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Aleppos Ärzte schlagen Alarm

Anna Lekas Miller / vk2. August 2016

Die Lage für Aleppos Kranke und Verletzte verschlimmert sich von Tag zu Tag: Krankenhäuser werden bombardiert, Medikamente fehlen und der Weg in die Türkei ist versperrt. Aus Antakya in der Türkei Anna Lekas Miller.

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Blutbank in Aleppo (Foto: Independent Doctors Association)
Bild: IDA/I. Abdulrahman

Man könnte den Eindruck gewinnen, die letzte Schlacht um die einstige Rebellenhochburg Aleppo stünde kurz bevor: Innerhalb weniger Tage bombadierten die syrische Armee und Russland in einer Serie von 26 Luftangriffen die Stadt Al-Atarib westlich von Aleppo. Sie wird von der Opposition kontrolliert. 42 Zivilisten wurden dort innerhalb von 24 Stunden getötet. Das einzige Krankenhaus der Stadt wurde dabei gleich vier Mal binnen 90 Minuten getroffen.

Weil der OP-Saal nicht mehr genutzt werden kann, weiß nun niemand, wo die Schwerverletzen behandelt werden können. Einige von ihnen wurden zur Behandlung in die Türkei geschickt. Aber nur diejenigen, die wirklich in akuter Lebensgefahr schweben, dürfen das Land verlassen - und der Weg zur Grenze birgt oft erhebliche Gefahren.

"Je nachdem, von wo aus ein Patient in die Türkei gebracht werden soll, kann das bedeuten, dass er Gebiete passieren muss, die von den Syrischen Demokratischen Kräften, dem Islamischen Staat oder vom Regime kontrolliert werden", sagt Dr. Hassan, der für den Verein Unabhängiger Ärzte (IDA) medizinische Evakuierungen leitet, im Gespräch mit der DW. "Oft lohnt es sich nicht, das Risiko einzugehen."

Gefangen in Aleppo

Nur wenige Kilometer vom verwüsteten Al-Atarib entfernt - in Aleppo - haben die Verwundeten noch weniger Optionen. Seit die syrische Armee im Juli die zentrale Versorgungsroute nach Aleppo abgeriegelt hat, sind die Rebellen-Viertel quasi vom Rest der Welt abgeschnitten. Die Castello-Straße war die einzige Route, die den von Rebellen kontrollierten Osten der Stadt mit dem von Assads Truppen kontrollierten Westen verband.

"Alles hat sich durch die Belagerung geändert", sagt Khaled. Der 25-Jährige arbeitet als Notfallhelfer für die Syrian Civil Defense, eine Gruppe von Bürgern, die im Notfall medizinische Hilfe leisten. "Wir haben fast keine Nahrungsmittel mehr", berichtet er. "Der Preis für ein Kilo Reis ist von 100 auf 500 syrische Pfund (von 41 Cent auf zwei Euro, Anm. d. Red.) angestiegen. Die meisten Geschäfte haben geschlossen."

Proteste in Aleppo anlässlich der katastrophalen Krankenhausversorgung (Foto: DW/A. L. Miller)
Die Situation in Aleppo wird von Tag zu Tag unerträglicher - Bewohner protestierenBild: DW/A. L. Miller

Aleppos medizinische Helfer sind dafür bekannt, selbst unter den widrigsten Umständen weiterzuarbeiten. Doch durch die Belagerung stehen sie nun vor noch größeren Herausforderungen. Auf der Castello-Straße wurden nicht nur Lebensmittel transportiert, sondern auch Medikamente. Jetzt haben die verbleibenden 33 Ärzte in der Stadt nur noch ihre Notreserven, um die vielen Verletzten zu behandeln. Hinzu kommen auch immer mehr Fälle von Mangelernährung.

"Die Krankenhäuser sind überlastet", sagt Dr. Mohamed Katoub von der Hilfsorganisation Syrian American Medical Association (SAMS) im Gespräch mit der DW. Im Osten von Aleppo kommen auf einen Arzt knapp über 9000 Patienten. Zum Vergleich: Weltweit muss sich ein Arzt durchschnittlich um 300 Patienten kümmern. "Die Ärzte müssen weit mehr Menschen behandeln, als sie gewohnt sind", so Katoub.

Fachärzte fehlen

Die Belagerung durch Assads Truppen komme für die medizinischen Helfer jedoch nicht überraschend, sagt Katoub. Seit einem halben Jahr haben sie ihre Vorräte aufgestockt. Aber Angriffe wie der auf eine Blutbank vor wenigen Tagen zeigen, dass selbst ihre Vorräte in der aktuellen Situation nicht sicher sind - egal wie gut sie auf Engpässe eingestellt waren.

Hinzu kommen weitere Einschränkungen, die den Ärzten ihre Arbeit zusätzlich erschweren. "Es gibt mehrere Behandlungen, die wir nicht mehr in der Stadt anbieten können", so Katoub. Als sich die Menschen noch frei bewegen konnten, sei das kein Problem gewesen. Jetzt habe sich die Lage aber dramatisch verschlechtert. Die Menschen können keine Spezialisten außerhalb der Stadt mehr aufsuchen. "Wir haben nur einen Neurochirurgen in der Stadt", so Katoub. "Er kann es unmöglich schaffen, die vielen Kranken zu behandeln."

Neugeborene in Aleppo (Foto: I. Abdulrahman)
Die Krankenhäuser sind überfüllt, auch die Versorgung der ganz Kleinen leidet darunterBild: IDA

Katoub und andere Vertreter von medizinischen Hilfsorganisationen fordern deshalb, dass der Zugang zur Castello-Straße zumindest für dringende medizinische Evakuierungen wieder geöffnet wird. Die internationale Gemeinde schweigt dazu bisher jedoch.

Das syrische Regime hat indes die Bewohner der Rebellen-Viertel darüber informiert, sie könnten auch in Krankenhäusern behandelt werden, die in Stadtvierteln unter Regierungskontrolle lägen. Aber einige Patienten, die diesem Rat gefolgt waren, wurden festgenommen oder verhört, sobald sie dort angekommen waren. Viele entscheiden sich daher, lieber erst gar nicht auf dieses Angebot einzugehen.

"Das Regime greift die medizinische Versorgung an, weil die Menschen ohne Ärzte und Medikamente nicht leben können", kritisiert Katoub. Inzwischen sind 60 Prozent aller Krankenhäuser in Syrien entweder komplett oder teilweise geschlossen.

"Man kann nicht in einer Stadt leben, in der es keine Impfungen für Kinder gibt oder man nicht behandelt wird, wenn man krank ist." Die medizinische Notlage sei der Hauptgrund, weshalb die Menschen aus Aleppo fliehen.