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Bulgariens Abhörskandal

20. Januar 2011

In Bulgarien weitet sich ein Abhörskandal aus, von dem auch Ministerpräsident Bojko Borisov betroffen ist. Die Mitschnitte bringen den Premier in Bedrängnis. Hat er kriminelle Machenschaften gedeckt?

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Während im Hintergrund eine Frau telefoniert, wird an einem Telefon der Schriftzug "Aufzeichnung läuft - Mithören?" angezeigt (Foto: picture alliance/dpa)
Zahlreiche Abhörprotokolle wurden den Medien zugespieltBild: picture-alliance / dpa

Hat der bulgarische Ministerpräsident Bojko Borisov tatsächlich den Geschäftsmann und Brauereibesitzer Michail Mihov geschützt, weil die Staatsanwaltschaft gegen diesen ermittelt hat? Journalisten der Wochenzeitung "Galeria" haben am Samstag (15.01.2011) in Sofia erklärt, dass ein Telefonmitschnitt genau das belege.

Es handelt sich um ein Gespräch zwischen Borisov und dem Zoll-Chef Vanio Tanov. Darin soll Borissov versucht haben auf den Leiter des Zolls einzuwirken, um Ermittlungen gegen Mihov, auch bekannt als Bier-Mischo, zu verhindern.

In dem Mitschnitt sagt der Premierminister: "Hallo, grüß dich. Der Bier-Mischo hat mich erneut angerufen, weißt du…Da sind bei ihm Zollbeamte in die Fabrik gekommen, oder Polizisten, Handys werden beschlagnahmt, eine Aktion läuft… Du sollst sie zurückpfeifen, wir haben es versprochen…"

Zollbehörde - Quelle für illegale Parteifinanzierungen

Es ist nicht das erste Abhörprotokoll, das an die Presse gelangt ist. Schon seit Wochen erscheinen in "Galeria" Mitschnitte und Gesprächsprotokolle von Telefonaten, die der Zoll-Chef geführt haben soll. Darin fordern hohe Vertretern der Regierungspartei ihn auf, parteitreue, aber offensichtlich inkompetente Personen in Schlüsselpositionen beim Zoll zu installieren.

Medien in Bulgarien hatten in der Vergangenheit wiederholt den Verdacht geäußert, die Zollbehörde werde von den jeweiligen Regierungsparteien als Quelle für illegale Parteifinanzierungen missbraucht. Die Mitschnitte scheinen den Verdacht zu untermauern.

Borissov winkt in die Kamera, während im Hintergrund mehrere Journalisten stehen (Foto: AP)
Borissov bestreitet den Vorwurf der StrafvereitelungBild: AP

Die Mitschnitte sind mit großer Wahrscheinlichkeit im Rahmen von legalen Abhöraktionen entstanden. Ministerpräsident Borissov hatte vor der Veröffentlichung seiner Gespräche mit dem Zoll-Chef, mehrfach betont, das sei ein erprobtes Instrument gegen die Korruption und er würde alle seine Minister abhören lassen.

Jetzt sieht er die Sache jedoch ganz anders, nämlich als einen Versuch, die Regierung zu destabilisieren. "Warum erscheint der Mitschnitt, den sie schon seit Monaten zur Veröffentlichung vorbereiten gerade an dem Tag, an dem das Parlament die Erklärung zur Abberufung der ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter verabschiedet, die als Botschafter den Staat im Ausland vertreten?" fragt Borisov rhetorisch an die Wochenzeitung gerichtet.

Borissovs Hinweis bezieht sich auf Dutzende bulgarischer Diplomaten, die als Mitarbeiter der ehemaligen kommunistischen Staatssicherheit enttarnt worden sind und aus Sicht der Regierung abberufen werden müssen. Dagegen sträubt sich allerdings der bulgarische Staatspräsident Georgi Parvanov – ein Ex-Kommunist und Ex-Geheimdienstmitarbeiter.

Beitritt zum Schengen-Raum in Gefahr

Zudem bestreitet Borissov die Authentizität seines Gesprächs mit Tanov. Ein Mitarbeiter von Tanov bestätigt allerdings, von dem Druck des Premiers auf die Beamten gewusst zu haben. Er selbst habe den Abzug der Steuerfahnder einleiten müssen.

Das Ortsschild von Schengen (Foto: picture alliance/dpa)
Ist Bulgariens Beitritt zum Schengen-Abkommen in Gefahr?Bild: picture-alliance/dpa

Für die meisten Bulgaren bleibt alles sehr rätselhaft: Wer hat mit wem und worüber gesprochen? Wer hat wen abgehört? Sind die Mitschnitte womöglich auch manipuliert? Die Empörung im Lande ist groß, viele empfinden die Situation als äußerst demütigend. Der Sicherheitspolitiker Mintscho Spassov sagt: "Diese Mitschnitte sind wie Glutkohle. Aber sie brennen nicht, sie beschmutzen uns nur."

Der Abhörskandal, die Korruptionsvorwürfe und die Art und Weise, wie die polizeilichen Informationen an die Öffentlichkeit geraten sind, könnten einen Rückschlag für Bulgarien bei seinen Bemühungen bedeuten, dem Schengen-Raum beizutreten.

Unter deutsch-französischem Druck hat die EU die Aufnahme von Bulgarien und Rumänien in die grenzfreie Zone vorläufig aufs Eis gelegt. Jetzt steht auch in Frage, ob Bulgarien den nächsten möglichen Aufnahmetermin im Herbst noch erfüllen kann.

Autor: Alexander Andreev/Belma Fazlagic-Sestic

Redaktion: Fabian Schmidt