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"Eine Auszeichnung für alle Weißrussen"

Efim Schuhmann8. Oktober 2013

Swetlana Alexijewitsch hat den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2013 erhalten. Im DW-Interview spricht die weißrussische Schriftstellerin über die Auszeichnung, ihre Arbeit und über ihr neues Buch.

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Die Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch (Foto: imago / gezett)
Bild: Imago

DW: Frau Alexijewitsch, was ging in Ihnen vor, als Sie erfahren haben, dass Sie den Friedenspreis des deutschen Buchhandels bekommen werden?

Swetlana Alexijewitsch: Solche Auszeichnungen empfindet man nicht als etwas Persönliches, sondern als Unterstützung für alle Weißrussen, die sich in einer solchen Lage befinden. Die liberalen Bestrebungen in Weißrussland sind gescheitert. Menschen sitzen in Gefängnissen, literarische Werke werden nicht gedruckt - wie in meinem Fall. Ich habe keine Möglichkeit, mit meinen Lesern zu sprechen. Die Machthaber tun so, als wäre ich nicht da. Doch diese Auszeichnung gibt mir Unterstützung.

Trotz all dieser Schwierigkeiten sind Sie 2011 nach Weißrussland zurückgekehrt. Warum?

Das hat sowohl private als auch berufliche Gründe. Während ich im Ausland lebte, starben meine Eltern. Meine Enkelin ist gerade sieben Jahre alt und ich möchte sie aufwachsen sehen. Als Schriftstellerin arbeite ich in einem Genre, bei dem man mitten im Leben sein muss. Kaum ist man ein paar Monate nicht da, schon verändert sich etwas. Ich werde Weißrussland nur dann wieder verlassen, wenn es eine Gefahr für mein Leben gibt.

Eine Schriftstellerin braucht ihre Leser. In Deutschland erscheinen immer neue Auflagen ihrer Bücher. Doch bei Ihnen zu Hause kennen die jungen Leute Sie kaum, weil Ihre Bücher dort nicht gedruckt werden…

Damit man Bücher liest, muss man sie zunächst schreiben. Um solche Bücher zu schreiben, wie ich das tue, muss man vor Ort sein. Ich muss Gesprächen auf der Straße, in Cafés oder Restaurants lauschen. Meine Ohren sind auf die Straße gerichtet, sie sind mein Arbeitsinstrument.

Sie schreiben in einem ungewöhnlichen Genre für russischsprachige Literatur. Es ist eine dokumentarische Prosa. Warum haben Sie sich dafür entscheiden?

So neu ist das nicht. Es gab Schriftsteller, die ähnlich über den Krieg geschrieben haben. Ich bin in einem weißrussischen Dorf aufgewachsen. Nach dem Krieg lebten in solchen Dörfern meist nur Frauen. Ich habe das Leben über die Stimmen der Frauen wahrgenommen. Das ganze Leiden war ständig Gesprächsthema. Ich habe dieses Genre nur vertieft und weiterentwickelt.

Manche Schriftsteller möchten die Welt verändern, wollen sie besser machen. Haben Sie auch solche Ambitionen?

In meinem neuen Buch "Das Ende des roten Menschen" wollte ich eine Art Enzyklopädie des "roten" Lebens schreiben. Ich wollte es archivieren. Denn Kommunismus ist wie eine Viruserkrankung. Niemand kann garantieren, dass er für immer weg ist. Ich bin durch Russland gereist und spürte dort den Wunsch nach einer neuen Revolution. Diese Erfahrung (das Leben in der Sowjetunion – Red.) war schrecklich, blutig. Ich wollte die Wahrheit erzählen und habe das Wort sowohl den Opfern als auch den Henkern erteilt.

Wir sind eine Gesellschaft von Opfern. Die Henker verschwinden und wir wissen nicht, was sie denken. Ich konnte einige dieser Leute treffen und über ihre ideologischen Motive mit ihnen sprechen. Das Gute und das Böse ist bei uns sehr schwer auseinanderzuhalten. Deshalb ist es wichtig, diese Stimmen zu hören. Die Deutschen haben ihre Vergangenheit verarbeitet. Das haben Intellektuelle getan. Wir haben es versäumt. Wir haben unsere Vergangenheit versiegelt.

Die 65-jährige weißrussische Schriftstellerin und Publizistin Swetlana Alexijewitsch ist durch ihre Bücher über den sowjetischen Krieg in Afghanistan oder die Tschernobyl-Katastrophe bekannt. Sie lebte eine Zeit lang in Italien, Frankreich und Deutschland, 2011 kehrte sie nach Weißrussland zurück.