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Politik

Afghanistans unruhiger Norden

Masood Saifullah
13. Juli 2017

Der Norden Afghanistans gilt seit langem nicht mehr als sicher. Er wird ständig von Anschlägen und Kämpfen heimgesucht. Terrormilizen kommen aus Zentralasien und bauen dort Stützpunkte auf.

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Afghanistan | Kampf um Kunduz
Bild: picture-alliance/AP Photo/N. Rahim

Über viele Jahre und vor allem während des Bundeswehr-Einsatzes in Kundus von 2003 bis 2013 galt der nördliche Teil des Landes als "sicher". Inzwischen ist die Region ein Schauplatz für eskalierende Gewalt und Kämpfe zwischen der afghanischen Armee und bewaffneten Militanten geworden.

Seit Wochen wird in der Großstadt Kundus gekämpft. In den letzten beiden Jahren konnten die Taliban mehrfach die kurzfristige Kontrolle über die Stadt übernehmen, bevor sie von der Armee zurückgedrängt werden konnte. Die vollständige und dauerhafte Eroberung der Hauptstadt und der gleichnamigen Provinz ist ein Hauptziel der extremistischen Taliban.

Regierung kontrolliert nur noch die Stadt Kundus

"Die Regierung hat aktuell nur noch die Stadt Kundus unter Kontrolle. Die Taliban kontrollieren den Rest der Provinz", sagt Abdul Ahad Turyal Kakar, Mitglied des Provinzparlaments im Gespräch mit der Deutschen Welle.

In der Nachbarprovinz Balkh sind die Einwohner und Behörden alarmiert über die Entwicklungen in Kundus. Balkh war früher als die sicherste Region des Landes bekannt. Die Taliban interessierten sich seinerzeit mehr für die im Südosten liegende Grenzregion zwischen Afghanistan und Pakistan.

Karte Taliban und IS in Afghanistan Deutsch

Komplexe Gründe

Den Beamte in der Hauptstadt Kabul fällt es schwer zu erklären, warum sich die Sicherheitslage im Norden so dramatisch verschlechtert hat. Nach Behördenangaben wären einige extremistische Gruppierungen in Zentralasien zunehmend unter Druck gesetzt worden. Sie hatten auf neue Standorte ausweichen müssen. In Afghanistan hätten sie eine Allianz mit den Taliban geschlossen und Stützpunkte eingerichtet. Die Taliban bekommen internationale Unterstützung. "Wir wissen, dass ausländische Kämpfer, wie die von der 'Islamistischen Bewegung von Usbekistan' bereits in den Bezirk Pashtun Kot eingedrungen sind", sagt Mohammad Arif Mowlani, Mitglied des Provinzparlaments von Faryab, einer weiteren nordafghansichen Provinz.

Yunus Fakur, Analyst aus Kabul, glaubt, dass die vor allem die Zentralregierung in Kabul für die miserable Lage in Nordafghanistan verantwortlich sei. Sie und die internationalen Alliierten hätten im vergangenen Jahrzehnt den schwerwiegenden Fehler gemacht: Sie hätten die lokalen Warlords ignoriert. "Nach 2001 sind viele lokale Kommandeure im Norden schwer bewaffnet geblieben. Falls sie den Eindruck haben, dass Kabul ihre Forderungen nicht erfüllt, gehen sie mit den Taliban zusammen, um ihrer Relevanz und Bedeutung Ausdruck zu verleihen", sagt Fakur der DW. 

Die unheilige Allianz bestätigt auch Mohammad Ibrahim Khairandish, Mitglied des Provinzparlaments von Balkh: "In einigen Fällen stehen die Warlords und lokalen Behörden direkte hinter den Anschlägen."

Außerdem hätten die Taliban vor, ihre Aktivitäten in anderen Regionen auszubauen, die nicht Pakistan angrenzen. Damit würden sie zeigen, sie seien unabhängig von den Einflüssen aus Pakistan, sagt der Analyst Fakur. "Sie verlassen langsam ihre Hochburgen in den Provinzen Kandahar oder Helmand und agieren unabhängiger."

Afghanistan Taliban-Angriff in Kundus
(Archiv) Kundus nach Anschlägen durch Taliban im Oktober 2016Bild: Imago/Xinhua

IS, die neue Bedrohung?

Nicht zuletzt trägt auch der "Islamische Staat" (IS) zur Destabilisierung des Nordens bei. Die Terrormiliz wird in Afghanistan immer aktiver und tritt zunehmend in Konkurrenz mit den etablierten Taliban. Das ist nicht nur eine Bedrohung für die Kabuler Regierung, sondern auch für die zentralasiatischen Staaten wie Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan, die ebenfalls muslimisch geprägt sind.

Zurzeit ist der IS allerdings überwiegend in der östlichen Provinz Nangarhar aktiv, versucht aber seit 2015, auch Fuß im Norden zu fassen. Die zentralasiatischen Länder, die einen guten Draht zu Moskau haben, sind wegen der Bedrohung durch den IS zutiefst besorgt und schlagen im Kreml Alarm. Michael Kugelman, Sicherheitsexperte am Wilson Center in Washington, glaubt, dass Russland, das den IS in Zentralasien nicht vor der eigenen Landesgrenze sehen will, enger mit den Taliban zusammenarbeiten könnte. Denn der IS ist sowohl für die Taliban als auch für Russland der Gegner.

Er stellt aber infrage, ob der IS tatsächlich eine ernstzunehmende Gefahr für die Nachbarländer Afghanistans ist. "Es ist schon möglich, dass der IS in der Region eines Tages eine reale Gefährdung werden könnte", sagt Kugelman im DW-Interview.  Man dürfe dieses Potential jetzt aber nicht überbewerten.