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Albrecht: "Eine symbolische Reaktion"

Sven Pöhle5. Mai 2015

Ein neues Gesetz garantiert Frankreichs Geheimdiensten umfassende Befugnisse. Der deutsch-französische EU-Parlamentarier Jan Phillipp Albrecht bezweifelt die Wirkung der Maßnahmen.

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MdEP Jan Philipp Albrecht (Foto: picture-alliance/dpa/Fritz Schumann)
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Die französische Nationalversammlung hat einem Gesetz zugestimmt, das den Geheimdiensten des Landes umfassende Befugnisse - insbesondere im Anti-Terror-Kampf - einräumt. Herr Albrecht, ist unser Nachbarland in Zukunft sicherer?

Jan Philipp Albrecht: Ob das tatsächlich mehr Sicherheit für Frankreich bedeutet, ist nicht gesagt. Mit dem Gesetz werden zwar Befugnisse der Geheimdienste erweitert, aber in den meisten Fällen ist nicht klar, ob das wirklich notwendig ist, um Fortschritte bei den Ermittlungen zu erzielen. Im Vordergrund steht hier, dass man symbolisch zeigen möchte, alles zu tun, was möglich ist.

Sie sehen einen konkreten Zusammenhang zu den Anschlägen auf die Satirezeitung "Charlie Hebdo" im Januar und dem jüngsten Hackerangriff auf den Fernsehsender TV5 Monde in Paris?

Es ist vollkommen eindeutig, dass die Regierung von Francois Hollande mit den Maßnahmen versucht, auf die Anschläge auf "Charlie Hebdo" und den jüdischen Supermarkt in Paris zu reagieren und zu zeigen, dass man alles tut, was in der Macht der Regierung steht. Nur: Nicht alles, was möglich ist und was vielleicht auch grundsätzlich erlaubt wäre, ist auch tatsächlich geeignet, einen höheren Standard an Sicherheit zu gewährleisten. Ich habe das Gefühl, dass die Regierung darauf baut, mit diesem Signal den Druck herauszunehmen und nicht darauf schaut, ob die Maßnahmen tatsächlich geeignet sind, im Kampf gegen den Terror eine bessere Kriminalitätsbekämpfung zu erreichen.

Welche Bedenken haben Sie?

Die größten Bedenken liegen meines Erachtens bei der Forderung, jetzt anlasslos und stärker völlig unverdächtige Personen zu überwachen. Hier wird auf die alten und nicht unbedingt bewährten Methoden der Datensammlung und der schnelleren Überwachungsmaßnahmen zurückgegriffen, anstatt eine Infrastruktur aufzubauen, bei der die Behörden in der Lage sind, dann zu reagieren und zu handeln, wenn sich ein Verdacht realisiert. Es ist letztendlich wirklich der Ausnahmezustand, den man schafft, um den Menschen ein Sicherheitsgefühl zu geben.

Franzosen dürfen laut dem Gesetz nur überwacht werden, wenn die "Nationale Sicherheit" bedroht ist. Zudem soll eine neu gegründete Kommission als Kontrollinstanz bei den Überwachungsmaßnahmen der Geheimdienste fungieren. Das klingt doch zunächst einmal nach einem vernünftigen Rahmen, oder?

Der Begriff der "nationalen Sicherheit" in dem Gesetz ist vollkommen unklar und weit definiert. Hier sehe ich große Probleme und bezweifle, dass dies mit den Standards der EU-Grundrechtssprechung vereinbar ist. Was die Kontrolle betrifft: Die muss natürlich im Vordergrund stehen. Das Problem ist, dass sie nicht in allen Fällen eine gerichtliche Kontrolle und damit eine wirkliche Sicherstellung der Verfahrensrechte garantiert. In vielen Fällen stellt sie nur eine Ersatzkontrolle dar.

Wie wirkt sich das aus?

Wir gehen davon aus, dass jemand, der von Grundrechtseingriffen betroffen ist, die gleichen Verfahrensrechte und die gleichen Rechte als Beschuldigter hat, wie in allen anderen Verfahren. Wir haben diesbezüglich EU-weite Regeln, die solche Standards absichern sollen.

Und die hebelt das neue Gesetz aus?

Wir müssen jedenfalls genau drauf schauen, inwiefern dieses Gesetz solche EU-weiten Verfahrensstandards gefährdet. Sollte das der Fall sein - und ich sehe durchaus Anzeichen dafür - dann müsste dieses Gesetz korrigiert werden, indem die EU-Kommission Frankreich eine Ermahnung erteilt.

Ist das französische Gesetz der künftige Maßstab für Regierungen Europas im Kampf gegen den Terror?

Ich hoffe, dass sich das nicht wie ein Lauffeuer in den umliegenden EU-Mitgliedsstaaten verbreitet. Ich denke, dass das hier eine Übertreibung ist, die in der Debatte mit den europäischen Partnern auch wieder zurechtgerückt werden muss. Letztendlich stellt sie nur eine symbolische Reaktion für ein besseres Sicherheitsgefühl dar.

Ist ein derartiges Gesetz auch in Deutschland denkbar?

Wir hatten auch in Deutschland schon solche Gesetzgebungen. Vieles davon ist heute immer noch in Kraft. Seit dem 11. September 2001 haben die EU-Staaten über 200 Gesetze zur Terrorbekämpfung und zu, wie sie selber behaupten, "besseren Sicherheitsmaßnahmen" auf den Weg gebracht. Keine davon wurde wirklich evaluiert. Wir haben keine Klarheit darüber, inwiefern solche Gesetze dazu beigetragen haben, die Sicherheit nach den Terroranschlägen deutlich zu erhöhen. Ganz im Gegenteil: man muss festhalten, dass die noch immer hohe Terrorismusgefahr und die immer wieder verhinderten Attentate und auch die stattgefundenen Attentate Belege dafür sind, dass diese Art von Sicherheitsgesetzen offensichtlich nicht der Weisheit letzter Schluss ist.

Jan Philipp Albrecht (Bündnis 90/Die Grünen) ist Abgeordneter des Europäischen Parlaments. Dort ist er unter anderem stellvertretender Vorsitzender im Innen- und Justizausschuss. Albrecht hat die deutsche und die französische Staatsbürgerschaft.

Das Interview führte Sven Pöhle