit behalten zu haben? Und müsste der Buchhändler, der doch Literaturliebhaber ist, nicht Bücherdiebe schätzen, wie die bösen Charaktere in der Literatur, ohne die das Lesen langweilig wäre?

Buchhandlung Hugendubel in Berlin
Bild: dpa zb

Warum soll ich mich also zurückhalten? Wenn ich erwischt werde, habe ich hinterher was zu erzählen. Und wenn mir einer kommt mit, ich sei so blöd gewesen, mich erwischen zu lassen, dann sage ich einfach: Das war das eine Mal, aber ich hab schon seit Jahrzehnten geklaut. Meine ganze Bibliothek ist so zusammengekommen.

Auch das Stehlen bloß geklaut

Nun gut: die Story ist geklaut - aus einem Buch: "Die Geschichte des Lesens" von Alberto Manguel. Der erzählt von einem Grafen Libri - der Name klingt verdächtig nach Erfindung - einem der größten Bücherdiebe aller Zeiten, der sich im Jahre 1841 zum Sekretär einer Kommission ernennen ließ, die den Auftrag hatte, einen vollständigen und detaillierten Katalog aller Handschriften und Bücher in den öffentlichen Bibliotheken Frankreichs zu erstellen.

Versehen mit amtlichen Beglaubigungen und weiten Roben brachte Libri die schönsten Stücke aus den Bibliotheken an sich. Als Libris Beutezug im Jahre 1848 ans Licht kam, floh er mit zahlreichen Bücherkisten nach England. Viele Persönlichkeiten der Zeit setzten sich für ihn ein, darunter der Schriftsteller Prosper Mérimée, der so vehement die Unschuld Libris beteuerte, dass er schließlich eine Vorladung erhielt und wegen Missachtung des Gerichtes angeklagt wurde. Libri selbst wurde in Abwesenheit zu zehn Jahren Haft verurteilt.

Augenraub oder Ladendiebstahl?

Bücher
Bild: AP

Was steht wohl heute auf Buchdiebstahl? Wird er als Augenraub beurteilt, eine Variante des Mundraubes? Oder doch als schnöder Ladendiebstahl, was dem Ganzen viel Charme nähme.

Verdammt, da oben ist ja ein Spiegel. Und darin ich, der Bücherdieb. Was mach ich eigentlich mit den gestohlenen Büchern? Sind sie mir wertvoller als die gekauften? Les' ich sie intensiver?

Ich ziehe das Buch aus der Innentasche und gehe damit zur Kasse. Zumindest dieses eine wird etwas besonderes sein: im Geiste geraubt und in der Realität bezahlt.