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Absturz nach dem Einsatz

23. Mai 2013

Im KSK, einer Eliteeinheit, kämpfte Markus Kreutzer in Afghanistan. Der Bundestag hatte ihn dorthin entsandt. Nach traumatischen Erfahrungen beklagt der Soldat heute mangelnde Unterstützung durch die Öffentlichkeit.

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Deutsche Soldaten umarmen sich nach der Rückkehr von einem Einsatz in Afghanistan (Foto/Archiv: AP)
Bild: AP

Schwarz waren die Tage, "es gab keinen Sinn mehr in meinem Leben", so erinnert sich Markus Kreutzer (Name geändert) an die Zeit, als das Trauma die Oberhand gewann. Fünf Afghanistan-Einsätze mit dem Kommando Spezialkräfte (KSK) hatte er hinter sich. Er hatte immer funktioniert: bei Fallschirmabsprüngen in feindlichem Gebiet, tagelangen Gefechten mit Aufständischen oder als er einem Kameraden das Bein amputieren musste. Jetzt sollte er als Ausbilder jüngere Soldaten auf den Einsatz vorbereiten. Doch irgendwann ging das nicht mehr: "Ich konnte nicht mehr in die Gesichter der Jungs sehen, der jungen Fallschirmjäger", sagt Kreutzer, "weil ich wusste, 'im schlimmsten Fall kommt ihr im Leichensack nach Hause'". Kreutzer, früher kommunikativ und positiv, wurde aggressiv. Der ambitionierte Sportler trank jeden Tag Alkohol, zog sich immer mehr zurück.

Der Soldat Markus Kreutzer (Name geändert) steht vor einem Fenster (Foto: DW)
Der Soldat zog sich immer mehr aus der Gesellschaft zurückBild: DW

Ein Vorgesetzter wurde aufmerksam, riet ihm, die Spezialkräfte zu verlassen. Das ist jetzt einige Jahre her. Danach stürzte Kreutzer noch tiefer ab. Er konnte nicht mehr schlafen, ging um 2 oder 3 Uhr nachts ins Bett, stand um 5 Uhr wieder auf, um laufen zu gehen. Er wollte niemanden sehen, dachte an Selbstmord: "Jetzt vor den Zug zu laufen, wäre das denn wirklich so schlimm?" Alpträume quälten ihn. Auch heute noch wacht er manchmal schweißgebadet auf.

"Die Toten sind permanent da"

Sieben afghanische Kinder, die nach einem Selbstmordanschlag mit abgerissenen Gliedmaßen auf der Straße lagen, das ist eines der Bilder, die Markus Kreutzer nicht mehr aus dem Kopf gehen. Bilder und Gerüche - lange Zeit konnte er den Geruch von gebratenem Fleisch nicht ertragen, er roch wieder das verbrannte Fleisch der Kameraden, die in einen Sprengsatz gefahren waren, er roch das verbrannte Fleisch der verletzten und getöteten Kinder. Er musste sich übergeben, er lief weg. "Die Toten", sagt er, "sind permanent da, die kommen und die gehen, aber sie werden wahrscheinlich nicht wieder gehen". Er selber war damals noch nicht Vater, weil er das als KSK-Soldat nicht für verantwortlich hielt. Das Leid der afghanischen Kinder machte ihm schon im Einsatz zu schaffen: "Wir sind unten zum Kämpfen, und da sind wir Profi genug, um zu sagen: Wir können verletzt werden, wir können getötet werden. Wir sind so gut ausgebildet, dass es hoffentlich nicht passiert, aber wir wissen, dass das Gegenüber es auf uns absieht. Das ist für mich nicht ganz so schlimm, für mich sind es einfach diese Unschuldigen".

Der Soldat Markus Kreutzer (Name geändert) hält liegend ein Gewehr im Anschlag (Foto: privat)
KSK-Soldat Markus Kreutzer (Name geändert) bei der Vorbereitung auf den Afghanistan-EinsatzBild: privat

Zu den schlimmsten Erfahrungen zählt Kreutzer: "Wenn wir auf Ortschaften zugingen, in denen die Taliban uns bekämpft haben und Frauen und Kinder an die Fenster gebunden haben". Die Aufständischen hätten genau gewusst, wie die Deutschen reagierten: "dass wir uns da lieber zurückziehen und lieber selber draufgehen, bevor wir auf Frauen und Kinder schießen. Da habe ich wirklich Unmenschlichkeit kennengelernt". Markus Kreutzer sagt, dass er nie auf Frauen und Kinder geschossen habe. Aufständische aber hat sein Einsatztrupp getötet, das weiß er, er hat sie sterben sehen. Für den Soldaten ist auch das eine Erfahrung, mit der man sich nicht abfinden könne. Er habe irgendwann gedacht: "Dieser Junge da drüben, der hatte genauso Vater und Mutter wie du, der hatte vielleicht genauso eine Frau wie du, vielleicht hat er auch sogar Kinder gehabt. Er stand auf der anderen Seite, aber welche Seite ist die richtige? Das muss man sich natürlich fragen". Jetzt, mit Mitte 40, hat Markus Kreutzer viele Fragen, dabei war er mit sehr viel Idealismus in seinen Beruf gestartet.

