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Agentenverdacht gegen ehemalige ungarische Regierungsmitglieder

9. August 2002

– Veröffentlichung von Namen trotz Bedenken des Ombudsmannes für Datenschutz verlangt

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Budapest, 9.8.2002, PESTER LLOYD, deutsch

Laut Parlamentsbeschluss soll die Vergangenheit aller Regierungsmitglieder seit der Wende danach untersucht werden, ob sie nicht mit einem der Organe der früheren Staatssicherheit kollaboriert hatten. Nach noch unbestätigten Presseinformationen, die sich jedoch auf den Vorsitzenden des zuständigen Parlamentsausschusses, den SZDSZ (Bund Freier Demokraten - MD)-Abgeordneten Imre Mécs berufen, sollen schon eine Reihe von Personen identifiziert worden sein, die meisten unter den Mitgliedern der Fidesz (Bund Junger Demokraten - MD)-Regierung 1998-2002.

Seitens der früheren Regierungspartei wurde betont, dass auch die Namen jener in die Karteien kommen konnten, die zwar für den Sicherheitsdienst angeworben werden sollten, doch das dann abgelehnt hätten. Die Regierung wurde auch der Manipulation verdächtigt mit dem Ziel, die Aufmerksamkeit von der Agentenvergangenheit des Premiers abzulenken. Die Untersuchung betrifft die Ministerpräsidenten, die Minister und die politischen Staatssekretäre. Eine ähnliche Durchleuchtung ist – u.a. für Regierungsmitglieder – seit 1996 in Kraft, doch bezog sie sich nur auf die Organe der Inneren Sicherheit. Außerdem musste dokumentiert werden, ob der Betroffene sich schriftlich verpflichtet hatte bzw. Berichte schrieb und/oder eine Entlohnung dafür erhielt.

Während die Tätigkeit des Sonderausschusses diese Woche fortgesetzt wurde, sprachen offiziell noch unbestätigte Informationen von einer ganzen Reihe entlarvter früherer Agenten der zivilen und der militärischen Geheimdienste, und zwar aus all den drei früheren Regierungen seit der Wende. Der SZDSZ-Abgeordnete Imre Mécs, Vorsitzender des Ausschusses, meinte, die Namen, die Länge ihrer Tätigkeit und die Besoldung der Betroffenen sollten nach Abschluss der Untersuchungen auf jeden Fall öffentlich gemacht werden. Er meinte weiter, dazu sei man auch durch den Beschluss des Parlaments verpflichtet. Dieser habe Vorrang noch vor dem Standpunkt des Ombudsmannes für Datenschutz, der seine Bedenken im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Namen äußerte. Seiner Ansicht nach reicht ein Parlamentsbeschluss allein nicht aus, um die Daten zu veröffentlichen. Das Verfassungsgericht hatte früher schon entsprechend dazu Stellung genommen und gemeint, dass die verfassungsrechtlichen Vorkehrungen über den Datenschutz nur durch ein Gesetz aufgehoben werden können.

Nach Mécs sollen von den 193 früheren Ministern und politischen Staatssekretären bisher 16 betroffen sein. Der Abgeordnete möchte bei der Veröffentlichung der Namen nur bei jenen eine Ausnahme machen, die deshalb in die Karteien kamen, weil sie für den Geheimdienst gewonnen werden sollten, das jedoch abgelehnt haben. Zu dieser Gruppe soll der Außenminister der früheren konservativen Regierung, János Martonyi, gehören. Martonyi bekleidete hohe staatliche Funktionen in der Vorwendezeit und war auch Parteimitglied. Nun gab er in einem Interview bekannt, dass man ihn, bevor er 1979 als Außenhandelsattaché nach Brüssel geschickt wurde, für den Sicherheitsdienst gewinnen hatte wollen, doch lehnte er dieses Ersuchen ab.

Die MSZP (Ungarische Sozialistische Partei - MD) möchte die Nachforschung - nach Veröffentlichung der entsprechenden Informationen – abschließen, während Mécs der Meinung ist, dass man Personen, die das wünschten, die Möglichkeit geben soll, sich vor dem Ausschuss über ihre Vergangenheit zu äußern.

Der Fidesz ließ wissen, dass man die Untersuchung immer stärker als Farce betrachte und deshalb erwäge, die Mitarbeit im Sonderausschuss einzustellen. Noch weiter ging der Innenminister der Antall-Regierung und Ministerpräsident, Péter Boross. Der MDF (Ungarisches Demokratisches Forum - MD)-Politiker bezeichnete in einem Interview die Art der Untersuchung als Unfug. Ganz besonders aufgrund des Ergebnisses, dass Staatpräsident Ferenc Mádl (als einstiger Minister der Antall-Regierung) betroffen ist, während sein Vorgänger im höchsten Amt, Árpád Göncz, es nicht sein soll. Boross sagte zwar, dass er von den Gerüchten über die Vergangenheit von Göncz nichts glaube, doch wäre diese Untersuchung eine gute Möglichkeit gewesen, diese "schädlichen Gerüchte" auszuräumen. Göncz wurde bekanntlich 1957 für seine Rolle in und nach dem Volksaufstand zu Lebenslang verurteilt und 1963 begnadigt. Gerade in der Amtszeit von Boross kam es seinerzeit zu einer beschämenden Provokation von Rechtsradikalen gegen Göncz, anlässlich der Boross nichts unternommen hatte. (fp)