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Tür für eine neue Zukunft

Das Interview führte Gudrun Stegen24. November 2008

Ex-Terrorist Christian Klar wird nach 26 Jahren aus der Haft entlassen. Helmut Kury, Psychologe, Kriminologe und Gutachter von Christian Klar im Gespräch.

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Gefängnis Bruchsal, wo Christian Klar noch einsitzt (Foto: AP)
Gefängnis Bruchsal, wo Christian Klar noch einsitztBild: AP

DW-WORLD.DE: Herr Prof. Kury, wenn Christian Klar Anfang des Jahres aus der Haft entlassen wird, wird er über ein Vierteljahrhundert im Gefängnis verbracht haben – was bedeutet so etwas für einen Menschen konkret?

Helmut Kury: Das ist natürlich für einen Menschen ein enormer Einschnitt, und für die ehemaligen Terroristen der RAF noch mehr, weil sie ja zum Teil Isolationshaft hatten. Die haben ja zum Teil dann auch Hungerstreiks gemacht, das heißt, die Bedingungen im Vollzug sind für die teilweise noch ungünstiger gewesen als bei den "normalen" Gefangenen, wenn ich so sagen darf.

Wie sieht sich ein Mensch selbst in einer solchen Lebenssituation, nach 26 Jahren?

Sie sind ja völlig aus der Umwelt heraus gerissen, sie leben mit anderen Menschen zusammen, und dies gilt gerade für die Ex-Terroristen, die waren ja , könnte man sagen "Intellektuelle", die kommen jetzt mit normalen Strafgefangenen zusammen, die vielfach schlechter ausgebildet sind und ganz andere Denkmuster haben. Er wird natürlich sozialisiert von diesen Bedingungen in einer Haftanstalt, und nach so langer Zeit ist natürlich auch die Wiedereingliederung nach der Entlassung nicht ganz leicht.Und man muss berücksichtigen, die Leute sind älter geworden. Sie haben kein Einkommen gehabt, da geht’s ja auch um finanzielle Dinge, von was leben die dann.

Wie nimmt er denn jetzt das Leben draußen überhaupt wahr?

Die Ex-Terroristen haben sich ja alle relativ gut informiert, sie haben viel gelesen, sie haben Nachrichten gehört. Also er ist sicherlich über das Leben draußen, was das Politische anbetrifft, relativ gut informiert. Er hatte ja auch recht viele Kontakte nach draußen über Briefe und Besuche, also all das wird er schon mit bekommen haben. Aber die lebenspraktischen Dinge, das Leben hat sich ja im letzten Vierteljahrhundert sehr stark gewandelt, das muss er jetzt alles nachholen, wobei das sicherlich kein großes Problem sein wird.

Wie ist es denn überhaupt möglich, sich nach so langer Zeit in der Gesellschaft zurecht zu finden, oder ist das nicht ein Prozess, der viele Jahre in Anspruch nehmen wird?

Es wird sicherlich eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen, und ich denke mal, dass man natürlich dieses Vierteljahrhundert nie ganz abstreifen können wird. Es kommt sehr stark darauf an, dass er Leute hat, die ihn unterstützen.Er hat einen Sozialarbeiter, der sich um ihn kümmern kann, es wird auch Leute geben, seine Bekannten, die ihm unterstützend unter die Arme greifen. Es wird gesagt, dass er unter Umständen nach Berlin geht und dort sogar eine Anstellung am Theater bekommt.Das alles wird ihm natürlich helfen, im Leben wieder zurecht zu kommen.

Ein zentraler Begriff in der Debatte um Klars Freilassung ist ja die Reue. Nun kann davon bei ihm keine Rede sein, er hat sich bis heute von seinen Taten nicht distanziert, wie ist denn feststellbar, ob von ihm doch noch eine Gefahr ausgeht oder nicht?

Es gibt natürlich eine ganze Menge von Kriterien, die man anwenden kann, die Prognostik ist heute wesentlich differenzierter als noch vor 20 oder 30 Jahren. Was für ihn spricht: die Basisrate des Rückfalls ist bei dieser Tätergruppe sehr niedrig, gleich Null. Kein Einziger der ehemaligen Ex-Terroristen, die entlassen worden sind, ist rückfällig geworden. Er ist deutlich älter geworden, und es kommt natürlich darauf an, ob er von den damaligen Taten abrückt oder das nach wie vor als sinnvolle Strategie ansieht, die Welt zu verändern. All das spielt eine Rolle. Die RAF hat sich ja vor 10 Jahren aufgelöst, das heißt, der Hintergrund ist gar nicht mehr da, die Welt hat sich inzwischen deutlich verändert, das ist kein Thema mehr wie in den 70er oder 80er Jahren.