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Afghanistans Spinnennetz der Interessen

28. Oktober 2010

Die afghanische Präsidialverwaltung hat nach den Worten Hamid Karsais Taschen mit Geld aus dem Iran erhalten. Tina Marie Blohm von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kabul über alte und neue Freunde Afghanistans.

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Die afghanische Armee mit beschlagnahmten Waffen privater Sicherheitsfirmen (Bild: dpa)
Die afghanische Armee mit beschlagnahmten Waffen privater SicherheitsfirmenBild: picture-alliance/dpa

DW-WORLD.DE: Frau Blohm, die Rede ist von 700.000 Euro in bar. Kann man damit die Entscheidungen der Regierung kaufen?

Tina Marie Blohm: Nein, das das kann man nicht, aber man kann Einfluss nehmen, man kann sich Einfluss auf die Regierung erkaufen. Die Rede ist von zwei bis sechs Millionen Dollar pro Jahr, was wahrscheinlich geflossen ist, das zumindest sagen die meisten hier. Das muss man natürlich im Zusammenhang mit den vielen Milliarden sehen, die in dieses Land hineingehen, vor allem aus dem Westen - allerdings über das offizielle Budget und nicht in Säcken.

Wie groß ist der Einfluss Teherans in Afghanistan und wie äußert er sich?

Das ist sehr schwer durchschaubar. Die Frage ist, was dafür zurückgegeben wurde. Die Afghanen interessiert natürlich, was mit dem Geld passiert und was die afghanische Regierung damit für ihre Bürger leistet. Ein Beispiel: Anfang des Jahres ist im Norden ein Iran-kritischer Sender geschlossen worden. Der ist zwar inzwischen wieder auf Sendung, aber das ist der Einfluss, den der Iran sich hier erkauft.

Wie ist die Reaktion der Menschen, wird das positiv gesehen, oder ist man da kritisch?

Man ist da durchaus kritisch. Es wird so gesehen, dass diese Zahl und diese Neuigkeit wieder das regionale Machtspiel in Gang bringt. Die Afghanen haben sehr viel Angst vor dem Einfluss der regionalen Mächte Iran und Pakistan. Die Menschen befürchten zum Spielball dieser Interessen zu werden.

Die USA werfen Teheran auch vor, es unterstütze die Taliban. Stimmt das?

Ich glaube, dieser Vorwurf hat seine Berechtigung, aber man muss ihn auch im Zusammenhang mit der Gesamtlage, vor allem mit dem Verhältnis zwischen den USA und der afghanischen Regierung sehen. Es wird gerade sehr heftig über die privaten Sicherheitsfirmen gestritten, die hier im Land operieren, und die die afghanische Regierung bis Dezember alle schließen möchte. Der Westen, insbesondere Amerika, hat sehr große Angst, dass sie ihre Bauprojekte nicht mehr durch Sicherheitsfirmen schützen lassen können. Und in diesem Zusammenhang kamen dann die Gelder aus dem Iran ins Spiel. Karsai hat es so gesehen, dass der Westen das Thema Iran nur als Reaktion auf diesen Protest gegen die Sicherheitsfirmen auf die Agenda und in die Medien gebracht hat.

Auch Pakistan spielt ja ein doppeltes Spiel mit den Taliban, wie viel Einfluss verliert der Westen gerade an diese beiden mächtigen Nachbarn?

Der Einfluss Pakistans und des Iran bleibt relativ gleich. Ich glaube nicht, dass der Westen an Einfluss verliert, aber durch die Debatte über die Zusammenarbeit mit den Taliban kommt mehr ans Tageslicht und es wird mehr spekuliert. Pakistan hat durch seinen Geheimdienst ISI starken Einfluss auf die Taliban und versucht natürlich, vor den Verhandlungen, die irgendwann anstehen werden, seinen Einfluss zu festigen. Die große Frage ist, was bei möglichen Verhandlungen zwischen den Taliban und der Regierung Pakistans Rolle sein wird. Und die afghanische Regierung sieht zu, wie sie sich regional aufstellen muss, wenn die Amerikaner und die NATO-Truppen das Land verlassen. Und wie sie sich mit den regionalen Akteuren auseinandersetzen muss. Das sind neben Iran und Pakistan auch China, Russland und die zentralasiatischen Staaten.

Afghanistan ist diese Woche wieder einmal auf dem zweitletzten Platz beim Korruptions-Index von Transparency International gelandet. Präsident Karsai hat offen zugegeben, Geld von verschiedenen Gebern angenommen zu haben. Verwendungszweck: "Ausgaben der Präsidialverwaltung". Das ist ein ziemlich offenherziges Eingeständnis von Korruption. Versucht die Regierung vielleicht einfach nur, den Preis für ihre Loyalität in die Höhe zu treiben?

Eine Loyalität der Regierung zu einer Seite gibt es nicht. Es wird versucht, mit allen Akteuren zu spielen und sich in diesem Spinnengewebe gut zu positionieren. Ich glaube, dass dieses offenherzige Einräumen, dass man das Geld angenommen hat, auch eine Machtdemonstration ist. Die Regierung möchte zeigen, dass sie nicht allein vom Westen abhängig ist, sondern sich breiter aufstellt. Was die Korruption angeht, wird zwar seit der Wiederwahl Karsais viel mehr darüber gesprochen, aber die meisten Afghanen haben den Eindruck, dass sich da für sie nichts geändert hat. Das ist natürlich sehr frustrierend.

Tina Marie Blohm leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Kabul

Das Gespräch führte Miriam Klaussner
Redaktion: Mathias Bölinger