1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Abschied zum Geburtstag

André Moeller18. Juli 2002

Am 18. Juli wird Kurt Masur doppelt gefeiert. Der international erfolgreiche Dirigent begeht den Tag nicht nur als Geburtstagskind, sondern er verabschiedet sich auch als Musikdirektor von den New Yorker Philharmonikern.

https://p.dw.com/p/2Thl
Kurt Masur in der New Yorker Avery Fisher HallBild: AP

Ein paar Tränen dürften also dabei sein, wenn Kurt Masur an seinem 75. Geburtstag letztmalig in dieser Funktion auf der Bühne der Avery Fisher Hall steht. Für das New Yorker Konzerthaus endet damit eine elfjährige Ära, in der die Klassik-Szene der amerikanischen Kulturhauptstadt von dem ostdeutschen Meister tief geprägt wurde. Im September 1991 hatte Masur Zubin Metahs Nachfolge angetreten und seinen Einstand als Musikdirektor der New Yorker Philharmoniker gegeben. Nach Ansicht von Experten spielte das berühmte Orchester zu dem Zeitpunkt zwar immer noch in der Weltoberliga, aber nicht mehr an der Spitze. Es sei "hörbar verlottert" gewesen. Bei seinem Debüt wurde er vom Publikum und den Kritikern begeistert gefeiert. Für Masur war das schon fast ein "Heimspiel": Er hatte das Orchester auch vorher bereits 22 mal dirigiert.

Konzerthaus-Manager bedauern seinen Abschied

Trotz aller Beliebtheit beim Publikum gilt es unter Szene-Kennern als offenes Geheimnis, dass Masur zunächst nicht wirklich gehen wollte. Eine einflussreiche Minderheit in der Geschäftsführung hatte erfolgreich versucht, Masur vom Pult zu drängen. Gegen den erklärten Willen der Musiker sollte ein jüngerer Musikdirektor für Innovation sorgen. Inzwischen dürften die Konzerthaus-Manager es längst bereuen, dass sie Masurs Vertrag vor zwei Jahren nicht verlängern wollten.

Das ersehnte "Junggenie" haben die New Yorker indes immer noch nicht gefunden. Jetzt wechselt der 72-jährige Lorin Maazel als Platzhalter von München nach New York. Masurs Abschied von New York bedeutet aber längst nicht das Ende seiner Laufbahn. In Paris wartet schon das Orchestre National de France auf seinen neuen musikalischen Direktor, und für die Londoner Philharmoniker ist Masur nach wie vor als Chefdirigent tätig.

Sozialistisches Aushängeschild

Den Grundstein für seinen Weltruhm hatte Masur schon 1970 in Leipzig gelegt, als er mit 43 Jahren die Leitung des traditionsreichen Leipziger Gewandhaus-Orchesters übernahm. Zuvor hatte der im schlesischen Brieg geborene Masur nach einer Elektriker-Lehre und kurzem Kriegsdienst verschiedene Stationen als Kapellmeister und Dirigent durchlaufen.

Kritiker warfen Masur Opportunismus und Nähe zur Staatsführung der DDR vor. In der Tat war er so etwas wie ein Aushängeschild für die Kulturleistungen des "real existierenden Sozialismus". Und auch im Privatleben zeigte sich, dass der DDR-Nationalpreisträger einen politischen Schutzengel hatte: Obwohl bei einem von ihm verursachten Autounfall drei Menschen, darunter seine erste Ehefrau, starben, gab es nie einen Prozess gegen Masur.

Unfreiwilliger Politiker

Masur selbst versteht sich als "unpolitischer Mensch". Trotzdem hat er am 9. Oktober 1989 mehr oder weniger unfreiwillig Geschichte geschrieben. "Wenn heute Abend Blut fließt, kann ich nicht den Till spielen." Mit diesen Worten stellte Masur die Aufführung des "Till Eulenspiegel" von Richard Strauss im Leipziger Gewandhaus in Frage. Draußen waren rund 70.000 Menschen angetreten, um mit aller Entschlossenheit für Demokratie in der DDR zu kämpfen.

Dem Eingreifen des renommierten Dirigenten wird es unter anderem zugeschrieben, dass der Tag zum Kerndatum einer friedlichen Revolution in der DDR wurde. Ein Gemetzel wie einige Monate zuvor auf dem Pekinger "Platz des Himmlischen Friedens" wurde verhindert. Die Folge: Masur machte als "Retter von Leipzig" Schlagzeilen und wurde so zum "Politiker wider Willen". In der Wendezeit war er zeitweise als potenzielles Staatsoberhaupt der DDR und 1993 als möglicher Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten im Gespräch. Die Übernahme politischer Ämter lehnte Masur aber konsequent ab.

Privatleben bleibt geheim

Über sein Privatleben schweigt sich Masur aus. Er hat eine Tochter, die Carolin heißt und aus der Ehe mit seiner verstorbenen zweiten Frau stammt. In dritter Ehe ist er mit der Japanerin Tomoko verheiratet. Aus dieser Ehe ging sein Sohn Ken David hervor. Gesundheitliche Probleme hat Masur lange vor der Öffentlichkeit geheim gehalten. Im Dezember vergangenen Jahres musste er sich in Leipzig einer Nierentransplantation unterziehen.