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Politik

Ali, Uber-Fahrer und Hisbollah-Kämpfer

Anchal Vohra ie
4. Dezember 2017

Ali arbeitet in Beirut für den Fahrdienst Uber. Und er ist in der schiitischen Hisbollah-Miliz - noch. Der 30-Jährige hat in Syrien gekämpft, doch jetzt hat er genug vom Krieg. Anchal Vohra hat ihn getroffen.

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Libanon Uber-Fahrer und Hezbollah-Kämpfer
Bild: DW/A. Vohra

"Nach den vielen Jahren in Syrien und im Irak sind wir vom Krieg erschöpft“, sagt Ali, Taxifahrer für Uber und Hisbollah-Kämpfer. Ali kommt aus Baalbek im Nordlibanon. Heute lebt er mit seiner Familie in Dahiya, einem Hisbollah-Hotspot in Beirut. Er fährt mich durch das Viertel, dem man sofort ansieht, dass es dem Chef der schiitischen Miliz, Scheich Hassan Nasrallah, treu ergeben ist.

Auf Plakaten, die hier an fast jedem Kreisverkehr aufgestellt sind, wird der Scheich wohlwollend dargestellt. Auf einem pflanzt er einen jungen Baum. Auf einem anderen deutet er selbstsicher in eine Richtung, als ob er den richtigen Weg wisse.

Andere Bilder zeigen im Syrienkrieg Gefallene. "Schau mal", sagt Ali und zeigt auf ein Plakat an einer Bushaltestelle, "Noch ein Ingenieur, der in Syrien gestorben ist." Ali ist ebenfalls Ingenieur, genauer: Vermessungsingenieur. Für die Offensive gegen oppositionelle Kräfte in der syrischen Stadt Kusseir zeichnete er 2013 Karten von der Kriegszone. Viele seiner Freunde starben auf dem Schlachtfeld.

Libanon Uber-Fahrer und Hezbollah-Kämpfer
"Vom Krieg erschöpft": Uber-Fahrer Ali macht Pläne für die ZukunftBild: DW/A. Vohra

Die Hisbollah hält sich in letzter Zeit zurück

Mehr als 1000 Hisbollah-Kämpfer sind in Syrien umgekommen. Wegen der vielen Todesopfer und der Erschöpfung unter den Kämpfern, so glaubt Ali, halte sich Scheich Nasrallah nach den jüngsten Streitigkeiten mit Saudi-Arabien aktuell zurück.

Am 4. November war der libanesische Regierungschef Saad Hariri unerwartet zurückgetreten - während eines Aufenthaltes in Saudi-Arabiens Hauptstadt Riad. Viele vermuteten daraufhin, dass das saudische Königshaus hinter dem Rücktritt steckte. Am 22. November dann kehrte der Sunnit Hariri in den Libanon zurück und widerrief vorläufig seinen Rücktritt - nachdem Präsident Michel Aoun, ein Verbündeter der Hisbollah, diesen nicht akzeptiert hatte. In diesen drei turbulenten Wochen habe Nasrallah zu Besonnenheit aufgerufen, so Ali. Das sei staatsmännisch gewesen, aber zeige auch, dass es gerade "keinen Appetit auf Krieg" gebe.

Durch die Kriege der letzten Jahre hat die Hisbollah viel an Erfahrung gewonnen und ist als Verbündete des Irans zur mächtigsten multinationalen Miliz geworden. "Widerstand gegen Israel", das ist das erklärte Ziel der Gruppe, die damit beschäftigt ist, die Erfolge der vergangenen Kriege zu sichern.

Karte Libanon Saudi Arabien Iran

Die Hisbollah besteht darauf, die Stationierung von Truppen an der israelischen Grenze diene dem eigenen Schutz. Israel wiederum fürchtet, eine starke Hisbollah könnte eine Offensive vorbereiten. Das gegenseitige Misstrauen ist allgegenwärtig, und auch wenn keiner einen Krieg will: Gefechte, die zu einem solchen Krieg führen könnten, kann niemand ausschließen.

