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Briefwechsel von Helmuth James und Freya von Moltke

28. März 2011

Es sind die letzten, bis heute nicht veröffentlichten Briefe zwischen dem NS-Gegner Helmuth James und seiner Frau Freya von Moltke. Geschrieben im Gefängnis und außerhalb. Ein bewegendes Buch.

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Cover des Buches 'Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel' von Helmuth James und Freya von Moltke (C.H. Beck-Verlag)

"Ich habe keine Furcht vor dem Tod und glaube, Euch in irgendeiner Form zu behalten und ich habe animalische Angst vor dem Sterben, es schmerzt mich, dass ich Dich und die Söhnchen mit diesen meinen Augen nicht wiedersehen werde." Als Helmuth James von Moltke diese Zeilen schreibt, ist er 37 Jahre alt und bereits seit Monaten in Haft. Die NS-Justiz wirft ihm Hochverrat vor. Moltke hat - nach sechs Monaten so genannter "Schutzhaft" im Konzentrationslager Ravensbrück - ein bisschen Glück im Unglück. Er sitzt jetzt im Gefängnis Berlin-Tegel ein und dort geht es nicht ganz so grausam zu wie an anderen Haftstätten des nationalsozialistischen Regimes. Dennoch ist sich der Gefangene sicher, dass ihn am Ende das Todesurteil erwarten wird.

Im Widerstand

Helmuth James von Moltke ist ein Gegner der Nationalsozialisten. Auf seinem Gut Kreisau, östlich von Berlin, hat er mit Gleichgesinnten darüber nachgedacht, wie man dem Terror ein Ende bereiten und ein besseres, ein demokratisches Deutschland schaffen könnte. Die Anwendung von Gewalt oder Attentate auf die Repräsentanten des Regimes hatte der junge Jurist stets abgelehnt – anders als die Widerstandskämpfer des 20.Juli 1944. Dennoch gab es Kontakte zu der Gruppe um Claus Graf Schenk von Stauffenberg. Diese Kontakte werden Moltke schließlich zum Verhängnis. Er wartet nun in Tegel auf seinen Prozess vor dem so genannten Volksgerichtshof. Fast täglich schreibt er einen Brief an seine Frau Freya und ebenso regelmäßig erhält er Post von ihr.

Im Herbst 1944 – der Krieg hat seine volle Wucht längst entfaltet - ist sie zwischen dem Kreisauer Familienanwesen und Berlin unterwegs, unermüdlich auf der Suche nach Hilfe und Rettung für ihren vom Tode bedrohten Mann. Auch praktische Dinge wie Kleidung, Obst, zusätzliche Nahrungsmittel, sollen dem Häftling das Leben in der Zelle erleichtern. Vor allem aber ihr liebevoller Zuspruch: "Wir sind wirklich sehr reich und haben, davon bin ich überzeugt, das höchste Glück genossen, was es auf dieser Welt gibt. Wie viel werde ich, wenn Du nicht mehr lebst, Schönes und Beglückendes zu denken haben! Ich werde alt und anders werden, aber in mir wirst Du immer drin bleiben, bis ich sterben und Dich so oder so wiederfinden darf."

Geschmuggelte Briefe

Helmuth James von Moltke (Mitte) und Freya (rechts), Eugenie Schwarzwald (links) (Foto: C.H. Beck-Verlag)
Helmuth James von Moltke (Mitte) und Freya (rechts)Bild: Privat

Helmuth James und Freya von Moltke sind seit dreizehn Jahren verheiratet – ein glückliches junges Paar mit zwei kleinen Kindern, das sich nun in einer ausweglosen Extremsituation befindet, die von beiden schier übermenschliche Kraft verlangt. Sie schreiben sich Briefe der Hoffnung und Verzweiflung, der Ermutigung und des Trostes, voller Liebe und Sorge, humorvoll auch, und aufmunternd. Sehen dürfen sie sich nur selten. "Mein Lieber, eben komme ich von dem Besuch in Deinem Gefängnis zurück, nachdem ich in der Stadt gegessen habe. Ich saß im Wartezimmer und schickte alle meine Gedanken der Liebe zu Dir hinauf. Dann kam der freundliche Wachtmeister mit Deinen Sachen. Die Weste war noch warm von Dir. Und brachte mir, wenn nicht einen Kuss, so doch ein bisschen davon."

Dass die Briefe ihre Adressaten überhaupt erreichen können ist nur möglich mit Hilfe von Harald Poelchau. Als Gefängnispfarrer in Tegel betreut er viele politische Gefangene des NS-Regimes. Mit Helmuth James von Moltke verbindet den Pfarrer eine besondere Freundschaft. Poelchau schmuggelt die geheimen Schreiben, vorbei an der Zensur, in seiner Jacke hin und her - und riskiert dabei sein eigenes Leben. Dass er unentdeckt bleibt grenzt an ein Wunder.

