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Überraschungen gehören zum Bachmann-Preis

Die Fragen stellte Klaus Krämer9. Juli 2012

Die Vergabe des Ingeborg-Bachmann-Preises war in diesem Jahr bis zum Schluss spannend. Juryvorsitzender Burkhard Spinnen hat mit der Deutschen Welle über die diesjährige Preisträgerin Olga Martynova gesprochen.

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Die glückliche Bachmann-Preisträgerin Olga Martynova
Bild: Reuters

DW: Herr Spinnen, Lesemarathon in Klagenfurt. Die neue Hauptpreisträgerin des Ingeborg-Bachmann-Preises ist Olga Martynova, die in Russland geboren wurde und in Frankfurt am Main lebt. Stimmt es, dass es bis zum Schluss spannend war?

Burkhard Spinnen: Ja, es war keines von den Jahren, in denen sich während der Lesungen eine Kandidatin oder ein Kandidat dramatisch von den anderen abhob, so dass man eigentlich fast sicher sein konnte, dass er oder sie sich auch in der Abstimmung durchsetzt. Nun muss ich dazu sagen, das Procedere in Klagenfurt ist so, dass Überraschungen quasi ein Strukturelement sind. Der Abstimmungsmodus gestattet dem Schicksal, seine Launen auszuleben.

Die neue Bachmann-Preisträgerin, die am Sonntag (08.07.2012) bekannt gegeben wurde, überzeugte mit dem Text "Ich werde sagen: Hi!". Worum geht es darin?

Das ist ein Text, den man sicherlich nicht leicht auf einen Begriff oder auf ein Thema bringen kann. Da spielt Vieles durcheinander. Es ist ein Text, der mit historischen Reminiszenzen spielt, der sich natürlich um so etwas wie eine Jugend- oder Pubertätsgeschichte dreht, der aber auch vor kleinen Weltentwürfen nicht zurückscheut. Es ist ein Text, der sich gegen eine schlichte Gattungszuweisung oder gar eine Charakterisierung durch seinen Stoff wehrt. Und ich glaube, das ist für einen literarischen Text immer ein guter Ausgangspunkt.

Man konnte in den Medien von einem "kunstvoll" oder "humorvoll" in ihren Text eingeflochtenen kulturhistorischen Bezug lesen. Haben Sie das auch so empfunden?

Es gibt eine Reihe von Bezügen darin, plötzlich taucht auch einmal eine kleine Parodie auf die Adam-und-Eva-Geschichte auf. Ich glaube, man tut diesem Text und der Autorin nicht Unrecht, wenn man darauf hinweist, dass er aus einem anderen, leicht unterschiedlichen Kulturkreis stammt, insofern die Autorin erst weit nach ihrer Kindheit die deutsche Sprache erlernt hat, in der sie jetzt schreibt. Und dass sie hingegen aus ihrer Muttersprache, dem Russischen und natürlich auch aus dessen Literatur sicherlich eine Menge von Traditionen, Strukturen und vor allen Dingen natürlich - was für einen Autor das Wichtigste ist - Temperament mitgebracht hat.

Sie machen oder vernichten ja vielleicht im einen oder anderen Fall auch Schriftstellerkarrieren mit Ihrer Juryentscheidung. Denkt man daran im Vollzug einer solchen Veranstaltung?

Ich bitte Sie. Ich bin selber Schriftsteller, und habe selber vor 20 Jahren in Klagenfurt gelesen. Wenn ich jemals das Gefühl haben sollte, dass eine Schriftstellerkarriere durch die Besprechung des Textes in Klagenfurt vernichtet sein sollte, würde ich mein Amt niederlegen und den Rest meines Lebens damit verbringen, dem vernichteten Schriftsteller dabei zu helfen, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Lassen Sie mich jetzt wieder ernst werden. Ich glaube, die Diskussionen sind vor allem von Respekt geprägt. Wenn ich mir nach den Diskussionen sehr häufig anhören muss: 'Da hätte man doch etwas mehr draufhauen können, da hätte man aber jetzt mal ein härteres Werkzeug auspacken können.' Dann sage ich dazu immer kategorisch seit zwölf Jahren, seit ich in der Jury bin: Nein, das kommt überhaupt gar nicht in Frage. Ein Autor, eine Autorin, die da sitzen und lesen, das sind Leute, die sich redlich alle Mühe gegeben haben. Es sind in der Regel auch Leute, die bereits einen und mehrere von ihrem Können überzeugt haben. Wenn dann ein Text nicht absolut reüssieren kann, dann sagt man das mit der Äußerung des Respekts für die Anstrengung. Und ich glaube, von einer Vernichtung einer Karriere kann da nicht die Rede sein.

Der Schriftsteller Burkhard Spinnen (Foto: privat)
Burkhard SpinnenBild: Burkhard Spinnen

Wie empfanden Sie denn die Stimmung, die Atmosphäre und das Drum und Dran beim diesjährigen 36. Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb?

Ich habe so etwas wie eine Verjüngung erlebt. Das hängt damit zusammen, dass es natürlich auch Generationswechsel in den Verlagen, in den Redaktionen gibt. Aber ich hatte auch das Gefühl, dass im Umfeld, also sagen wir mal unter den Konzertbesuchern oder Fans auffallend viele junge Leute waren. Dem ist auch Tribut gezollt worden durch Veranstaltungen in der Stadt, eine Art Public Viewing. Es gab jeden Abend einen Treff an einem sehr zentral gelegenen, aber sehr idyllischen Ort, wo Musik aufgelegt wurde, aber nicht so laut, dass man sich nicht noch dabei hätte angeregt über Literatur unterhalten können. Und dabei habe ich viele sehr, sehr junge Leute gesehen, so dass ich mir um den Nachwuchs des Publikums gar keine Sorgen mache.

Und auch nicht um die Zukunft der deutschen Sprache in der Literatur?

Nein, mache ich nie. Wissen Sie, solange wir diese Sprache hier sprechen, in diesem auch nicht so kleinen und ökonomisch und politisch sehr dynamischen Raum, so lange wird es auch Menschen geben, die sich in dieser Sprache ausdrücken möchten, was in der Alltagskommunikation nicht möglich ist. Die Bewerbungen für den Bachmann-Preis, die jedes Jahr auf einem sehr hohen Zahlenniveau liegen, beweisen mir, dass da auch immer wieder Leute nachwachsen, die diese mühsame und problematische Existenz auf sich nehmen möchten, um an der Geschichte unserer deutschen Literatur auch weiter zu arbeiten.

Dr. Burkhard Spinnen ist freier Schriftsteller und lebt in Münster. Er ist Mitglied in der Schriftstellervereinigung PEN-Zentrum Deutschland. Von 2000 bis 2006 gehörte er zur Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises, seit 2008 ist er dessen Vorsitzender.