1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Aids in Russland - ist der Kampf schon verloren?

Stephan Hille, Moskau18. Oktober 2005

Aids breitet sich in Russland rasant aus. Mit drastischen Worten haben die Vereinten Nationen nun Russland aufgefordert, mehr gegen die Ausbreitung der HIV-Infektionen zu tun.

https://p.dw.com/p/7Jz6
Stephan Hille

Noch immer wird AIDS in Russland unterschätzt. Laut offizieller Statistik belief sich im Mai 2005 die Zahl der offiziell registrierten HIV-Infizierten auf mehr als 313.000 Personen. Doch die tatsächliche Zahl dürften weit darüber liegen. Nach Schätzungen der UN sind etwa 860.000 Menschen in Russland bereits an AIDS erkrankt oder mit HIV-Virus infiziert. Wadim Pokrowskij, Leiter des Föderalen AIDS-Zentrums in Moskau, geht sogar von noch höheren Zahlen aus. Er schätzt, dass die Zahl der Infizierten bereits zwischen eins und anderthalb Millionen beträgt.

Obwohl es an Warnungen in der Vergangenheit nicht gemangelt hat, galt und gilt AIDS in Russland noch immer als eine Art Tabu. Zwar sieht man inzwischen immer mehr Warn-Plakate wie zum Beispiel "SPID ne spit" (AIDS schläft nicht) oder auch Spots im Fernsehen, doch noch immer mag kaum jemand über das Thema sprechen. Die russische Gesellschaft hat noch immer kein rationales Verhältnis zu dieser Krankheit gefunden. Zwar äußert sich die Mehrheit der Russen durchaus besorgt über die Immunschwäche, doch denken die meisten nach wie vor, dass dies nur ein Problem gesellschaftlicher Randgruppen wie Rauschgiftabhängiger und Prostituierter sei. "Gulag-Lösungen", wie der Vorschlag, alle Infizierten einfach auf eine Insel zu verbannen und damit das Problem aus der Welt zu schaffen, sind durchaus populär.

Vermeintlich heile Welt

Einer der Gründe für die russische Gleichgültigkeit gegenüber dem HIV-Tod ist möglicherweise der, dass AIDS die vom "Eisernen Vorgang" und Politbüro lange geschützte "heile Welt" erst mit rund zehnjähriger Verspätung gegenüber dem Westen erfasst hat. Die Sowjetunion verzeichnete offiziell erst 1987 ihren ersten AIDS-Toten. Und nach offizieller Propaganda konnte es sich bei dem HIV-Virus um nichts anderes handeln, als die Folge der dekadenten und unsittlichen Auswüchse des hässlichen Kapitalismus. Als ob aufrechte Kommunisten, Arbeiter und Bauern immun seien.

Doch mit dem Fall der ideologischen Schranken und Grenzen boomten nicht nur die Marktwirtschaft und der Handel mit Rauschgift, sondern eben auch AIDS. Hauptbrennpunkte sind Irkutsk am Baikalsee, die Hafenstädte an der Wolga sowie St. Petersburg und Kaliningrad. Über all diese Städte führen auch die Handelsrouten für Heroin aus Afghanistan über Zentralasien nach Europa. Anders als im Westen verbreitet sich der Virus vor allem über den Rauschgiftkonsum und den achtlosen Gebrauch von Spritzen. Besonders erschreckend: 80 Prozent der Infizierten sind jünger als 30 Jahre.

Mehr Geld

Zwar hat Präsident Wladimir Putin das Problem längst bekannt und auch benannt - in einer Fernsehansprache bezeichnete er 2003 AIDS als eine Bedrohung für die nationale Sicherheit - doch passiert ist bislang wenig.

Vor allem in der Provinz mangelt es neben Toleranz gegenüber HIV-Infizierten eigentlich an allem: Angefangen von Einweghandschuhen und Möglichkeiten zur Blutanalyse bis zu Medikamenten, die bei den Infizierten dem Ausbruch von AIDS vorbeugen sollen.

Viel zu spät aber immerhin scheint der Präsident des Dank hoher Rohölpreise mächtig prosperienden Russlands nun zu reagieren: Während im laufenden Jahr der Staatshaushalt nur 3,7 Millionen Euro für die Behandlung von HIV-Infizierten zur Verfügung stellte, hat Putin für das kommende Haushaltsjahr eine Erhöhung auf 85 Millionen Euro für die Bekämpfung der Immunschwächekrankheit angekündigt.