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Verurteilt wegen "schlechten Benehmens"

Shabnam von Hein
19. Oktober 2016

Für Frauen in Afghanistan reicht es schon aus, sich "schlecht zu benehmen", um im Gefängnis zu landen und misshandelt zu werden. Samira Hamidi vom afghanischen Frauennetzwerks, verlangt Gerechtigkeit.

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Afghanistan Frauen Moral Gefängnis
Viele Frauen sind wegen "schlechtem Benehmen" in Afghanisten inhaftiertBild: picture-alliance/AP Photo

DW: Afghanistan hat rund 30 Millionen Einwohner. Laut offiziellen Angaben sind 800 Frauen in Gefängnissen inhaftiert. Das klingt nach einer recht kleinen Zahl. Dennoch sollen wegen "Platzmangels in  den Gefängnissen" straffällige Frauen häufig den Stammesoberhäuptern überlassen werden. Sie haben keine Rechte und werden wie Sklaven behandelt. Was wissen Sie darüber?

Samira Hamidi: Wir haben in vielen Provinzen in Afghanistan keine Frauengefängnisse. Aber das Problem liegt nicht allein daran. Unser Rechtssystem umfasst nicht das ganze Land. Die Justiz funktioniert nicht überall. Das heißt: im vielen Teilen von Afghanistan herrscht ein inoffizielles Rechtssystem, das von Stammesoberhäuptern bestimmt wird. Sie bestimmen, wann eine Frau straffällig geworden ist und wie sie bestraft werden muss.

Wissen Sie, wie viele Frauen so behandelt werden? 

Nein. Wir wissen nur, dass die Frauen die ersten Opfer des inoffiziellen Rechtssystems sind.  Wir können kaum etwas für diese Frauen tun. Die Stammesoberhäupter wollen zum Teil gar nichts von der Justiz hören. Sie haben kein Vertrauen in das  offizielle  Rechtssystem, weil ihrer Meinung nach das ganz System korrupt und verdorben ist. Die Frauen werden in Gefangenschaft genommen und misshandelt. Diese Behandlung ist im afghanischen Rechtssystem nicht vorgesehen. 

Dennoch: Ein großer Teil der inhaftierten Frauen in den afghanischen Gefängnissen wurde offiziell wegen "schlechten Benehmens" verurteilt.  Zum Beispiel, weil sie vor prügelnden Ehemännern oder aus Zwangsehen geflohen sind oder weil sie in einen Mann ihrer Wahl verliebt sind.  

Afghan Women's Network zu Gast im Funkhaus
Samira Hamidi (Links) Frauenaktivistin und Mitglied des "Afghan Women's Network"Bild: DW

Das ist seit langem ein ernsthaftes Thema für uns. Eine Frau, die ihrer Familie entflieht, ist straffällig. Sie wird hinter Gitter gebracht, ohne nach den Ursachen gefragt zu werden. Wir wollen das ändern. Wir sind froh, dass Präsident Ashraf Ghani eine Sonderkommission einberufen hat, die sich genau mit dieser Frage beschäftigt. In dieser achtköpfigen Kommission sitzen Vertreter der Zivilgesellschaft: zum Beispiel Mitglieder von unabhängigen  Menschenrechtsorganisationen und Frauen-Aktivisten. Sie untersuchen die Fälle. Mittlerweile wurden viele Frauen begnadigt und zu unterschiedlichen Anlässen aus dem Gefängnis entlassen - zum Beispiel zum Neujahrsfest. 

Was machen diese Frauen, wenn ihre Familienangehörige sie nicht mehr wollen? 

Sie müssen leider im Gefängnis bleiben. Sie haben keinen Platz. Die Gesellschaft ist nicht bereit, sie aufzunehmen. Es gibt ja keine staatlichen Organisationen und Institutionen, die sich mit Frauenproblemen beschäftigen. Viele der Frauen die wegen sogenannten "schlechten Benehmens" hinter Gitter gebracht wurden, müssen weiter im Gefängnis leben. Manche sogar mit ihren Kindern. 

Wie versuchen Sie, diese Frauen zu unterstützen?

Wir versuchen, sie zu unterrichten, ihnen lesen und schreiben beizubringen. Viele von ihnen sind Analphabeten. Wir suchen Häftlinge, die lesen und schreiben können und mit ihrer Hilfe bilden wir kleine Unterrichts-Gruppen. Oder wir versuchen,  Ausbildungsmöglichkeiten zu schaffen und den Frauen zum Beispiel Schneidern oder Frisieren beizubringen. Aber die Angebote reichen bei weitem nicht aus. Wir haben noch einen langen Weg vor uns.

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