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15.000 Aktionäre gegen die Telekom

24. November 2004

Hat die Deutsche Telekom bewusst Anleger getäuscht? Diese Frage soll in einem Gerichtsverfahren der Superlative geklärt werden. Über 750 Anwälte streiten um insgesamt 100 Millionen Euro Schadensersatz.

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Klägeranwälte tragen Akten ins Frankfurter GerichtBild: AP

Der größte deutsche Anlegerprozess wird wohl kein schnelles Ende finden. Am ersten Verhandlungstag am Dienstag (23.11.2004) in Frankfurt am Main sagte der Vorsitzende Richter Meinrad Wösthoff, dass die über 2.200 Verfahren dieses Falles fast ausschließlich über seinen Schreibtisch laufen würden. Auf einen solchen Ansturm seien die Gerichte nicht eingestellt.

Zehn Fälle untersucht das Frankfurter Landgericht ab Dienstag zunächst stellvertretend. Der Vorwurf: Die Telekom habe in ihren Verkaufsprospekten zum dritten Börsengang im Jahr 1999 Zahlen getürkt. Der Vorstand um Ron Sommer habe vor allem Immobilien überbewertet, damit die Bilanz sich besser liest.

"Die machen das!"

Bund und Telekom haben in den Jahren 1996, 1999 und 2000 mit einem riesigen Werbeaufwand Aktien der Deutschen Telekom an die Börse gebracht. Nach dem erfolgreichen Börsengang im Jahr 1996 kletterte die Aktie zeitweilig auf 102 Euro, deshalb erschien die Gelegenheit günstig, neu einzusteigen, als der Bund eine zweite und eine dritte Aktientranche unters Volk brachte.

"Die machen das!", versprach Manfred Krug in Werbespots und auf Plakaten. Er sollte vor allem Kleinanleger überzeugen. Deutschland lernte in dieser Zeit den Ausdruck "Volksaktie" kennen. Mit griffigen Slogans wie "Das ist mal eine richtig gute Sache" sollte den Menschen Lust auf den Aktienkauf gemacht werden. Doch wer im Juni 1999 knapp 40 und im Juni 2000 gut 65 Euro für eine Aktie bezahlte, der ist heute schwer enttäuscht. Die Aktie ist aktuell mit etwa 16 Euro nur noch einen Bruchteil ihres damaligen Ausgabepreises wert.

Das Problem mit dem Prospekt

Einigen Anlegern genügte jedoch Krugs Mantra nicht. Sie beschafften sich den offziellen Verkaufsprospekt zum Börsengang. Dieses muss "dem Publikum ein zutreffendes Urteil über den Emittenten und die Wertpapiere" ermöglichen, verlangt das Börsengesetz. Für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Angaben haftet der Emittent. Sind die Angaben fehlerhaft, können Anleger, die innerhalb von sechs Monaten nach der Veröffentlichung des Prospekts Aktien erworben haben, vom Herausgeber der Aktien Schadensersatz verlangen. Genau hier setzt der Frankfurter Massen-Prozess an.

Galerie Top-Manager Kai-Uwe Ricke
Telekom-Chef Kai-Uwe Ricke muss sich mit seinem Unternehmen gegen mehr als 2000 Klagen verteidigen.Bild: dpa

Die Kläger werfen dem Bonner Telekommunikations-Unternehmen vor, dass es in dem Verkaufsprospekt verschiedene falsche Angaben gemacht hat. Der wichtigste Streitpunkt: das Immobilienvermögen der Telekom. Dazu ermittelt die Bonner Staatsanwaltschaft seit 2000 - bisher ohne Ergebnis. Das ist nicht erstaunlich, schließlich muss zur Überprüfung der tatsächliche Wert der rund 35.000 Grundstücke und Gebäude ermittelt werden. Die Kosten von entsprechenden Gutachten über die Richtigkeit der Angaben im Werbeprospekt schätzen Experten auf über 15 Millionen Euro. Wer diese Summe bezahlen soll, ist bislang unklar.

Über acht Tonnen Akten

Der Vorsitzende Richter Meinrad Wösthoff hatte viel zu lesen in den letzten Monaten. Die Begleiterscheinungen des größtes deutschen Wirtschaftsprozesses: rund 2100 Klagen, über acht Tonnen an Unterlagen und mehr als 750 beteiligte Anwälte. Wösthoff sieht darin die Besonderheit dieses Verfahrens: "Die Brisanz liegt in der Masse der Kläger." Umso erstaunlicher ist die Auskunft, die er dem "Tagesspiegel am Sonntag" gab: "Es ist möglich, dass es nicht bei einem Verhandlungstag bleibt", so Wösthoff, "es kann aber auch bereits zu einer Entscheidung kommen. Alles ist drin!"

An der Börse spielt der Ausgang des Prozesses offenbar keine große Rolle. "Dieses Verfahren ist längst im Kurs eingepreist und ein Nebenkriegsschauplatz", sagt Marc Tüngler von der Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) in Düsseldorf. Er sieht deswegen auch keine Chancen für einen Vergleich: "Die Telekom wird es darauf ankommen lassen und den Prozess bis zum Ende durchziehen." Für die Anleger geht es derweil um Schadensersatz zwischen ein paar Hundert und mehr als 60.000 Euro.

Telekom bei Chefs noch beliebt

Die Telekom gibt sich selbstbewusst. "Die Vorwürfe sind allesamt unberechtigt", sagt ein Unternehmenssprecher lapidar. Vielleicht liegt es am neuen Vorstandsvorsitzenden Kai-Uwe Ricke, möglicherweise an zuletzt stabilen Kursen: Bei einer Umfrage unter 1100 Unternehmens-Chefs aus 25 Ländern erreichte die Deutsche Telekom einen Titel: weltweit meist respektiertes Unternehmen der Telekommunikations-Branche. (bde)