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Vergessene Opfer: Afrika im Zweiten Weltkrieg

Theresa Krinninger21. Mai 2015

Mehr als eine Million afrikanische Soldaten mussten im Zweiten Weltkrieg kämpfen - und wurden kaum dafür entschädigt. Veteranen fordern bis heute ihre Rechte ein.

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Afrikanische Kolonialsoldaten
Bild: public domain

Vor 70 Jahren, am 8. Mai 1945, kapitulierte die deutsche Wehrmacht. Der Zweite Weltkrieg war vorbei - zumindest in Europa: Wenn die Medien in Europa diesen August über den siebzigsten Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima schreiben werden, sagt Journalist Karl Rössel, werde ihnen nicht auffallen, dass sie den Krieg schon drei Monate zuvor für beendet erklärt haben.

Das zeigt, wie relativ doch die Perspektive ist. Man könnte es als Zeichen dafür sehen, dass es in Deutschland immer noch an Bewusstsein für das Ausmaß des Zweiten Weltkrieges außerhalb Europas mangelt. Davon zeugen nicht nur die mehr als hunderttausend Toten von Hiroshima: Auch die damaligen afrikanischen Kolonien wurden in einen Krieg hineingezogen, der nicht ihrer war. Hunderttausende westafrikanische Soldaten wurden ab 1939 zum Kampfeinsatz an die Front nach Europa geschickt, zahllose Männer aus den britischen Kolonien mussten als Hilfsarbeiter und Träger ihre Pflicht tun. In Frankreich, Deutschland oder Italien, in Indien, Myanmar oder auf den Pazifischen Inseln ließen afrikanische Soldaten ihr Leben für die europäischen Kolonialherren.

Truppen der ostafrikanischen Division auf dem Weg nach Kalewa, Burma Foto:Archivbild/Unbekannt
Truppen der ostafrikanischen Division auf dem Weg nach Kalewa, BurmaBild: public domain

Zwangsrekrutierung unter dem Deckmantel der Freiwilligkeit

Zwar sprach man in den Wochenschauen in Europa von Freiwilligen. Vor Ort sah es jedoch anders aus: Der kongolesische Kriegsveteran Albert Kuniuku ist 93 Jahre alt und Vorsitzender der Veteranenunion in Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. Bis 1960 war das Land belgische Kolonie. Kuniuku spricht von klaren Zwangsrekrutierungen: "Ich habe in einer Textilfirma gearbeitet, als sie uns geholt haben. Dann sind sie zu anderen Firmen gegangen. Alle jungen Arbeiter wurden rekrutiert, keiner war älter als 30 Jahre." Auch der im Senegal geborene Veteran Yoro Ba erinnert sich noch genau an den Tag, an dem die Franzosen in sein Dorf kamen: "Wären wir Männer zu Hause geblieben, wären wir vor Gericht gekommen und womöglich erschossen worden."

Wofür sie genau kämpfen sollten, wurde ihnen nicht erklärt, erzählt Baby Sy, ein Veteran aus Burkina Faso: "Bei uns wussten die Leute damals nicht, um was es ging, wenn von Faschismus die Rede war. Uns erzählten sie lediglich, dass uns die Deutschen angegriffen hätten und uns Afrikaner für Affen hielten. Als Soldaten könnten wir ihnen beweisen, dass wir Menschen wären. Das war's. Mehr politische Erläuterungen gab es zu der Zeit nicht."

Kriegsveteran Albert Kuniuku in Kinshasa Foto: Saleh Mwanamilongo
Kriegsveteran Albert Kuniuku im Gespräch mit dem DW-Korrespondent in KinshasaBild: DW/S. Mwanamilongo

Im Krieg sind alle gleich
Ob in Kriegsgefangenschaft oder an der Front - die afrikanischen Soldaten kamen zwangsläufig mit europäischen Soldaten und mit der Lebensrealität in Europa in Kontakt. Das wirkte sich auf ihre Bewusstseinsbildung und damit auch auf ihr politisches Handeln im Heimatland aus.

Der senegalesische Schriftsteller und Filmemacher Ousmane Sembène, selbst ehemaliger Kolonialsoldat, hat gesagt: "Im Krieg haben wir die Weißen nackt gesehen und dieses Bild haben wir nicht vergessen."

Das hatte weitreichende Konsequenzen. Die afrikanischen Soldaten hätten die sogenannten 'Herrenmenschen' aus Europa im Schlamm und Dreck, leidend und sterbend erlebt, sagt Rössel, der 10 Jahre lang unter anderem in Westafrika zum Thema recherchiert hat. "Dadurch realisierten sie, dass es keine Unterschiede zwischen den Menschen gibt." Das habe wiederum dazu geführt, dass sich viele ehemalige Soldaten nach ihrer Heimkehr den Unabhängigkeitsbewegungen in ihren Ländern anschlossen.

Afrikanische Soldaten in der Wüste: 2ter Afrikafeldzug unter Rommel Foto: imago/United
Afrikanische Soldaten kämpfen in der libyschen Wüste gegen die deutsche WehrmachtBild: Imago/United Archives

Stolz und zugleich verbittert

Doch nicht alle Veteranen hätten Zugang und Akzeptanz bei den Unabhängigkeitsbewegungen gefunden, sagt der Historiker Raffael Scheck von der Universität Waterville in den USA. Viele Befreiungskämpfer kritisierten, dass die Veteranen mit den Kolonialmächten und Unterdrückern gemeinsame Sache gemacht hätten.

Heute bleiben viele Veteranen verbittert zurück. Obwohl sie den Sieg über den Faschismus mit erkämpft haben, bekommen sie dafür wenig Anerkennung. "Ich bekomme nur 5000 kongolesische Francs [rund fünf Euro, Anm.d.Red.] Kriegsrente im Monat. Das ist nicht würdig für jemanden, der die Interessen Belgiens vertreten hat", klagt der Veteran Albert Kuniuku.

Scheu vor den Konsequenzen für die Gegenwart

Dass dieses Kapitel in europäischen und vor allem in deutschen Geschichtsbüchern nur eine Randnotiz bleibt, liegt laut Rössel auch daran, dass sich die Länder in Europa davor scheuten, Konsequenzen für die Gegenwart zu ziehen. "Wenn man es mit der Aufarbeitung ernst meint, dann müsste man mit den Nachfahren unserer Befreier anders umgehen, als es heute in der Flüchtlingspolitik der Fall ist", so Rössel. "Man müsste rund um den Globus für die Folgen des Krieges Entschädigungen zahlen. Aber fast nirgendwo ist nachher wieder aufgeräumt oder aufgebaut worden."

Kriegsveteranenhaus in Kinshasa, Demokratische Republik Kongo Foto: Saleh Mwanamilongo
Zahlreiche Veteranenclubs in ganz Afrika vertreten die Rechte der ÜberlebendenBild: DW/S. Mwanamilongo

1946 kehrte der kongolesische Soldat Albert Kuniuku in seine Heimat zurück. Zwei Jahre lang hatte er in Südasien auf Seiten der Alliierten gegen die Japaner gekämpft. Bei der Frage, ob er stolz auf seinen Kriegsdienst sei, hält er inne. Tränen fließen ihm über die Wangen. Nein, antwortet er, er sei nicht stolz. Die Trauer um seine gefallenen Kameraden sitzt tief. Nur wenige von den 25.000 afrikanischen Soldaten, die mit ihm nach Indien aufbrachen, kamen wieder zurück.

Mitarbeit: Saleh Mwanamilongo (Kinshasa)