1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Abschlusszeugnisse für Beitrittskandidaten

6. November 2003

Grundsätzlich sind die zehn Beitrittskandidaten für die EU-Erweiterung zum 1. Mai 2004 gut auf ihre Mitgliedschaft vorbereitet. Doch im Detail gibt es noch dringend Nachbesserungsbedarf.

https://p.dw.com/p/4IBj
Willkommen (bald) an Bord!

In ihren am Mittwoch (5.11.2003) in Brüssel veröffentlichen Fortschrittsberichten nennt die EU-Kommisson fast 40 Bereiche, bei denen der Stand der Vorbereitungen Anlass zu "ernsten Bedenken" gebe. Alle zehn EU-Beitrittsländer haben ein halbes Jahr vor ihrer Aufnahme in die Europäische Union (EU) nach Einschätzung der EU-Kommission noch nicht alle Rechtsstandards umgesetzt. In allen Ländern sei zudem die Korruption noch ein großes Problem.

Nach wie vor Defizite vorhanden

In allen zehn Ländern sieht die Kommission noch die Notwendigkeit zu "verstärkten Anstrengungen" in den nächsten sechs Monaten. Zudem seien in einigen Bereichen unverzüglich nationale Gesetze und Verwaltungen auf EU-Kurs zu bringen. Die Kommission beschloss, allen zehn Ländern deshalb Mahnschreiben zu schicken. Die neuen Mitglieder müssten das geltende EU-Recht mit dem ersten Tag des Beitritts umsetzen, betonte die Kommission. Andernfalls müssten sie mit Verfahren, Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof, Sperren bei der Auszahlung von Geld etwa für Landwirte und einer vorübergehende Ausnahme vom EU-Binnenmarkt rechnen. "Wir werden nicht zulassen, dass das Funktionieren der Union ernsthaft beschädigt wird oder etwa schwerwiegende Risiken für die Gesundheit der Verbraucher eintreten", sagte Verheugen. Es sei im Interesse der Beitrittsländer, die Defizite auszubügeln. Es gehe um den Zugang zu Fördermitteln und darum, ob Fabriken geschlossen werden müssten und Menschen arbeitslos würden. Die Kommission werde Vertragsverstöße entschlossen ahnden.

Die Länderliste:

Slowenien

ist nach Einschätzung der Kommission der Musterschüler unter den Beitrittsländern. Ernste Einschränkungen sieht die Behörde nur hinsichtlich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, weil slowenisches Arbeitsrecht die EU-Normen zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsabschlüssen bislang nicht erfüllt. Damit haben allerdings fast alle Beitrittsländer noch Probleme. Das gilt auch für die Bereiche, bei denen sich Slowenien noch "verstärkt anstrengen" soll, so bei der Gewährung der Niederlassungsfreiheit, beim Kampf gegen Betrug und Korruption oder beim Schutz geistigen Eigentums.

Das Schlusslicht der Brüsseler Mängelliste mit neun besonders deutlichen Problemen ist Polen, wo in den vergangenen zwölf Monaten der Reformkurs nahezu zum Stillstand gekommen sei. Gleich in neun Bereichen hat die Kommission ernste Bedenken angemeldet. Neben der Anerkennung von Berufsabschlüssen gilt dies unter anderem für die Kontrolle der Lebensmittelsicherheit und eine entsprechende Modernisierung der Betriebe, die Überwachung übertragbarer Tier- und Pflanzenkrankheiten wie der Rinderseuche BSE und der Kartoffelfäule. Wie die meisten Beitrittsländer liegt auch Polen noch mit dem Aufbau der für die Zahlung der EU-Agrarbeihilfen notwendigen Infrastruktur zurück. Dass Polen die längste Mängelliste habe, heiße nicht, dass es schlechter da stehe, sagte Erweiterungskommissar Günter Verheugen. Wegen der Größe des Landes habe es vielmehr auch andere Probleme als andere.

Im Mittelfeld liegen die anderen Beitrittsländer: Estland, Lettland, Litauen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn sowie Malta und Zypern. Dabei schneiden die Baltenstaaten besser ab als die anderen. Außer bei der Anerkennung der beruflichen Qualifikationen und der Gleichstellung der Geschlechter im Beruf hat die Kommission in Estland keinen dringlichen Reformbedarf festgestellt. Litauen soll besonders die Kontrolle der Fischereiwirtschaft verbessern. In Lettland werden unter anderem Mängel bei der Überwachung übertragbarer Tierkrankheiten sowie mangelhafte Steuer- und Zollvorschriften kritisiert.

In Tschechien, der Slowakei und Ungarn werden insbesondere mehr Fortschritte bei der Einhaltung der Standards für die Lebensmittelhygiene angemahnt. Tschechien soll die Vorschriften für den Straßengüterverkehr anpassen. In der slowakischen Lebensmittelproduktion wird der Modernisierungsstand in der Verarbeitung bemängelt, in Ungarn die Kontrolle der öffentlichen Finanzen.

Unter den beiden beitretenden Mittelmeerstaaten hat vor allem Malta Bedarf an schnellen Reformen. Dazu zählt die Kommission die Anpassung der Werftenpolitik an die EU-Wettbewerbsvorschriften und die Vorschriften im Lebensmittelrecht. Malta und Zypern gemeinsam liegen beim Aufbau der Infrastruktur für die Agrarbeihilfen noch deutlich zurück und sollen zudem dringend ihre Vorschriften über die Sicherheit auf See nachbessern.

Die Türkei ist der einzige Beitrittskandidat, mit dem die EU noch nicht verhandelt. Die Kommission erklärte erstmals, wenn es keine Einigung über die strittige Frage der Wiedervereinigung Zyperns gebe, sei dies "ein ernstes Hindernis" für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Zypern ist seit 1974 in einen international anerkannten Südteil und einen nur von der Türkei anerkannten Nordteil geteilt. Daher kommt der Türkei beider von der EU erhofften Wiedervereinigung des Inselstaates noch vor dessen Beitritt im Mai eine Schlüsselrolle zu. Die Türkei sagte umgehend Kooperation zu. "Wir werden große Anstrengungen unternehmen, um das Problem vor dem 1. Mai 2004 zu lösen", sagte Außenminister Abdullah Gül. (arn)