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Beatles: 60 Jahre "Love Me Do"

Silke Wünsch
5. Oktober 2022

Beatles-Manager Brian Epstein hatte Mühe, einen Plattenvertrag für seine Jungs zu ergattern. Bis sich einer erbarmte und die Band für Aufnahmen zur ersten Single ins Studio einlud. Sein Name: George Martin.

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Die vier Beatles gehen in Anzug und Schlips eine Straße entlang.
John, Ringo, Paul und George: Die Beatles am Beginn ihrer KarriereBild: dpa/picture alliance

Am 5. Oktober 1962 steht eine Platte in den Läden, die den Beginn einer bis heute einzigartigen Musikerkarriere markiert. Auf der A-Seite der Song "Love Me Do", auf der B-Seite "P.S. I Love You". Die Interpreten heißen "The Beatles". Der Song erreicht Platz 17 der britischen Charts, die vier jungen Typen aus Liverpool werden zu Stars. Doch dieser Erfolg hat eine lange Vorgeschichte.

Sie beginnt 1958, als John Lennon und Paul McCartney die Melodie zu "Love Me Do" einfällt. Beide sind noch lange keine 20, kennen sich seit gut einem Jahr und jammen regelmäßig im McCartney'schen Wohnzimmer. Sie stehen auf Rock'n'Roll und spielen zusammen mit George Harrison in einer Band namens "The Quarrymen". Für einen Nachwuchswettbewerb benennen sie sich in "Johnny and the Moondogs" um. Sie gewinnen nicht, holen sich aber Stuart Sutcliffe am Bass dazu und besetzen schließlich das Schlagzeug mit Pete Best. Nach einigen weiteren Umbenennungen nennt sich die Band ab August 1960 "The Beatles".

Rock'n'Roll auf St. Pauli

Sie tauchen in die junge Liverpooler Beat-Szene ein und werden schließlich auch von einem Nachtclubbesitzer nach Hamburg geholt. Auf den Vergnügungsmeilen von St. Pauli ist Rock'n'Roll schwer angesagt, und so werden die wilden Jungs aus Liverpool schnell zu einem Geheimtipp. Nachdem sie zwei Monate lang die Nächte zum Tag gemacht haben, werden sie aus Deutschland rausgeschmissen: Sie haben gar keine Arbeitserlaubnis, zudem sollen Stuart und Paul in ihrer Unterkunft herumgezündelt haben und George hätte mit seinen damals 17 Jahren überhaupt gar nicht in Clubs spielen dürfen. Stuart dagegen verlobt sich mit seiner deutschen Freundin, die er in Hamburg kennengelernt hat, und bleibt in Deutschland. Die Beatles wird er kurze Zeit später ganz verlassen. Im April 1962 stirbt er überraschend an einer Hirnblutung.

Ein Mann geht eine leere Straße zwischen Häuserfronten entlang und passiert dabei den Eingang des Cavern Clubs.
Am 21. März 1961 spielen die Beatles erstmals in der unscheinbaren Kellerbar namens "Cavern Club"Bild: Photoshot/picture alliance

Nach ihrer Rückkehr nach Liverpool machen die Beatles zu viert weiter und werden dort immer bekannter. In Hamburg haben sie sich ein dickes Fell und ein ebenso dickes Repertoire angelegt. Sie sind es gewöhnt, viele Stunden auf der Bühne zu stehen und liefern wüste Shows ab. Sie werden Stammband des "Cavern Club", eines angesagten Keller-Lokals. Zwischendurch machen sie immer wieder Abstecher nach Hamburg, härten sich im wilden Nachtleben von St. Pauli zwischen Drogendealern, Zuhältern, betrunkenen Seeleuten und prügelnden Türstehern weiter ab - und nehmen dort als Begleitband auch erste Singles auf: unter anderem zusammen mit dem Sänger Tony Sheridon den Song "My Bonnie".

"Von denen haben Sie noch nie etwas gehört"

Im Herbst 1961 betritt ein junger Mann einen Liverpooler Plattenladen, den ein gewisser Brian Epstein führt und fragt nach einer Platte, die in Deutschland aufgenommen worden sei und "My Bonnie" hieße. Der 27-jährige Plattenverkäufer schüttelt den Kopf: "Von wem ist diese Platte?", fragt er, und der junge Mann antwortet: "Von denen haben Sie bestimmt noch nie etwas gehört. Die Gruppe nennt sich 'The Beatles'."

Brian Epstein, Porträt.
Brian EpsteinBild: Northcliffe Collection/Solo Syndication/picture alliance

Es bleibt nicht bei diesem einen Kunden, immer mehr Leute kommen in den Laden und fragen nach dieser Platte. Epstein bestellt 25 Stück, die im Nu ausverkauft sind. Er wird neugierig und besucht ein Konzert der Beatles im Cavern Club. Zunächst findet er es grässlich dort: "Es ist düster, feucht und von schlechtem Geruch", schreibt er später in seiner Biografie "A Cellarful of Noise" ("Ein Keller voller Lärm") Eigentlich will er sofort wieder gehen, doch von den Beatles ist er so begeistert, dass er ihnen anbietet, die Band zu managen. Die Jungs vertrauen dem Mann, "er sah fähig und reich" aus, wie sich John Lennon später erinnert. Und Epstein legt los.

