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60 Jahre Bundesverfassungsgericht

28. September 2011

"Und wenn ich bis nach Karlsruhe gehen muss!" Wer in Deutschland diesen Ausspruch tut, meint nicht die Stadt im Südwesten, sondern das dort ansässige Bundesverfassungsgericht. Am Mittwoch wurde es 60 Jahre alt.

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Das Gebäude des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe (Foto: dpa)
Das Gebäude des Bundesverfassungsgerichts in KarlsruheBild: dpa

"Superrevisionsinstanz" klingt ein bisschen nach Supermann oder nach einer übergeordneten Macht, die alles überprüft und alles wieder kitten kann. Doch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) prüft keineswegs alle rechtlichen Fragen und ist deshalb eben auch keine Superrevisionsinstanz. Aber es prüft das Grundlegende: Jeder, der meint, durch einen Akt des Staates in seinen Grundrechten verletzt worden zu sein, kann - nachdem er den normalen Instanzenweg durch die Gerichte erfolglos durchlaufen hat - vor dem Bundesverfassungsgericht eine sogenannte Verfassungsbeschwerde einlegen. Derartige Beschwerden sind die wohl bekanntesten und auch häufigsten Verfahren vor dem Verfassungsgericht.

Hüter der Verfassung

Das Gericht überprüft, ob ein Staatsorgan der Exekutive, der Rechtsprechung oder auch der Gesetzgebung gegen die Verfassung verstoßen hat. Maßstab ist also nur das Grundgesetz. Vor allem die Grundrechte, prominent platziert in den Artikeln 1 bis 19, um deutlich zu machen, dass sie das Fundament der Nachkriegsverfassung sind, sind auch den Bürgern in Deutschland sehr bewusst. Egal, ob es nun ganz grundlegend um die Menschenwürde aus Artikel 1 oder um das Persönlichkeitsrecht aus Artikel 2 geht oder - schon etwas konkreter - um die Berufsfreiheit nach Artikel 12 und das Recht auf Eigentum aus Artikel 14.

Der Eingang des Übergangsquartiers des Bundesverfassungsgerichts (Foto: DW/Daphne Grathwohl)
Wegen Renovierungen wurde ein Ausweichquartier bezogenBild: DW

Es ist nicht ganz korrekt, wenn das BVerfG landläufig gern als das "oberste deutsche Gericht" bezeichnet wird. Denn es steht eben nicht am Ende aller Instanzen. Die Bezeichnung rührt wohl eher daher, dass Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsorgane des Bundes, der Länder und alle Gerichte und Behörden binden. In den meisten Fällen gilt das zwar nur für den behandelten konkreten Fall. Trotzdem hat das Wort des Karlsruher Gerichts, das selbst Verfassungsorgan ist, auch Gewicht für künftige ähnlich gelagerte Entscheidungen.

Selbst wenn Rechtsgelehrte oder auch andere Gerichte anderer Meinung sind: sollte die Sache bis nach Karlsruhe gehen, wird dort das letzte Wort gesprochen. Wenn es darum geht, ob Gesetze mit der Verfassung vereinbar sind, hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts Gesetzeskraft.

Gesetze auf dem Prüfstand

Dabei entscheidet Karlsruhe nicht nur über Verfassungsbeschwerden. In der sogenannten konkreten Normenkontrolle prüft das Bundesverfassungsgericht, ob ein konkretes Gesetz mit der Verfassung vereinbar ist. Dazu legt ein Fachgericht die fragliche Norm zur Prüfung vor, wenn es diese Norm für verfassungswidrig hält und sie in einem Fall entscheidungserheblich ist.

Im Unterschied zu dieser konkreten gibt es auch noch die sogenannte abstrakte Normenkontrolle: Sie erfolgt, wenn Bundes- oder Landesrecht auf Antrag der Bundes- oder einer Landesregierung oder auf Antrag mindestens eines Viertels der Bundestagsabgeordneten auf seine Verfassungsmäßigkeit hin geprüft wird.

In einer anderen Gruppe von Fällen, Organstreitverfahren genannt, muss das Bundesverfassungsgericht die verfassungsrechtlichen Rechte und Pflichten staatlicher Organe gegeneinander abgrenzen; im Bund-Länder-Streit geht es dagegen um die Konkurrenz der verfassungsrechtlichen Rechte und Pflichten von Bund und Bundesländern. In anderen Verfahren geht es unter anderem um Parteiverbote oder um das Thema Verwirkung von Grundrechten.

Der Vorsitzende Richter des Zweiten Senats und Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Vosskuhle (r.) und Udo di Fabio, Richter des Zweiten Senats, setzen ihre Richterbarette auf(Foto: dapd)
Vor der Verkündung einer Entscheidung werden die Richterbarette aufgesetztBild: dapd

Die sechzehn Richter des Bundesverfassungsgerichts arbeiten aufgeteilt auf zwei Senate. Der Erste Senat beschäftigt sich eher mit Grundrechtsfragen, der Zweite Senat eher mit Staatsrecht. Die Richter beider Senate schließen sich zu Kammern von je drei Richtern zusammen, die über Verfassungsbeschwerden entscheiden. Jährlich gehen derzeit fast 6000 Verfassungsbeschwerden ein. Bislang sind knapp 7000 Senatsentscheidungen und mehr als 130.000 Kammerbeschlüsse ergangen.

Entscheidungen mit politischer Sprengkraft

Die Richter müssen nicht einstimmig entscheiden; abweichende Meinungen werden der Entscheidung als sogenanntes "Sondervotum" beigelegt. Normalerweise reicht es, wenn die Mehrheit der Richter die Position des Beschwerdeführers oder Antragsstellers teilt, um das Verfahren zu gewinnen. In Ausnahmen, wenn ein besonders schwerer Grundrechtseingriff vorliegt, müssen zwei Drittel des entscheidenden Senats, also sechs von acht, einer Meinung sein.

Das Bundesverfassungsgericht befindet sich im Spannungsfeld zwischen Politik und Recht: Denn einerseits hat es immer Auswirkungen auf die Politik, wenn beispielsweise ein Gesetz für verfassungswidrig erklärt wird, das der Gesetzgeber - das Parlament - erst kurz zuvor verabschiedet hatte. Kritiker, vor allem aus den Kreisen der Politik, werfen dem Gericht immer wieder vor, unzulässigerweise Politik zu machen.

Andererseits darf und will Karlsruhe "nur" das Grundgesetz als Maßstab seiner Entscheidungen nehmen und keine politischen Erwägungen anstellen. Genau deshalb sieht sich das Gericht der Kritik ausgesetzt, manchmal keine klaren Aussagen - vor allem an die Adresse der Politik - zu machen.

Autorin: Daphne Grathwohl
Redaktion: Hartmut Lüning

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