Dialog durch Gefängnismauern

Helmuth Caspar und Freya von Moltke im August 2009 (Foto: Dorothea von Haeften)
Herausgeber Helmuth Caspar von Moltke mit seiner Mutter Freya 2009Bild: Dorothea von Haeften

Das Ehepaar hat sich immer viel geschrieben. Ein großer Teil der umfangreichen Korrespondenz ist in den letzten Jahrzehnten veröffentlicht worden – nicht so diese Abschiedsbriefe. Die 2010 hoch betagt verstorbene Freya betrachtete sie zu ihren Lebzeiten als zu persönlich und an alte Wunden rührend. Sie gestattete aber eine Publikation posthum. Ihr Sohn Helmuth Caspar hat sie nun, kurz vor dem hundertsten Geburtstag seiner Mutter am 29. März 2011, zusammen mit Schwägerin Ulrike herausgegeben. Er sagt: "Ich kannte die Briefe meines Vaters aus dieser Zeit, aber die Briefe meiner Mutter hatte ich nie gelesen. Wir haben diese Briefe nach ihrem Tode abgeschrieben und sie auch zeitlich mit denen meines Vaters verbunden, so dass ein Dialog zwischen meinen Eltern entstanden ist. Und das hat mich nochmals sehr berührt. Es ist ihnen doch gelungen durch die Mauern des Gefängnisses Tegel hindurch miteinander einen enorm nahen, intimen, liebevollen und doch freudigen Dialog zu führen."

Das erschütternde Buch gibt Einblick in die Gefühlswelt des Häftlings Helmuth James von Moltke: Seine Angst bei nahen Bombenangriffen, denen die Gefangenen schutzlos in ihren Zellen ausgesetzt waren. Seine Verzweiflung und Not angesichts der unausweichlich bevorstehenden Hinrichtung. Die Hoffnung auf ein Wunder, das doch noch geschehen möge. Das Vertrauen auf Gott – die Moltkes waren tief gläubige Protestanten. Beide Ehepartner lasen dieselben Bibelstellen und tauschten sich intensiv darüber aus. Die Briefe schildern auch, womit sich Freya von Moltke in dieser Zeit draußen konfrontiert sah: Die kleinen Söhne, die Verwaltung des Gutes in Kreisau, ein trotz aller Schwierigkeiten reiches und liebevolles Familienleben, unendliche Gänge zu nationalsozialistischen Behörden, Gespräche, Bitten an die Vertreter des verhassten Regimes, Kontakte zu Anwälten, Angehörigen, Unterstützern. All dies zeigt eine beherzte, lebensbejahende und pragmatische junge Frau.

Der Tod, ein Begleiter

Helmuth James Graf von Moltke (Foto: dpa)
Helmuth James von MoltkeBild: picture-alliance/ dpa

An der Jahreswende 1944/45 freilich fällt es beiden Ehepartnern schwer, zuversichtlich zu bleiben. Helmuth James schreibt: "Ein merkwürdiges Jahr geht für mich zu Ende, Ich habe es eigentlich vor allem unter Leuten verbracht, die für einen gewaltsamen Tod präpariert wurden, und viele von denen haben ihn inzwischen erlitten. Der Tod ist so ein Begleiter des ganzen Jahres geworden. Und nun, sage ich mir, bin ich dran." Seine Frau antwortet: "So betrete ich mit Dir 1945 voller Hoffnung, nicht voller konkreter Hoffnung, aber mit einem nicht zu definierenden Glück- und dankvollen Gefühl der Zuversicht, das von Deinem vielleicht so nahen Tod gar nichts weiß."

Mehrmals wird die Verhandlung gegen Helmuth James von Moltke vertagt – aber das ist nicht mehr als ein Aufschub. Freya macht ihrem Mann Mut. Er dürfe nicht aufgeben, sich nichts gefallen lassen, solle kühn bleiben und ungebeugt, sich bis zum letzten verteidigen. Der Volksgerichtshof unter seinem Präsidenten Freisler kennt schließlich keine Gnade und spricht am 10. Januar 1945 das Todesurteil. Ein Mal noch kann sich das junge Paar sehen. Helmuth James ahnt, dass es das letzte Mal gewesen ist: "Nur ein Wörtchen will ich Dir schreiben. Wo magst Du sein, mein Herz? Ob Du in Berlin oder ob Du umgekehrt bist? Solltest Du etwa diesen Brief nach meinem Tod bekommen und nicht in Berlin sein, so denke nicht, ich sei darüber traurig gewesen, dass Du nicht hier bist. Darüber sind wir doch beide durch die Lehre der letzten dreieinhalb Monate erhaben geworden."

Das Ende

Dieser Brief ist datiert vom 23. Januar 1945 – dem Tag der Hinrichtung. Die Antwort von Freya hat Helmuth James nicht mehr lesen können: "Mein liebes, liebes Herz, es ist schon so: Unsere Augen können keine Rettung aus Deiner Lage ringsum erspähen, nirgends sehe ich ein Fünkchen, es sei denn, der Reichsführer selbst tut was, und auch das halte ich für unwahrscheinlich. Nein, ich sehe nichts. Aber dieses letzte Jahre und diese letzten Monate haben uns gelehrt, dass das vor Gott nichts zu bedeuten hat, haben uns das ganz klar, geradezu greifbar gelehrt, sodass wir sagen können: Noch lebst Du und solange Du lebst gibt es Möglichkeiten, dass Du am Leben erhalten werden kannst."

Autorin: Cornelia Rabitz

Redaktion: Marlis Schaum

Caspar von Moltke, Ulrike von Moltke (Hrsg.): "Helmuth James und Freya von Moltke. Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel. September 1944 – Januar 1945", Verlag C.H.Beck, 608 Seiten, ISBN 978 3 406 61375 3, 29,95 Euro