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Afrikas Krisen fordern Deutschland

Ute Schaeffer3. Dezember 2012

Welche Politik ist sinnvoll, wenn Staaten zu scheitern drohen? Afrikas neu entbrannte Krisen in Mali und der Demokratischen Republik Kongo stellen auch Deutschland vor diese Frage. Eine politische Debatte kommt in Gang.

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M23-Rebellen in der kongolesischen Stadt Goma (Foto: EPA/TIM FRECCIA)
Bild: picture-alliance/dpa

Sie könnten sich zum Flächenbrand auswachsen, die Staatskrisen in der Demokratischen Republik Kongo oder im Sahelstaat Mali. Aus ganz unterschiedlichen Gründen: Im Ressourcenstaat Kongo fühlen sich die Regionen nicht dem politischen Zentrum verpflichtet. Der Staat ist im krisengeschüttelten Osten des Landes kaum präsent. Weder können sich die Einwohner dort auf die Polizei verlassen, noch gibt es funktionierende Behörden. Und auch das Straßennetz, das den flächenmäßig zweitgrößten Staat Afrikas zusammenhalten soll, ist kaum ausgebaut.

Die Uhren laufen rückwärts im Kongo

Auch nach den durch Europäer abgesicherten ersten demokratischen Wahlen im Jahr 2006 ist Staatlichkeit gar nicht erst entstanden, die Gewalt aus jahrzehntelangen Kriegen hingegen geblieben. Aufgrund seiner ethnischen Verflechtungen mit den Nachbarstaaten und der wertvollen Ressourcen, um die es geht, kann dieser Konflikt leicht ganz Ostafrika ins Chaos stürzen. Neu wäre das nicht: Bereits in den neunziger Jahren lieferten sich im sogenannten "afrikanischen Weltkrieg" im Kongo Armeen aus acht Ländern erbitterte Kämpfe - mehr als vier Millionen Menschen verloren ihr Leben.

Kongolesische Frauen und Kinder flüchten vor den Kämpfen zwischen Regierung und Rebellen (Foto: Simone Schlindwein)
Fast alltäglich: Kongolesen flüchten vor Kämpfen zwischen Regierung und RebellenBild: DW

Auch in Mali scheinen die Uhren rückwärts zu laufen: Islamistische Kämpfer und Rebellengruppen versetzen im bisher toleranten muslimischen Sahelstaat die Bevölkerung in Angst und Schrecken. Sie betreiben die Atomisierung eines Staats, welcher lange als Musterland für Entwicklung galt. Vom Süden Algeriens und von Libyen ausgehend, ist in vielen Sahelstaaten die Al-Kaida im Maghreb (AQMI) aktiv, welche längst Verbindungen zu terroristischen Gruppen in den Subsahara-Staaten hat.

Ein Terrorgürtel entsteht

Eine reale Gefahr für Europa: Von hier aus könnte sich in nicht allzu langer Zeit ein regelrechter Terrorgürtel vom westlichen Sahel über Nordnigeria bis zur ostafrikanischen Küste ziehen. Schon heute sind die zerfallenden und die schwachen Staaten Afrikas ein Rückzugsort für radikale Islamisten.

Malische Soldaten stehen Wache vor ihrem Camp (Foto: ISSOUF SANOGO/AFP/Getty Images)
Die malische Armee sucht Unterstützer in ihrem Kampf gegen die IslamlistenBild: AFP/Getty Images

In der deutschen Öffentlichkeit sei beides bisher nicht wirklich angekommen, meint Günter Nooke, der Afrikabeauftragte der Bundeskanzlerin. Es sei an der Zeit, dass Politik und Öffentlichkeit diese neuen Risiken in den Blick nähmen: "Wir müssen lernen, eine außenpolitische Debatte zu führen. Wir brauchen eine Debatte über Militärpolitik, über Sicherheitspolitik. Ich würde sagen, wir brauchen eine öffentliche Debatte über Außenpolitik schlechthin." Dazu gehöre auch Entwicklungs- und Außenwirtschaftspolitik sowie Menschenrechtspolitik, so der CDU-Politiker.

Eine Debatte, die in Deutschland bisher wenig geführt wird, im Unterschied zu europäischen Nachbarstaaten mit langer kolonialer Geschichte und über Jahrzehnte gewachsener Außen- und Sicherheitspolitik. Das hat Gründe: Erst seit der Wiedererlangung der vollen Souveränität durch die Wiedervereinigung im Jahr 1990 vergrößerte sich der außenpolitische Spielraum für Deutschland. Das Land engagierte sich im Rahmen multilateraler Einsätze - wie beim NATO-Einsatz auf dem Balkan oder in Afghanistan. Und auch 2006 war Deutschland bei der Sicherung der ersten demokratischen Wahl in der Demokratischen Republik Kongo aktiv.

Rückzug der USA aus dem Krisenmanagement in Afrika

Auch in Mali ist Deutschland nun gefordert. Im Rahmen des gemeinsam beschlossenen Einsatzes von Europäischer und Afrikanischer Union ist die Bundeswehr gefragt, Ausbilder in das Land zu schicken, um die malische Armee auf militärische Operationen vorzubereiten. Doch die Regierungskoalition zögert, dieses Thema offensiv anzugehen. Offensichtlich scheut sie - ein Jahr vor der Bundestagswahl - eine breite öffentliche Debatte.