"Wir werden nicht anerkannt"

Er stammt aus einer Soldatenfamilie und wollte deutsche Bürger weltweit schützen. Heute sieht er das Verhältnis zur Bevölkerung kritisch: "Wir stehen als Soldat so weit abseits der Gesellschaft, wir werden nicht anerkannt". Man rufe nach dem KSK, wenn Touristen bei Abenteuerurlauben in Gebieten entführt würden, für die eine Reisewarnung bestand, sonst aber erkenne man den hohen persönlichen Einsatz der Soldaten überhaupt nicht an.

Aufnahme mit dem Nachtsichtgerät von Bundeswehrsoldaten in Afghanistan (Foto: dpa)
Nächtliche Patrouille beim Afghanistan-EinsatzBild: picture-alliance/dpa

Kreutzer war einer der ersten Kommandosoldaten des KSK und gehörte zu den ersten Bundeswehrsoldaten, die nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und einem Beschluss des Bundestags nach Afghanistan kamen, um gegen Terroristen zu kämpfen. "Für uns Spezialkräfte war es Krieg, also am zweiten, dritten Tag waren wir schon in den ersten Feuerkämpfen", erinnert sich Kreutzer. Die Mitglieder der deutschen Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK) hätten unter US-amerikanischer Führung zunächst "Al Kaida-Nester aufgespürt, markiert und über Kampfjets zerstören lassen". Damals wurde der Einsatz geheim gehalten. Ein Fehler in einer Demokratie, meint Kreutzer heute, Einzelheiten müsse keiner kennen, aber die Soldaten brauchten den Rückhalt der Bevölkerung.

Enttäuscht von der Führung

Mehr Verständnis und Unterstützung hätte sich Kreutzer auch von der Bundeswehrführung außerhalb des KSK gewünscht. Fassungslos und wütend erzählt er, wie realitätsfremd manche Kommandeure in Afghanistan aufgetreten seien, indem sie verboten hätten, Maschinengewehre auf die Fahrzeuge zu montieren: "Die Leute haben gar nicht kapiert, dass sie sich im Krieg befunden haben. Die haben echt gedacht, durch unsere permanente deutsche Freundlichkeit bereinigt man das. Das hat nicht funktioniert, weder im Norden noch im Süden", sagt Kreutzer, "und diese Leute werden von der Politik gehört."

KSK-Soldat Markus Kreutzer (Name geändert) übt die Sanitätsversorgung bei einem Kameraden (Foto: privat)
Kreutzer hat gelernt, Schwerstverletzte zu versorgenBild: privat

Markus Kreutzer hat extreme Erfahrungen gemacht, auch weil er der Sanitätsexperte seines Trupps war, der sogenannte "medic". Er hat unter Einsatz seines Lebens US-amerikanische Kameraden aus dem Feuer geholt, denen Arme oder Beine abgerissen waren, berichtet er. Eingebrannt haben sich ihm auch Situationen, "wenn Gedärme raushängen, wenn dieser Geruch da ist und man arbeitet an diesen Leuten". Einem seiner Kameraden, einem sehr guten Triathleten, wurde das Bein fast abgetrennt, als der Trupp auf einen improvisierten Sprengsatz lief. "Auch da habe ich funktioniert", berichtet Kreutzer, "man spricht da ganz sachlich dann darüber und sagt: 'Pass auf, ich mach' dich jetzt erst mal schmerzfrei, wir müssen das Ding abnehmen' und das ist natürlich schon hart". Viel schlimmer aber wurde es für ihn nach der Amputation, "wenn man dann über Stunden jemanden am Leben halten muss, weil die eigene Armee es nicht fertigbringt, den Kameraden rauszufliegen, weil wir zu wenig Hubschrauber im Einsatz haben". Geholfen hätten am Ende immer wieder US-amerikanische Soldaten oder andere Alliierte, die die Deutschen unter Lebensgefahr aus umkämpftem Gebieten geflogen hätten, berichtet Kreutzer.

