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Überleben für Emmanuel

28. April 2009

Clara Rojas, einstige Weggefährtin der kolumbianischen Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt, erzählt die dramatische Geschichte von Entführung und Gefangenschaft in einem Lager der FARC.

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"Ich überlebte für meinen Sohn" - Clara Rojas stellt derzeit ihr Buch über ihre Zeit als FARC-Geisel in Europa vor.Bild: picture alliance / abaca

An einem Februartag 2002 gerät Clara Rojas aus ihrem gutbürgerlichen Alltag in Bogotá in die Hölle des Urwalds. Ursprünglich wollte die Anwältin mit ihrer Freundin und politischen Weggefährtin Ingrid Betancourt im unsicheren Süden des Landes Wahlkampf für die kolumbianischen Grünen machen. Das Abenteuer endet in einem Gefangenenlager der FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia), aus dem sie erst sechs Jahre später freikommt. Clara Rojas bringt im Urwald 2004 einen Sohn zur Welt, die Kunde davon macht Schlagzeilen in Lateinamerika.

"Wenigstens ließen sie mich nicht sterben"

Kolumbianische Geiseln in Venezuela frei
Clara Rojas kurz nach ihrer Befreiung mit dem venezolanischen Präsidenten Hugo ChávezBild: AP Photo

In einem Buch schildert sie jetzt die Einzelheiten der dramatischen Geburt , die ein Guerrillero mit einigen Semestern Medizinstudium mittels Kaiserschnitt einleitet. Vergeblich hatte die 40-Jährige um einen Arzt gebeten. Die Comandantes lehnten ab, weil sie fürchteten, durch Hilfe von Außen könnte ihnen die in der Nähe befindliche Armee auf die Spur kommen. "Wenigstens ließen sie mich nicht sterben", sagt Clara Rojas im Interview mit der Deutschen Welle.

Mit ihrem inzwischen fünfjährigen Sohn Emmanuel und ihrer Mutter ist die Ex-Geisel derzeit in Deutschland unterwegs, wo im Münchner Blanvalet Verlag gerade die deutsche Ausgabe ihrer Erinnerungen erscheint. Sie tragen den Titel " Ich überlebte für meinen Sohn" . Sohn Emmanuel ist für Clara im Urwald das Leben inmitten einer Umgebung des Todes. Doch Monate später erleidet das Baby eine Infektion, die im Urwald nicht behandelt werden kann. Die Guerrilla übergibt ihn einem Bauern, später kommt er in ein Krankenhaus und ein staatliches Kinderheim. Erst nach ihrer Freilassung im Januar 2008 kann Clara Rojas ihren Sohn in die Arme schließen.

Zur falschen Zeit am falschen Ort

"Emmanuel hat im letzten Jahr die Vorschule begonnen, sogar an einer deutschen Schule, er lernt als zweite Sprache Deutsch", berichtet sie stolz. Sie selbst wolle vielleicht ebenfalls beginnen, Deutsch zu lernen. Im Urwald habe sie von der Guerrilla nach der Trennung von ihrem Sohn ein Kurzwellen-Transistorradio bekommen, mit dem neben anderen Sendern auch das deutsche Programm der Deutsche Welle zu empfangen war, sagt sie. "Ich habe gelauscht, und versucht, einiges zu verstehen."

Ingrid Betancourt
Einst ihre beste Freundin - nun ist Rojas mit Betancourt verstritten.Bild: Patricio Luna

Mit ihrem Buch wolle sie ein Kapitel abschließen, das sie sechs Jahre ihres Lebens gekostet habe, sagt die heute 44-jährige. "Fest steht, dass ich zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort war", kommentiert sie rückblickend die Entscheidung, ihrer damaligen Freundin Ingrid Betancourt auf eine Wahlkampfreise zu folgen, vor der alle gewarnt hatten. Ihre Freundschaft mit Ingrid Betancourt ist während der gemeinsamen Zeit im Urwald zerbrochen, gegenseitig machten sie sich Vorwürfe für das Scheitern des letzten von mehreren Fluchtversuchen. Danach wurden die Frauen wochenlang in Ketten gelegt. Eine Tortur, die von der FARC gefangene Männer jahrelang ertragen müssen, um sie an der Flucht zu hindern. Heute engagiert sich Clara Rojas für die Freilassung anderer FARC-Geiseln, einige sind schon mehr als zehn Jahre in den Händen der Guerrilla.

Ein unvorsichtiger Satz

Rojas´ Buch räumt mit der Legende auf, sie sei Betancourt freiwillig als Geisel gefolgt, nachdem diese zum Umsteigen in einen anderes Auto gezwungen worden war. Im Buch heißt es: "Ich saß nun allein im Wagen. Der Comandante kehrte zurück und musterte mich. Ich war sehr besorgt und fragte ihn: Wohin bringen Sie sie? Ohne mir zu antworten, bedeutete er mir, ich solle ebenfalls in den Pick Up umsteigen".

"Mein Verhalten", so sagt Clara Rojas heute und kann sogar ein wenig darüber lachen, "war wohl der Situation nicht ganz angemessen und sie haben es mir übel genommen Solche Fragen stellt man ihnen nicht ".

Den Entführern verziehen

Nach fünfzehn Monaten Freiheit, glücklich wiedervereint mit Sohn Emmanuel, will sie sich das Leben nicht mehr verbittern. Am Ende ihres Buches schreibt sie, dass sie ihren Entführern verzeihe. Ohne Verzeihen werde mittelfristig ein Frieden in Kolumbien nicht möglich sein. Eine der meistgestellten Fragen von Journalisten beantworten weder das Buch noch seine Autorin: die nach dem Vater des kleinen Emmanuel, der gerüchteweise ein Guerrillero sein soll. Irgendwann werde sie die Antwort geben - zuerst ihrem Sohn.


( Clara Rojas "Ich überlebte für meinen Sohn", Blanvalet Verlag München, 2009)

Autor: Bernd Gräßler
Redaktion: Anne Herrberg