1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Afghanistan verlassen? Denk nochmal darüber nach"

Abdul Bari Hakim18. November 2015

Berlin will den Flüchtlingszustrom aus Afghanistan verringern und setzt dabei auf Information der Bevölkerung. Der deutsche Botschafter in Kabul erläutert der DW das Vorgehen und die Einschätzung der Lage am Hindukusch.

https://p.dw.com/p/1H6Y4
Griechenland Flüchtlingsstrom im Regen (Foto: Getty Images)
Bild: Getty Images/S. Platt

Deutsche Welle: "Afghanistan verlassen? - Bist Du sicher?", "Afghanistan verlassen? Denk nochmal darüber nach" - unter solchen Überschriften starten Sie eine Aufklärungskampagne in Afghanistan. Aus welchen Komponenten besteht diese und was ist das Ziel?

Markus Potzel: Wir wollen mit unserer Kampagne diejenigen Menschen in Afghanistan erreichen, die über eine Flucht nach Europa und insbesondere Deutschland nachdenken, und ihnen sagen: Glaubt nicht an irgendwelche Gerüchte und bewusst gestreute Falschinformationen über das angeblich so einfache Leben in Deutschland. Denkt nach, ob Ihr all Euer Hab und Gut verkaufen wollt, um kriminelle Schleuser zu bezahlen und Euer Leben auf der Flucht zu riskieren. Überlegt Euch gut, ob Ihr wirklich Eure Heimat, Eure Familie und Freunde zurücklassen wollt für eine ungewisse, gefahrvolle Zukunft weit weg von zuhause.

Dabei gehen wir zweigleisig vor: Zum einen platzieren wir ab Mitte November an ausgewählten Standorten in Kabul und Schritt für Schritt auch in Masar und Herat Plakate, auf denen wir den Menschen genau diese Frage stellen: Hast Du gut darüber nachgedacht, dass Du Afghanistan verlassen willst? Zum anderen flankieren wir die Plakataktion, indem wir über die Seite RumoursAboutGermany.info im Internet und den sozialen Medien die gängigsten Gerüchte und verklärten Darstellungen über die Aufnahmebedingungen in Deutschland widerlegen.

Botschafter Markus Potzel in Afghanistan (Foto: DW)
Berlins Botschafter in Kabul, Markus Potzel: "Wir stehen mit unserem Engagement weiter fest zu Afghanistan"Bild: DW/H. Sirat

Dabei geht es uns nicht um Abschreckung, sondern um Aufklärung über das Risiko von Flucht und irregulärer Migration und über die rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen in Deutschland.

Wir stehen mit unserem Engagement weiter fest zu Afghanistan, unser Bekenntnis zur Stabilisierung und zum zivilen Wiederaufbau des Landes gilt. Entscheidend ist jedoch, dass die Afghanen ihrer Heimat nicht in schwieriger Zeit den Rücken kehren, sondern an der Zukunft ihres Landes mitbauen.

Die Plakate sollen in Kabul, Masar-e Sharif und Herat aufgestellt werden. Sind das bereits die Sicherheitszonen, in die Afghanen abgeschoben werden können, und nach welchen Kriterien sollen diese definiert werden?

Bei der Auswahl der Standorte ging es uns allein darum, möglichst viele Menschen mit unserer Kampagne zu erreichen. Deshalb flankieren wir die Plakate auch mit Aufklärungsarbeit via Social Media und Internet. Allein auf der Facebook-Seite der Botschaft Kabul haben wir mittlerweile über 100.000 Follower.

Wir sehen aus Afghanistan immer wieder schreckliche Bilder von Anschlägen, Morden und Kämpfen. Bei diesen medienwirksamen Bildern wird leicht vergessen, dass die weit überwiegende Zahl der Menschen dieses Landes ihr ganz normales Leben weiterführt und viel mehr mit den Sorgen des Alltags - zum Beispiel mit der Frage, wie ernähre ich meine Familie - beschäftigt ist als mit Sicherheitsproblemen. Es geht uns daher nicht um „Sicherheitszonen“, sondern darum, dass die Sicherheit sich im ganzen Land verbessert. Natürlich werden wir abgelehnte Asylbewerber nur an Orte zurückführen, wo wir davon ausgehen können, dass ihnen keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben droht.

Wer sorgt in diesen Zonen für Sicherheit? Gibt es dabei ausländische Unterstützung?

Die afghanische Regierung hat nach dem Ende der ISAF-Mission wieder die alleinige Sicherheitsverantwortung im Land übernommen. Seit Anfang des Jahres haben die afghanischen Sicherheitskräfte hier unter schwierigsten Umständen eine Leistung erbracht, die uns Bewunderung abnötigt. Es hat Rückschläge gegeben – wie Kundus – und wird sicherlich weitere geben. Aber wir sind zuversichtlich, dass die afghanischen Sicherheitskräfte mit unserer Unterstützung ihrer Aufgabe letztlich gewachsen sein werden. Auch mit diesem Ziel werden wir im Dezember aller Voraussicht nach unsere Beteiligung an der Beratungs- und Ausbildungsmission Resolute Support verlängern.

Wenn abgeschobene Afghanen zurückkehren, auf welche Maßnahmen zur Wiedereingliederung können sie hoffen?

Etwa 40 Prozent der Asylbewerber aus Afghanistan werden derzeit in Deutschland anerkannt. Wer keine Verfolgung glaubhaft machen konnte, wird in seine Heimat zurückgeschickt. So will es das deutsches Recht und so will es das Völkerrecht, das die Herkunftsländer zur Wiederaufnahme verpflichtet. Afghanistan wird dieses Jahr rund 100.000 zurückkehrende Flüchtlinge aus Pakistan und Iran aufnehmen, seit 2001 sind mehrere Millionen zurückgekehrt. Das ist eine Herausforderung, der sich die afghanische Regierung stellt, die hierfür ein eigenes Ministerium hat.

Wie kann Deutschland bei der Wiedereingliederung helfen?

Deutschland engagiert sich bereits jetzt für die Reintegration von Flüchtlingen, die aus Pakistan und Iran nach Afghanistan zurückkehren. Wir stehen derzeit im Gespräch mit der afghanischen Regierung zur Frage, wie wir bei unseren Anstrengungen gegen die Abwanderung und für die Rückkehr von Emigranten zusammenarbeiten können. Wir unterstützen Afghanistan seit vielen Jahren in beträchtlichem Maß und werden im Rahmen dieser Unterstützung sicherlich auch Möglichkeiten finden, einen Beitrag zur Wiedereingliederung zu leisten.