Hoher Einsatz, kein Erfolg

Bitter fällt Kreutzers Bilanz des Afghanistan-Einsatzes aus: "Wir gehen 2014 raus und 2015 ist das Land wieder in den Händen der Taliban". Sein hoher Einsatz und der seiner Kameraden, sagt er heute, habe nichts verändert: "Man hat Leute kaputt gemacht für nichts und wieder nichts. Diese Erfolge, die mir auch meine Bundeskanzlerin probiert einzureden, die kann ich nicht sehen". Kreutzer erzählt, was er und seine Kameraden nach ihrem ersten Afghanistan-Einsatz vergeblich empfohlen hätten: "Keine Truppen reinschicken, nur Satellitenüberwachung, Drohnen, Spezialeinheiten reinschicken, also reingehen, zerschlagen, rausgehen. Dann hätten wir wesentlich weniger Tote gehabt und wir hätten Milliarden Euro gespart. Aber das war einfach ein Politikum."

Hochdekoriert wurde Kreutzer für seine Einsätze, doch Abzeichen für die Uniform trägt er nicht: "Ich brauche das nicht für mein Ego. Ich habe das damals gemacht, weil ich es für sinnvoll hielt". Er blickt sich in seiner Wohnung um: "Oder sehen Sie hier irgendwas Militärisches?" Sein Therapeut habe ihn ermutigt, einen Schnitt mit der Vergangenheit zu machen. "Diese ganzen Ehrenkreuze oder Gefechtsorden oder was es da mittlerweile alles gibt, die sind bei mir alle in der Mülltonne gelandet." Behalten hat er den Traditionsring seiner Einheit und sein Fallschirmspringer-Abzeichen, weil es ihm schwer fiel, sich hunderte Male aus den Wolken zu stürzen.

"Wir sind auch Deutschland"

Der KSK-Soldat Markus Kreutzer (Name geändert) mit seinem Sohn am Tisch (Foto: DW)
Kreutzer wünscht nicht, dass seine Kinder Soldaten werdenBild: DW

"Papa, ein Hubschrauber", sagt der kleine Sohn beim Blättern durch ein Buch über das Kommando Spezialkräfte. Auch von Markus Kreutzer gibt es darin Bilder, unkenntlich gemacht wie die Gesichter aller KSK-Soldaten. Der Vater hat sich fest vorgenommen, später mit seinen Kindern über seine Erfahrungen zu reden: "Einfach zu sagen, passt auf - es macht euch kaputt. Überlegt euch: Ist es das wert?" Zwei Ehen sind gescheitert, keine Seltenheit bei KSK-Soldaten. Seine dritte Frau, die Kinder und sein Glaube haben Kreutzer geholfen, wieder im Leben Fuß zu fassen. Angewiesen bleibt er auch auf seinen Therapeuten, der bei ihm eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) diagnostiziert hat. Seit Jahren steigen die PTBS-Behandlungen in der Statistik der Bundeswehr. 2011 zählte man 922, ein neuer Höchststand. Hilfsverbände glauben, dass es noch viel mehr sind.

Markus Kreutzer wünscht sich, dass Politiker sich um die Soldaten kümmern, die sie in den Einsatz schicken: "Wir sind auch Deutschland, wir sind die Bevölkerung". In Deutschland aber habe man Angst: "Wir haben immer noch dieses 'Zweiter Weltkriegs-Trauma'. Soldat sein bedeutet immer, etwas Böses zu sein und das sehe ich einfach nicht so". Er wünscht sich, dass bei offiziellen Anlässen wie etwa beim Bundespräsidenten auch einmal verletzte Soldaten eingeladen werden. Vor allem aber müssten diese Soldaten nach ihrer Rückkehr besser versorgt werden.

Kreutzer selbst ist Berufssoldat und damit als Beamter auf Lebenszeit abgesichert. Er hat jetzt einen Schreibtisch-Job. Viele andere Einsatz-Rückkehrer aber sind als Zeitsoldaten ausgeschieden aus der Bundeswehr. Wer erst danach an PTBS erkrankt, muss langwierige Anträge stellen. Manche, die als Soldaten verwundet oder traumatisiert wurden, kämpfen heute um ihre Existenz. In Hamburg lebte ein Veteran auf der Straße, das macht Markus Kreutzer wütend. Zusammen mit anderen versucht er zu helfen. Er ist Mitglied im Bund Deutscher Veteranen, der die Betroffenen betreut und politische Lobbyarbeit für sie macht. Was wünscht sich Markus Kreutzer von den Deutschen? "Probiert ein bisschen respektvoller mit den Soldaten umzugehen. Wir sind für euch da draußen", sagt er und setzt dann hinzu: "Die werden jetzt wieder alle denken, 'was für ein Spinner', aber es ist einfach so."