"Gruppen mit Gitarren sind auf dem Weg ins Abseits"

Er bombardiert die großen britischen Plattenfirmen mit Briefen und Tonbandaufnahmen der Band und erreicht im Januar 1962 tatsächlich bei Decca einen Vorspieltermin. Doch Dick Rowe, der A&R-Mann, der bestimmt, wer unter Vertrag genommen wird, schickt die Truppe wieder nach Hause: "Gruppen mit Gitarren sind auf dem Weg ins Abseits. Mr. Epstein, Sie sollten sich lieber um Ihren Plattenladen in Liverpool kümmern."

Die Beatles posieren lachend mit ihren Gitarren.
Die Beatles 1962 in LondonBild: dpa/picture alliance

Enttäuscht fahren die Beatles wieder nach Hamburg, stürzen sich erneut ins Nachtleben von St. Pauli. Sie spielen ihre ersten Konzerte im Star Club. Mittendrin erreicht sie ein Telegramm von Brian Epstein, der noch lange nicht aufgegeben hat: "GRATULIERE JUNGS. ERWARTE AUFNAHMETERMIN. PROBT BITTE NEUES MATERIAL". Kein Geringerer als Platzhirsch EMI wünscht die Band in London zu sehen. Sofort reisen die Beatles zurück und spielen in London vor. George Martin von der EMI hört sich alles höflich an, sagt aber erstmal nichts.

Wieder müssen sich die vier Jungs und Epstein gedulden. Inzwischen gewinnen sie eine Umfrage des alternativen Musikmagazins "Mersey Beat" als beste Liverpooler Band, und ihre Auftritte werden immer größer und erfolgreicher. Sie schneiden sich die Haare ab und tragen Anzüge. Schließlich kommt Ende Juli 1962 der ersehnte Plattenvertrag mit der EMI-Tochter Parlophone. Kurz zuvor haben John, Paul und George ihren Schlagzeuger Pete Best aus der Band geschmissen. Ringo Starr ist nun der neue Drummer.

George Martin sitzt an einem Tonmischpult, hinter ihm Tonbandmaschinen, Aufnahme aus den 1960ern.
Produzent George Martin prägt den Sound der Beatles von Anfang an maßgeblich mitBild: Northcliffe Collection/Solo Syndication/picture alliance

Am 11. September gehen sie ins Studio, um "Love Me Do" aufzunehmen. In ihrer Dokumentation "The Beatles" schreiben die beiden Autoren Roy Carr und Tony Tyler: "Sie hielten sich an ihren Gitarren fest, als George Martin sie ins Studio führte. 'Sagt mir, wenn euch irgendetwas nicht gefällt', meinte Martin. George erwiderte: 'Mir gefällt Ihr Schlips nicht'."

"Sowas kommt aus Liverpool?"

Von Georges Frechheit unbeeindruckt, sagt Martin sofort, wo es lang gehen soll: Ringo ist ihm nicht gut genug. Er setzt den Studiomusiker Andy White ans Schlagzeug und drückt Ringo ein paar Maracas und ein Tambourin in die Hand.

Siebzehn Takes brauchen sie für "Love Me Do"; und sie nehmen noch weitere Songs auf, darunter die spätere B-Seite "P.S. I Love You". Martin aber ist überzeugt von dem leichtfüßigen "Love Me Do" - vor allem wegen des Mundharmonika-Themas, das John Lennon eingespielt hat und bestimmt: Das soll die neue Single werden.

zwei Bilder, eins mit der Single, auf deren Label alle vier Beatles unterschrieben haben und eine mit den Beatles, die auf einer Treppe stehen, während einer Fernsehshow.
Die unterschriebene B-Seite der Single "Love Me Do"Bild: Heritage Auctions via AP/picture alliance

Martin beweist damit eine Menge Mut - den braucht man im Jahr 1962 auch, um eine unbekannte Band mit eigenen Songs ins Studioeiner großen britischen Plattenfirma zu holen. Noch glauben nur wenige daran, dass eine Liverpooler Band es jemals zu etwas bringen würde. Der Musikverleger Dick James lässt sich noch zu dem Ausruf hinreißen: "Liverpool? Sie machen Witze! Sowas aus Liverpool?" Später wird sein Verlag alle Beatles-Songs verwalten.

Mit Platz 17 in den Charts ist die Single nur mäßig erfolgreich. Dennoch zeigt sich, dass Martin den richtigen Riecher gehabt und sich Epsteins Hartnäckigkeit ausgezahlt hat. Die Nachfolgesingle "Please Please Me" erreicht am 16. Februar 1963 Platz 1 der britischen Charts. Der Rest ist Popmusikgeschichte.

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Silke Wünsch Redakteurin, Autorin und Reporterin bei Culture Online