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9. November - Tag des Erinnerns

Cornelia Rabitz9. November 2003

Der 9. November ist in Deutschland ein geschichtsträchtiges Datum: Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer. Und am 9. November 1938 fand die Reichspogromnacht statt - der Auftakt der systematischen Judenverfolgung.

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Grundsteinlegung für das Neue Jüdische Zentrum in MünchenBild: AP

65 Jahre nachdem in Deutschland die Synagogen brannten, ist in München der Grundstein für eine neue Synagoge und ein jüdisches Gemeindehaus gelegt worden. An dem Festakt mit mehr als 600 Gästen nahm auch Bundespräsident Rau teil. In seiner Rede rief er die Deutschen zur Verteidigung der Freiheit und einem toleranten Umgang mit ihren Mitbürgern auf. Als Zeichen der Aussöhnung war die Grundsteinlegung bewusst auf den heutigen Jahrestag der Reichspogromnacht gelegt worden.

Am 9. November 1938 brannten in diesem Land Synagogen und jüdische Geschäfte, wurden Juden vor den Augen ihrer nicht-jüdischen Nachbarn geschlagen, gedemütigt, in Konzentrationslager verschleppt. Kaum eine Hand rührte sich zu ihrer Verteidigung. Die Pogromnacht war ein schrecklicher Auftakt zu etwas noch viel Schlimmerem. Wenige Jahre später wurden Juden aus ganz Europa zu Hunderttausenden in den Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet.

Moralische Pflicht und historische Verantwortung

An diese Vorgänge erinnern sich die Deutschen am 9. November 2003, 65 Jahre nach den nationalsozialistischen Mordtaten. Viele Verantwortliche in diesem Land fordern, nicht nachzulassen in diesen Bemühungen. Sie weisen auf die moralische Pflicht und die historische Verantwortung zur Erinnerung hin, die man nicht nur den zahllosen toten Opfern schuldet, sondern auch den traumatisierten Überlebenden und deren Angehörigen - jenen Menschen aus der zweiten und dritten Generation, die mit der Last der Erinnerung und dem Leid ihrer Eltern und Großeltern leben müssen.

Der 9. November 2003 hat viele Facetten. Antisemitische Ausfälle aus der Mitte der Gesellschaft werfen schwarze Schatten auf die Bundesrepublik, die sich doch gerne ihre ausgeprägte Erinnerungskultur zugute hält. Im Zusammenhang mit dem Holocaust-Mahnmal in Berlin und der Baubeteiligung des Unternehmens Degussa wird über "political correctness" gestritten. Eine Debatte, die auch zeigt, dass es weiterhin Klärungsbedarf gibt bei einem Projekt, das offenkundig noch nicht in der gesellschaftlichen Mitte angekommen ist.

Intensive Aufarbeitung

Und im Herzen Münchens ist der Grundstein gelegt worden für ein großes, neues, jüdisches Zentrum, 65 Jahre nachdem Adolf Hitler persönlich den Abriss der traditionsreichen Hauptsynagoge veranlasst hatte. Kein in die Vergangenheit weisendes Mahnmal soll der Gebäudekomplex sein, sondern eine Stätte gegenwärtigen Austauschs und der Verständigung.

Das Deutschland von heute ist dennoch ein anderes als das Reich von damals. Die fünfziger und sechziger Jahre, in denen furchtbare Juristen und Ärzte, Politiker und Generäle, die einst dem Hitler-Regime gedient hatten, in die Dienste der jungen Republik übernommen werden konnten, sind passé. Der pauschale Vorwurf der Geschichtsvergessenheit ist ungerecht nach vier Jahrzehnten intensiver, historischer Forschung, publizistischer und juristischer Aufarbeitung. Es gibt eine anständige Gedenk-Kultur. Dies mit "Vergessen" zu verwechseln, wäre freilich ein großer Irrtum.