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Abu Ghraib und die Folgen

Stephan Bachenheimer26. August 2004

Der Folterskandal im Irak hat dem amerikanischen Ansehen in der Welt schwer geschadet. Meinungsumfragen liefern jedoch keinen Hinweis darauf, dass die Bush-Regierung politisch angeschlagen ist.

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Immer mehr Details werden in diesen Tagen über den Gefängnisskandal im irakischen Gefängnis Abu Ghraib bekannt: nicht nur sadistische Einzeltäter waren am Werk. Missbrauch und Folter wurden teilweise befohlen. Aber die Befehlslage ist keine Entschuldigung: Manche Soldaten haben sich geweigert, Gefangene zu misshandeln. Bei anderen fehlte das moralische Urteilsvermögen, die Fähigkeit, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden. Ein Versagen der individuellen und kollektiven Kontrollmechanismen beim US Militär.

In Abu Ghraib wurde gegen uramerikanische Prinzipien verstoßen. Und dieser Defekt bleibt in Amerika nicht folgenlos: Mit dem sprichwörtlichen amerikanischen Tatendrang machen sich jetzt die Untersuchungskommissionen Konkurrenz. Fast wird darum geeifert wer die meisten Schuldigen nennen kann. Selbst Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, der eine Untersuchung in Auftrag gegeben hat, zieht nun selbst den Schwarzen Peter: sein Untersuchungsbericht weist ihm Mitverantwortung für das Chaos in Abu Ghraib zu. Die Spielregeln zwingen die politische Führung, sich selbst in die Mangel zu nehmen. Und die demokratischen Kontrollinstanzen? Sie sind in bemerkenswert guter Verfassung.

Keine Konsequenzen für Bush

Aber, wie geht Amerika mit den neugewonnenen Einsichten um? Laufen dem Präsidenten wegen des Folterskandals die Wähler davon? Vor wenigen Tagen saß ich in einer Abendvorstellung des Washingtoner Improvisationstheaters. Die Show war ausverkauft, der Kabarettist aus dem Fernsehen bekannt. Zum Abschluss der Show gab es Irak-Pointen: "Wenn die Araber nicht spuren, dann nehmen wir uns eben noch ein Land. Abu Ghraib? So geht es auf jeder besseren Party zu. Kritiker, schert Euch zum Teufel." Ein tobendes Publikum, der Mann sprach den Leuten aus der Seele. Wie gesagt, es war bloß Kabarett. Aber unrühmliche Episoden wie Abu Ghraib sind eben nur schwer mit dem patriotischen Selbstverständnis Amerikas zu vereinbaren.

Fehler gehören dazu

Klischee oder nicht: Amerika versteht sich als Land der Freiheit, das bereit ist für diese Freiheit auch anderswo Opfer zu bringen. Ein Land, das Diktatoren beseitigt und im Irak Schulen baut. Amerika als Land des guten Willens. Politisch ist das so differenziert wie eine Montagsdemo gegen die Hartz-Reform – aber jedes Land hat eben seine Eigenheiten.

Amerika ist eine "Meritocracy" - wer sich einsetzt und was leistet, wer Initiative zeigt, der hat sich seine Meriten verdient. Fehler gehören dazu. Das gilt auch für die politische Führung. Unrühmliche Episoden wie Abu Ghraib sind im patriotischen Selbstverständnis Fehler, die es zu korrigieren gilt. Am fundamentalen Selbstverständnis rütteln sie nicht – denn das grundsätzliche demokratische Gefüge und die demokratische Selbstkontrolle sind in den USA fest verankert.

Schleppende Kritik

Auch wenn Skandal gerufen wird: Amerikas Wähler sind geduldig mit ihren Politikern. Der Bewegungsspielraum der Politik erscheint oft größer als in Deutschland und Europa. Nicht jede Idee, nicht jede Initiative wird gleich totkritisiert. Optimismus schlägt Zweifel. Die Kehrseite: Auch berechtigte Kritik setzt bisweilen nur schleppend ein.

Um darauf zurückzukommen: Haben Amerikas Wähler nach dem Folterskandal noch Geduld mit der Busch-Regierung? Eindeutig ja, denn einer Umfrage der LA Times zufolge liegt Bush wieder mit 49% der Stimmen vor Herausforderer John Kerry.

Kriegspräsidenten, so lautet eine amerikanische Weisheit, werden nicht mitten im Krieg abgewählt. Und ein Krieg gegen den Terror hat naturgemäß ein offenes Ende. Aber auf Amerikas Institutionen ist eben Verlass. Die Gründerväter haben scheinbar an alles gedacht. Nach spätestens acht Jahren wird auch einem Kriegspräsidenten gekündigt.