Milizen der islamistischen Ansar Dine Islamic sitzen auf der Ladefläche eines Fahrzeugs in Nordost Mali (Foto: REUTERS/Adama Diarra)
Kämpfen für ihren eigenen Staat: islamistische Gruppen im Norden MalisBild: REUTERS

Genau die aber sei wichtig, fordert die grüne Oppositionspolitikerin und entwicklungspolitische Sprecherin Ute Koczy: "Ich finde, Deutschland hat eine Verpflichtung, sich auch in Afrika zu engagieren. Wir müssen genau prüfen, mit welchen Möglichkeiten man das tun kann. Man kann sich nicht mehr einfach aus der Verantwortung stehlen." Wenn die malische Regierung den Wunsch nach militärischen Ausbildern äußere, dann habe die deutsche Politik einen Auftrag, das zu prüfen. Im Interview mit der DW betont Koczy: "Ich glaube, dass wir sagen können, dass die Bundeswehr in diesem Bereich bisher sehr solide gearbeitet hat. Wir müssen uns offensiv damit auseinandersetzen, können das Land nicht einfach den Terroristen und der Gewalt überlassen." Deutschland sei schlecht beraten, wenn "es sich zurücklehnen würde und einfach nichts tut", so die Grünen-Politikerin.

Was bereits heute absehbar ist: Europa - auch Deutschland - wird künftig noch viel stärker in Afrika gefordert sein. Denn die USA haben deutlich gemacht, dass sie sich dem asiatisch-pazifischen Raum verstärkt zuwenden und die Verantwortung für Sicherheitsfragen auf dem afrikanischen Kontinent vor allem in Europa liegt. Doch ist die deutsche Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik vorbereitet auf diese Aufgabe?

Klartext sprechen im Umgang mit Partnerländern

Entwicklungspolitisch ist der Aufbau von Staatlichkeit ein zentrales Anliegen: Mit Mitteln aus Deutschland werden Regierungen beraten, Gerichte aufgebaut, Verwaltungsstrukturen effizienter gemacht. Das geschah auch in Mali. Doch dann warfen bewaffnete Gruppen aus Libyen die eben entstandene und noch nicht gefestigte staatliche Ordnung um. Die SPD-Politikerin Karin Roth spricht von einer schnellen und überraschenden Entwicklung: "Im Fall Mali hatten wir gemeint, wir könnten mit unserer Entwicklungshilfe die Menschen im Land qualifizieren, bilden und mit Wachstum dann das Ganze voranbringen. Es war ja durchaus ein Vorzeigestaat." Man habe aber nicht damit gerechnet, dass es aufgrund neuer Einflüsse von außen zu einem so schnellen Zerfall des Staates komme. "Da war die Stabilität des Staats nicht mehr zu erhalten", so Roth. "Die Sahelzone ist nicht so weit weg", folgert Günter Nooke. Unmittelbare Nachbarschaft zu Europa also - und deshalb gehe es auch Deutschland etwas an, wenn Islamisten in Timbuktu oder andernorts jetzt die Scharia einführten.

Dennoch sei der Ansatz richtig, vorrangig mit Regierungen der Partnerländer zusammen zu arbeiten. Und bei dieser Kooperation auf Regierungsebene sei es wichtig, ehrlich zu sein.

Blick in die Versammlung der Afrikanischen Union (Foto: Xinhua, Ding Haitao/AP/dapd)
Vor allem die Afrikanische Union soll sich künftig stärker in den afrikanischen Krisenregionen engagierenBild: dapd

Es gehe nicht an, betont Karin Roth, dass dort Dinge verschwiegen würden, weil "wir in Konkurrenz zu China, Indien und anderen Staaten stehen und weil wir eben auch eigene Interessen haben in Afrika." Klartext sprechen, das sei genauso wichtig, wie die genaue Analyse der Fortschritte und Rückschläge in den jeweiligen Regionen. Sowohl in Mali als auch im Kongo habe man - abseits von Wahlen und akuten Krisen - leider zu oft weggesehen. "Wir haben einfach zu wenig getan", kritisiert Ute Koczy mit Blick auf den Kongo. Und fügt für den Norden Malis hinzu: "Auch hier gilt: man hat nicht genau hingesehen, welche Drogenkonflikte, welche mafiösen Strukturen da Einzug gehalten haben. Und nun zahlen andere den Preis dafür."

Strategie in den Kinderschuhen

Noch im Sommer dieses Jahres wurde übrigens eine ressortübergreifende Strategie für den Umgang mit fragilen Staaten beschlossen. In Zukunft sollen sich Außenpolitik, Sicherheitspolitik und Entwicklungspolitik besser aufeinander abstimmen, wenn es um Politik mit diesen Staaten geht. Im Falle Mali wurde bereits eine Taskforce unter Beteiligung der verschiedenen Ressorts gegründet. Doch das alles reicht in den Augen der Grünen Ute Koczy nicht aus: "Das ist ein sehr schwaches Papier, das aber zugleich aufzeigt, wie weit wir von einer echten Strategie entfernt sind. Ich finde es sehr gewagt, da schon von einer Strategie zu sprechen. Das Papier ist wirklich dünn und sagt noch nicht aus, in welcher Richtung man eigentlich arbeiten will, mit welchem klaren Ziel."

Doch es ist Konsens zwischen allen Parteien - ob Regierung oder Opposition -, dass sich Deutschland sicherheitspolitisch stets nur unter dem Dach multilateraler Operationen und Friedenseinsätze engagieren wird. Und für die schwachen Staaten in Afrika gelte in besonderer Weise, dass sich vor allem die Afrikanische Union als Staatengemeinschaft noch stärker um die Sicherung des Friedens in diesen Regionen zu kümmern habe: "Wir müssen uns überlegen, welche Rolle wir mit den Afrikanern zusammen in Afrika spielen", erklärt Karin Roth. "Und das müssen nicht europäische Antworten sein."