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Afrikanische Flüchtlingsschicksale

1. Dezember 2010

Das Mittelmeer kennen viele Jugendliche in Deutschland vor allem als Urlaubsziel. Dass dort aber auch Tausende von Flüchtlingen ertrinken, zeigt ihnen das Theaterstück "SOS for Human Rights".

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Die Schauspieler Dalila Abdallah, Adil El Bouamraoui, Veronica Naujoks stellen eine Reise duchr die Wüste auf einem vollbepackten LKW nach (Foto: Jürgen Scheer).
Jugendtheaterstück "SOS for Human Rights"Bild: Jürgen Scheer

Energiegeladen springen die Schauspieler auf die Bühne, schnappen sich Mikrofone und rappen lauthals: "Ich hau hier einfach ab." Die jugendlichen Zuschauer sind sofort wach. Die drei Schauspieler sind angetreten, um stellvertretend die Geschichte von zahlreichen Flüchtlingen auf dem Weg nach Europa zu erzählen und werden im Laufe des Stückes in verschiedene Rollen schlüpfen, zum Beispiel in die eines Menschenschmuggler, eines Polizisten oder eines Journalisten.

Im Mittelpunkt steht aber die Geschicht von Jamila, gerade einmal 12 Jahre alt, und ihrer ältere Cousine Naisha. Die beiden Mädchen wollen aus Ghana nach Deutschland fliehen. Und auch der junge Afghane Kerim will ins reiche Europa. Die drei treffen auf einer Rettungsinsel im Mittelmeer aufeinander.

Regisseur Philipp Harpain mit einem Skript in der Hand bei den Proben zu dem Jugendtheaterstück "SOS for Human Rights" vom Kinder- und Jugendtheater GRIPS (Foto: Jürgen Scheer).
Regisseur HarpainBild: Jürgen Scheer

Lebensgefährliche Reise

Regisseur Philipp Harpain und Autorin Susanne Lipp haben für diese Inszenierung mit vielen jugendlichen Flüchtlingen gesprochen und auch Tagebuchaufzeichnungen zu lesen bekommen.

"Wenn man hört, dass jährlich 12.000 bis 14.000 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken, dann ist das eine abstrakte Zahl. Aber hier lernt man stellvertretend drei Schicksale kennen und dann hoffe ich einfach, dass es eine Form von Empathie gibt", sagt Regisseur Harpain.

Das Stück "SOS for Human Rights" erzählt nicht nur den lebensgefährlichen Weg von Afrika nach Europa. Es thematisiert auch die vielen Verstöße gegen die Menschenrechte, denen Flüchtlingen tagtäglich ausgesetzt sind. Und das nicht nur in Afrika.

Die Geschichte der 12-jährigen Jamila beginnt beispielsweise in Potsdam. Hier ist sie mit ihrer Familie aufgewachsen, hier geht sie zur Schule und hier hat sie ihre deutschen Freunde. Bis eines Tages die Polizei vor der Tür steht. Jamila wird abgeschoben. In Ghana nennt man sie eine "Weggeworfene"; sie ist dort jemanden, den Europa nicht haben wollte.

Schauspielerin Veronica Naujoks spielt Jamila, die von zwei Polizisten, gespielte von Dalila Abdallah (rechts) und Adil El Bouamraoui verhaftet wird (Foto: Jürgen Scheer).
Abschiebung. Jamila muss ihre Heimat Deutschland verlassen und wird in Ghana damit zu einer "Weggeworfenen"Bild: Jürgen Scheer



Harte Realität

Ghana ist ihr fremd, sie spricht noch nicht einmal die Sprache ihrer Verwandten. Sie hat Heimweh - nach Potsdam und nach ihren Freunden. Ihrer älteren Cousine Naisha erzählt sie, dass sie in Deutschland nicht arbeiten musste, sondern zur Schule gehen konnte. Daraufhin ist auch Naisha entschlossen: Sie will weg. Und so wagen sich die beiden Mädchen auf den lebensgefährlichen Track Richtung Europa, unter anderem auch durch die nigrische Wüste - auf einem überladenden LKW.

Nur mit etwas Glück überleben die beiden die tagelange Reise. Dann folgt die Fahrt übers Mittelmeer, in einem mit Menschen vollgepackten Schlauchboot. Schauspielerin Veronica Naujoks, die im Stück das Mädchen Jamila spielt, kennt diese Erzählungen auch aus der eigenen Familie: "Meine Mutter kommt aus Liberia. Auch sie ist vor vielen Jahren mit einem Schiff nach Deutschland gekommen. Aber damals war es nicht so gefährlich wie heute."

In Sand sind die Buchstaben SOS eingeschrieben, von oben werden sie vom Meer überspült (Foto: Viacheslav Anyakin).
Letzter HilferufBild: fotolia/Viacheslav Anyakin

Das Stück hat kein Happy End. Die drei Flüchtlinge Jamila, Naisha und Kerim überleben die Überfahrt nicht. Schauspielerin Dalila Abdallah, im Stück spielt sie die Rolle der Naisha, findet dieses dramatische Ende notwendig: "Das ist ja schließlich die Realität, sonst wäre es ja wie in einem Hollywoodfilm und wir würden den Jugendlichen vorgaukeln, dass es ja gar nicht so schlimm ist."

Deutschlandweite Theater-Tour

Für die zuschauenden Schüler eine völlige neue Sicht auf das bekannte Urlaubsziel Mittelmeer. In einer anschließenden Diskussion mit dem Regisseur und den Schauspielern fragen sie immer wieder, warum Jamila abgeschoben werden musste oder warum Europa sich so massiv gegen Flüchtlinge abschottet. Philipp Harpain bleibt bei den vielen Nachfragen nichts anderes übrig, als verständnisvoll zu nicken und mit den Schultern zucken.

"SOS for Human Rights" ist bereits die zweite Theaterinszenierung, in der das Grips-Theater die Geschichte von jungen Flüchtlingen aufgreift. Das erste Stück "Hier geblieben!", das die Abschiebungspolitik in Deutschland thematisierte, war mit über 280 Aufführungen eines der meistgespielten Stücke des bekannten Berliner Kinder- und Jugendtheaters. Auch "SOS for Human Rights" wird auf deutschlandweite Tour gehen - und so noch vielen Jugendlichen von den ganz persönlichen Schicksale an den europäischen Außengrenzen erzählen.

Autorin: Nadine Wojcik