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Islamische Willkür-Justiz

Anna Kuhn-Osius25. Oktober 2008

In Afghanistan wurde ein junger Journalist zu 20 Jahren Haft verurteilt. Der Grund: Angebliche Gotteslästerung und Kritik am Islam. Dabei scheint es vor allem um eines zu gehen: Die Macht der Warlords.

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Parvez Kaambakhsh
Unschuldig verurteilt?<br>Der junge Journalist Parvez KaambakhshBild: DW/Ratbil Shamel

Eigentlich sollte Parvez Kaambakhsh sterben. "Ich wurde in einen Raum gebracht, wo drei Richter und ein Staatsanwalt hinter ihren Tischen saßen", erzählte er seinem Bruder. "Sonst war niemand anwesend. Sie gaben mir einfach ein Blatt Papier, auf dem stand, dass ich zum Tod verurteilt worden sei. Dann brachten mich bewaffnete Wachen zurück ins Gefängnis." Das war im Januar. Sein Anwalt ging in Berufung – und erwirkte jetzt, dass das Todesurteil zu einer lebenslangen Haftstrafe umgewandelt wurde. 20 Jahre. Wofür?

Kritik am Islam

Parvez. Quelle: ap
Parvez muss für 20 Jahre in GefängnisBild: AP

Der 24-jähirge Journalistik-Student soll aus dem Internet einen Text heruntergeladen und verbreitet haben, der die Rechte von Frauen im Islam kritisiert. Und er soll kritische Fragen zum Islam gestellt haben. "Wir verurteilen Sie, Parvez Kambachsch, zu 20 Jahren Gefängnis wegen der Beleidigung des Islam und des geachteten Propheten Mohammed", erklärte der Vorsitzende Richter am Berufungsgericht in Kabul.

"Unrechtsverfahren"

Parvez beteuert bis heute seine Unschuld. Er sei im Gefängnis schwer gefoltert worden. Auch der Hauptbelastungszeuge gab im Berufungsverfahren zu: Seine belastende Aussage gegen Parvez war erzwungen worden. Trotzdem wurde Parvez schuldig gesprochen. Das Oberhaus des afghanischen Parlaments hatte sich sogar bis zuletzt für die Vollstreckung der Todesstrafe ausgesprochen. "Was wir da sehen, ist das Gegenteil von allem, wofür wir eintreten", sagt Ulrich Delius von der Gesellschaft für bedrohte Völker. "Mit Rechtsstaatlichkeit hat das nichts zu tun. Es handelt sich um ein absolutes Unrechtsverfahren."

Sippenhaft

Yaqub Ibrahimi
Der Bruder Yaqub Ibrahimi ist ein bekannter JournalistBild: DW/Ratbil Shamel

Menschenrechtsorganisationen sind sich einig, dass die Strafe an Parvez eigentlich seinem Bruder gilt. "Yaqub Ibrahimi ist einer der engagiertesten und hoffnungsvollsten Journalisten Afghanistans", sagt Ulrich Delius. "Er ist ein unermüdlicher Streiter für Gerechtigkeit. Was er macht, ist sehr mutig, aber auch extrem gefährlich." Ibrahimi ist einer der schärfsten Kritiker der Warlords, die den Norden Afghanistans beherrschen. In seinen Berichten zeigt er auf, wie es dort wirklich um Frauenrechte steht, verfolgt die Wege des Opiums und berichtet über den Waffenhandel Richtung Pakistan. Mit seinen Berichten setzte er die Machthaber unter Druck.

Die Folgen blieben nicht aus. Ibrahimi wurde vom Geheimdienst bedrängt, mit dem Tod bedroht. Als das nicht half, kam seine Familie ins Spiel, zunächst mit Drohungen. Vor einem Jahr wurde dann sein Bruder Parvez verhaftet und zum Tode verurteilt. Im Gefängnis ist er die Geisel gegen die Arbeit seines Bruders.

Macht der Warlords

Warlords. Quelle: ap
Im Kampf gegen die Taliban halfen die Warlords mit - verfolgen seitdem aber eigene InteressenBild: AP

"Dieser Fall ist ein Modellfall für Afghanistan", sagt Delius. Dahinter steht das System der Warlords, der Nordallianz Afghanistans. Sie bekleiden einen Großteil der Ämter in der Karzai Regierung. Als Gegner des Taliban-Regimes holten die USA sie mit an den Verhandlungstisch, als es um den Wiederaufbau ging. Die Warlords sind aber nicht an einem westlichen Rechtsstaats interessiert. "Warlords sind, wie die Taliban auch, Fundamentalisten. Sie denken ähnlich", sagt Journalist Yaqub Ibrahimi, der Bruder von Parvez. "Afghanistan nennt sich heute demokratisch, wird aber von Fundamentalisten regiert."