"Ich hatte die Wahl zwischen dem IS und dem Tod"

Doch Ali hat keine Lust, sich in einen neuen Konflikt verwickelt zu lassen, zumindest nicht im Moment. Er betont seine Loyalität zur Hisbollah und dass er schon einmal dazu bereit war, für ihre Sache zu sterben. Doch jetzt, so Ali, sei der Kampf gegen einen Gegner, den "Islamischen Staat", erst einmal gewonnen; er habe sich eine Pause verdient: "Ich hatte die Wahl zwischen dem IS und dem Tod und habe den Tod gewählt. Aber jetzt ist der IS weg."

Abgesehen von Hisbollah, Israel, IS und al-Qaida hat Ali dieselben Sorgen wir jeder 30-jährige Libanese. "Ich bin Ingenieur, aber ich bin dazu gezwungen Taxi zu fahren", sagt er. Damit ist Ali nicht allein. Steigt man in Beirut in ein Taxi, trifft man oft einen Fahrer, der eigentlich einen anderen Beruf gelernt hat - und frustriert ist ob seiner Situation.

Libanon Uber-Fahrer und Hezbollah-Kämpfer
Licht am Ende des Tunnels? Ali unterwegs in BeirutBild: DW/A. Vohra

Ein neues Leben in Deutschland?

Nach ein paar Tassen Kaffee erzählt  Ali von seinen Zukunftsplänen, die ungewöhnlich für einen Hisbollah-Kämpfer erscheinen. "Ich liebe Deutschland", erklärt er. Wie tausende andere will Ali nach Deutschland auswandern - in der Hoffnung auf eine angemessene Arbeit und bescheidenen Wohlstand. Die Arbeitslosigkeit ist für ihn das größte Problem seines Heimatlandes.

Zu warten, bis sich die libanesische Wirtschaft erholt - darauf hat Ali hat keine Lust mehr. Er hat einen anderen Plan. Arabisch und französisch spricht er fließend, für die stolze Summe von umgerechnet 1000 Euro besucht er außerdem einen Deutschkurs, zusammen mit zwölf anderen Ingenieuren. In einem Monat will Ali nach Deutschland reisen, um sein Deutsch weiter zu verbessern. Dafür muss er noch weitere 5000 Euro zusammenbekommen. Seitdem er herausgefunden hat, dass Deutschland in seinem Bereich ausgebildete Fachkräfte sucht, verbringt der 30-Jährige Stunden damit, online nach freien Stellen zu suchen.

Libanon Uber-Fahrer und Hezbollah-Kämpfer
Suchbegriff "Arbeitsamt": In Deutschland werden Ingenieure gesuchtBild: DW/A. Vohra

An seinem Kaffee nippend, googelt Ali "Arbeitsamt". Auf der Seite sind über 4.000 Jobangebote, die auf ihn passen würden. Seine Zukunft hängt davon ab, ob er sich einen davon bei seinem Besuch in Deutschland sichern kann. Ali ist ungeduldig. Er will endlich vorwärts kommen im Leben.

Mit wem er es gerne verbringen würde, weiß er schon: Ali hat sich in eine Frau aus dem christlichen Nachbarviertel verliebt. Er deutet auf die von Gefechten gezeichnete Grenzmauern und spricht vom 16 Jahre andauernden Bürgerkrieg, den Veränderungen in der libanesischen Gesellschaft: "Nichts bleibt so, wie es ist. Guck mich an: Ein Schiit, der sich in eine Christin verliebt hat! Ich werde sie mit nach Deutschland nehmen und heiraten - Inschallah (wenn Gott es will)!

Und was hat Ali den Deutschen zu sagen, die die Hisbollah als Terrororganisation einstufen? "Terrorist? Nein. Ich bin ein Ingenieur, und sie sollten wissen, wer unseren gemeinsamen Feind, den IS, besiegt hat", findet er. Als ich aus dem Auto steige und zum Abschied winke, antwortet Ali auf Deutsch: „Auf Wiedersehen! Gute Nacht, Frau Vohra!"