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"Wie Sardinen in der Dose"

16. September 2009

Gouverneur Schwarzenegger hat den Notstand für die Gefängnisse ausgerufen. In Haftanstalten, die für rund 100.000 Häftlinge entworfen wurden, sitzen mehr als 170.000 ein. Ein Blick hinter die Mauern von Lancaster.

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Mitten in der Wüste - das Gefängnis von Lancaster in KalifornienBild: DW

Der Lärm in der umgebauten Sporthalle ist ohrenbetäubend. An der rechten Wand stehen ein Dutzend Häftlinge unter Duschen, nur durch eine brusthohe Wand vor Blicken geschützt. Toilettenspülungen und Wasserhähne rauschen. Unter der Decke laufen riesige Ventilatoren auf Hochtouren. Auf einem Metall-Steg über den Köpfen der Häftlinge geht ein Wärter mit Gewehr auf und ab. Aus Lautsprechern dröhnen Ansagen und Befehle. Die dreistöckigen Metallbetten scheppern, wenn Häftlinge oder Wärter dagegen stoßen. Das passiert oft. Die Betten stehen so nah nebeneinander, dass man sich kaum dazwischen bewegen kann, ohne irgendwo anzustoßen.

Überfüllung und Hitze führen zu Anspannung

Mike Schumacher hat gegen seine Bewährungsauflagen verstoßen. Seit zwei Monaten ist er im Gefängnis. Ihm wurde die untere Etage eines schmalen Stockbetts zugewiesen. Aus seiner Sicht trägt die Überfüllung sehr zu Spannungen bei. "Und dass sie diese Gefängnisse in die Wüste bauen. Im Sommer sind immer über 40 Grad. Es ist kochend heiß. Und dann quetschen sie uns hier rein wie Sardinen."

Gefängnis von Lancaster
'Käfige' im Gefängnis von Lancaster -hier werden Häftlinge eingesperrt, wenn sie gegen Vorschriften verstossen.Bild: DW

Offizier Villaloraine wacht zusammen mit zwei weiteren Kollegen zwischen den Betten über die 140 Häftlinge. Die drei Aufseher sind mit Schlagstock und Pfefferspray bewaffnet, mit kugelsicheren Westen geschützt. Villaloraine weiß, wie schnell es hier zu Konflikten kommen kann: "Die kleinen Dinge müssen geregelt sein, damit es friedlich bleibt zwischen den Rassen in der Halle." Die Wärter würden oft zu Schiedsrichtern, die dafür sorgen, dass es fair zugeht.

Die kleinen Dinge - dazu gehören die gerechte Vergabe von Dusch-, Telefon- und Hofzeiten sowie die pünktliche und gerechte Verteilung von Seife, Toilettenpapier und Kleidung. Und die vielen ungeschriebenen Gesetze, die die Häftlinge selbst aufstellen. Wer gegen diese Regeln verstößt, schafft mehr Spannung, beschreibt Mike Schumacher. "Es hat viel mit Respekt zu tun. Wir müssen uns daran halten, sonst wird es gefährlich. Und das ist kein Witz. Der da oben ist ein echter Schütze. Seine Waffen sind mit echten Patronen geladen."

Überfüllung führt zur Krise

Das Gefängnis von Lancaster wurde 1994 eröffnet. Gebaut wurde es für 1350 Häftlinge. Inzwischen sind 4600 Straftäter dort untergebracht. Jede Zelle ist mit zwei Männern belegt statt wie geplant mit einem. Durchschnittlich 18 Stunden verbringen sie täglich zusammen auf knappen 1,20 Meter mal 2,40 Meter. Häftlinge werden in Tagesräumen und in zwei Sporthallen untergebracht und seit ein paar Jahren in andere Bundesstaaten geschickt. "Wir sind so kreativ wie möglich", sagt Gefängnissprecherin Leutnant Tracey Cromwell.

Gouverneur Schwarzenegger fordert seit Monaten vom kalifornischen Parlament, Reformen zu verabschieden. Als bei einem Häftlingsaufstand Dutzende Insassen und mehrere Wärter verletzt wurden, bezeichnete er den Gewaltausbruch als "Symptom eines großen Problems". Das gesamte kalifornische Gefängnissystem stecke in der Krise. "Es bricht unter seinem eigenen Gewicht zusammen. In den letzten fünf Jahren haben sich unsere Ausgaben für Gefängnisse fast verdoppelt. Wir müssen handeln. Jetzt!", so Arnold Schwarzenegger.

Reform bringt keine grundsätzliche Lösung

Bundesrichter haben Kalifornien ein Ultimatum gestellt. Im September muss Sacramento einen Plan zur Reduzierung der Häftlinge um 40.000 innerhalb von zwei Jahren vorlegen. Doch die Parlamentarier konnten sich lediglich auf eine Mini-Reform einigen, die die Zahl der Inhaftierten nur um 16.000 reduziert. Offizier Villaloraine sagt, für die Wärter spiele die Zahl der Häftlinge, die sie überwachen, keine zu große Rolle: "Egal wie hoch die Belegung ist, ihr Verhalten bleibt gleich. Wenn sie jemanden angreifen wollen, weil er sie respektlos behandelt oder seine Rechnung nicht bezahlt, werden sie das tun. Reduzierte Überbelegung wird die Lage nicht entschärfen." Und die grundsätzlichen Probleme des kalifornischen Gefängnissystems - extrem hohe Strafmaße, 70 Prozent Rückfallquote und Gewalt zwischen Rassen - löst die Mini-Reform nicht.

Autorin: Kerstin Zilm

Redaktion: Mirjam Gehrke