Blühende Mohnfelder

Der Geschäft mit dem Mohn blüht. Quelle: ap
Der Geschäft mit dem Mohn blühtBild: AP

Michael McConnell, der Koordinator der US-Geheimdienste erklärte vor dem Verteidigungsausschuss des US-Senats: Karsai kontrolliere nur etwa 30 Prozent des Landes, die Taliban 10 Prozent. Der Rest sei Warlord-Gebiet. Hier blüht der Drogenhandel. Die Hauptanbauflächen liegen im Norden – dort, wo die Bundeswehr im Einsatz ist. Seid dem Sturz der Taliban hat sich dort der Mohnanbau vervielfacht. Die UN schätzt: 80 bis 90 Prozent des Heroins weltweit kommt aus Afghanistan. Die Hälfte des afghanischen Bruttoinlandsprodukts kommt aus dem Opium-Handel.

Zweifelhafte Kooperation

Bundeswehr in Afghanistan. Quelle: ap
Die Bundeswehr kontrolliert den NordenBild: AP

Der Norden ist Warlord-Gebiet. Und beim Aufbau von Afghanistan kooperieren die deutschen Soldaten mit den lokalen Machthabern. "Das Ziel eines Rechtsstaats wird völlig konterkariert", kritisiert Ulrich Delius von der Gesellschaft für bedrohte Völker. "Die Politik hat die Struktur Afghanistans akzeptiert, statt sie zu ändern. Das heißt in der Praxis, dass die Bundeswehr-Soldaten mit den örtlichen Gouverneuren zusammenarbeiten, obwohl sie wissen, dass diese im Drogengeschäft verwickelt sind. So wird ein Rechtsstaat nie möglich sein." 300 neue Richter wurden unter der Kazai Regierung eingestellt. "Aber wer Richter wird bestimmen die Warlords", so Delius.

Kritik an der Bundesregierung

Über die Warlords schweige die Bundesregierung, wenn es um den Afghanistan Einsatz geht, kritisiert die Gesellschaft für bedrohte Völker. "Die Bundesregierung beschönigt die Situation", sagt Delius. "Wir waren immer für eine deutsche Präsenz in Afghanistan, aber sie muss Sinn machen. Wir müssen wissen, wofür die Bundeswehr eintritt, wem sie wirklich hilft mit ihrem Engagement. Eine Unterstützung der Warlords ist nicht hinnehmbar."

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP, Werner Hoyer, kennt diesen Vorwurf: "Unsere Soldaten haben im Raum Kundus nur Ruhe, wenn die Bundeswehr keine Kleinkriege mit den Warlords anfängt. Sobald sie deren Kreise stören, gibt es Ärger." Deswegen patrouillierten deutsche Soldaten vor blühenden Mohnfeldern. "Da kommt der Einsatz schon in eine Glaubwürdigkeitskrise", sagt Hoyer.

Macht der Scharia

Betender Afghane. Quelle: ap
Der Islam hat eine riesige MachtBild: AP

Und der Islam der Warlords ist nahezu ebenso absolut wie der von den Taliban. Bei den Verfassungs-Verhandlungen mit der internationalen Koalition musste daher der Westen einige harte Zugeständnisse machen. So gibt es in Afghanistan zwar eine westlich ausgelegt Verfassung, faktisch wurde aber die Scharia, die strenge Islamische Rechtsprechung wieder eingeführt. Nach Artikel drei der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zu den Grundlagen des Islam stehen.

"Das ist eine sehr schwierige Mischung in der Gesetzeslage", sagt John MacLeod vom "Institute for war and peace reporting", für das auch der Bruder von Parvez arbeitet. "Islamische Klerikale sind in Afghanistan sehr stark, sie dominieren das Gerichtssystem." Als "eine schwierige Grenzwanderung" bezeichnet Hoyer, den Konflikt der Bundesregierung. "Wir wollen einen westlichen Rechtsstaat etablieren, aber es gilt das islamische Scharia-Recht."

Präsident als Marionette

Hamid Karsai. Quelle: ap
Hamid Karsai sitzt zwischen allen StühlenBild: AP

Präsident Karsai sitzt dabei offenbar zwischen allen Stühlen. "Ist gilt als Mann des Westens, das Ausland setzt auf ihn", sagt Delius. "Aber er will sich die radikal-islamische Bewegung nicht zum Feind machen, da diese immer stärker wird. Dadurch wird er zur Marionette zwischen Machtinteressen."

2009 wird in Afghanistan gewählt. Was mit Parvez Kaambakhsh, dem inhaftierten Journalisten geschieht, bliebt unklar. Er sei zum Spielball der Machtinteressen geworden, sagen Menschenrechts-Organisationen. "Ich habe wenig Hoffnung, dass er vor der Wahl freikommt", sagt Delius.

Die Brüder werden jetzt noch einen letzten Versuch machen, sich gegen die Warlords aufzulehnen: Sie werden in letzter Instanz das oberste Gericht in Kabul anrufen.