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100 Tage Kirchner in Argentinien

2. September 2003

Bei seinem Amtsantritt am 25. Mai 2003 galt Nestor Kirchner für Argentinien als "das kleinere Übel". 100 Tage danach sind Presse und Wähler hellauf begeistert vom Tatendrang des neuen Präsidenten.

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Argentiniens Präsident Nestor KirchnerBild: AP

Eigentlich hatten die Argentinier die Nase voll von der Politik: Drei Präsidenten in weniger als zwei Jahren und keiner von ihnen fand einen Ausweg aus der dramatischen

wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise des Landes. "Sollen sie doch alle abhauen", lautete der Slogan, mit dem hunderttausende Demonstranten ihrer Enttäuschung über das politische Establishment Luft machten.

Dass ausgerechnet der farblose Nestor Kirchner aus der abgelegenen Provinz Santa Cruz etwas ändern könnte, wollte kaum jemand glauben, als Kirchner am 25. Mai 2003 sein Amt in der Casa Rosada antrat. Der Mann aus dem tiefen patagonischen Süden krempelt nun jedoch das chronisch krisengeplagte Land um und geht dabei kaum einem Konflikt aus dem Weg.

Keine Amnestie für Mörder

Schon wenige Tage nach dem Amtsantritt wechselte er die Spitzen von Militär und Polizei aus und setzte auch wichtige personelle Änderungen im diskreditierten Obersten Gericht durch. "Schluss mit der Straflosigkeit" hat sich Kirchner auf die Fahne geschrieben und damit einen Teil der Glaubhaftigkeit seines Landes wiederhergestellt. Mitte August 2003 beschlossen schließlich Parlament und Senat die Aufhebung der Amnestiegesetze für die Schergen der argentinischen Militär-Diktatur.

Zudem billigten die Abgeordneten die Umsetzung der UN-Konvention über Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Stimmt der Oberste Gerichtshof dem Ende der Amnestie ebenfalls zu, wäre 20 Jahre nach der Militärherrschaft der Weg für die Ahndung der Gräueltaten frei. Unter der Junta wurden zwischen 1976 und 1983 bis zu 30.000 Menschen getötet.

Welle der Popularität

Argentinien Präsident Wahlen Nestor Kirchner
Bild: AP

Nach 100 Tagen im Amt reitet der Mann mit den scharfen Gesichtszügen auf einer ganz ungewöhnlichen Welle der Popularität. Mehr als 90 Prozent aller Argentinier billigen seine Amtsführung, ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Equis. Diese Popularität ist seine wichtigste Machtbasis, denn innerhalb des komplizierten Machtgefüges der Peronisten hat der frühere Gouverneur keine Hausmacht.

Wie der "Sturm aus den Steppen Patagoniens" wollte Kirchner durch die politische Landschaft der Hauptstadt Buenos Aires fegen und bisher hat er Wort gehalten. Argentinien solle ein ernst zu nehmendes Land werden mit einer unabhängigen Justiz, unbestechlichen Beamten und verantwortungsvollen Politikern. Immer wieder stürmt er bei öffentlichen Auftritten seinen Leibwächtern davon, sucht die Nähe der Menschen und stieß sich dabei bereits zwei Mal den Kopf an Kameras der Journalisten blutig.

Keine konkreten Ergebnisse

Dabei hat er bisher allerdings mehr einen Wechsel im Polit-Stil als konkrete Ergebnisse vorzuweisen. "Effekt K" nennen die Medien dieses sowohl freundliche wie im Streitfall auch autoritäre, oft undiplomatische, aber Vertrauen erweckende Auftreten. Seinem Vize Daniel Scioli schoss er schon mal scharf vor den Bug, als dieser laut über eine Anhebung von Wasser- und Stromtarifen nachdachte. An der wirtschaftlichen und sozialen Lage von Millionen in Armut versunkener Argentinier hat sich unter Kirchner bisher aber nicht viel geändert. Vor allem die hohe Arbeitslosigkeit von etwa 17 Prozent erweist sich als zäher Brocken. Noch tut das seiner Popularität jedoch keinen Abbruch.

Wirtschaftskrise dauert an

Die Frage der horrenden Auslandsschulden von mehr als 160 Milliarden Dollar (145 Milliarden Euro) ist nach wie vor ungeklärt, eine Einigung mit den internationalen Finanzorganisationen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über neue Kredithilfen noch nicht erzielt, ein überzeugendes Wirtschaftsprogramm noch nicht sichtbar. So forderte der Bankenverband gerade, die Regierung müsse ihre wirtschaftspolitischen Zielsetzungen klarer darstellen. Dennoch wagt es auch die schwache Opposition bisher kaum, Kirchner zu kritisieren. Stattdessen greifen sie seine Regierungsmannschaft an.

Wie lange Kirchner seinen Erfolgskurs durchhalten kann, bleibt ungewiss. Zumindest aber hat er es binnen kurzer Zeit geschafft, den Argentiniern ein kleines bisschen Vertrauen in die Politik zurückzugeben. (mib)