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Allende-Kritiker gerät selbst in die Kritik

Luna Bolivar Manaut / (cmw)11. Juni 2005

Nach dem Vorwurf eines chilenischen Historikers, Salvador Allende, das einstige Idol der Linken sei Rassist gewesen, versucht die Allende-Stiftung, das Bild des Ex-Präsidenten Chiles wieder zurechtzurücken.

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Was ist dran an den Rassismus-Vorwürfen?Bild: AP

Mit seinem Buch "Salvador Allende - Antisemitismus und Euthanasie" hatte Victor Farias im März 2005 die Auseinandersetzung um das Andenken an Salvador Allende losgetreten. Eine von Farias' Thesen: Der erste sozialistische Präsident Chiles, der 1973 bei Augusto Pinochets Militärputsch starb, war ein Antisemit und Rassist. Nun gehen die Verteidiger Allendes in die Offensive. Die umstrittene Doktorarbeit Allendes, aus der Farias seine Vorwürfe ableitet, steht mittlerweile im Internet und soll bald in Papierform erscheinen. Die Allende-Anhänger wollen mit ihr die Vorwürfe entkräften. Der Gegenangriff der Allende-Stiftung

Der Vorwurf der Salvador Allende-Stiftung in Madrid: Farias habe die polemischsten Passagen der Arbeit aus dem Zusammenhang gerissen und Allende so Meinungen in den Mund gelegt, die dieser lediglich dargestellt, jedoch nicht geteilt hat.

Die Leiche von Salvador Allende wird aus dem Präsidentenpalast getragen Militärputsch in Chile 1973
Militärputsch 1973: Die Leiche von Allende wird aus dem Präsidentenpalast getragenBild: AP

Die Stiftung bemängelt nicht nur das, was Farias schreibt, sondern vor allem das, was er nicht schreibt. Wenn in der Arbeit etwa von den kriminellen Tendenzen der Juden die Rede ist, mache Farias nicht deutlich, dass Allende hier den italienischen Kriminologen Lombroso zitiert. Allendes eigenes Fazit, dass "präzise Daten" fehlten, um den Einfluss der Rasse auf die Kriminalität zu untermauern, unterschlage Farias ebenfalls. Joan Garcés, Präsident der Stiftung und ehemaliger Weggefährte Allendes, bezeichnet die Arbeit von Farias schlicht als "Pamphlet der Diffamierung".

Auch Experten haben Zweifel

Die Experten sind momentan freilich vorsichtiger, den Vorwurf der Manipulation in den Mund zu nehmen. Holger Meding vom Kölner Lateinamerika-Institut sagt: "Farias hat das Dokument nicht verfälscht, aber nur einseitig ausgewertet." Er bewege sich an der "Grenze des wissenschaftlich Zulässigen".

Für seinen Kollegen Antonio Sáez-Arance besteht das Problem darin, dass Farias die Allende-Zitate nicht deutlich von seiner eigenen Interpretation abgrenze. Hinzu komme, dass der Glaube an die genetische Veranlagung in den 1930er-Jahren weltweit verbreitet gewesen sei. In vielen Ländern habe es Sterilisationsprogramme gegeben, und Mediziner hätten Homosexualität bis in die 1970er-Jahre hinein wie eine Krankheit behandelt. "Man darf nicht vergessen, dass Allende kein ethisches Traktat geschrieben hat, sondern eine medizinische Untersuchung", sagt Saéz-Arance.

Allende als "Sohn seiner Zeit"

Chile Allende Jahrestag
Allende-Anhänger beim Gedenken an den früheren PräsidentenBild: AP

Peter Birle, Berliner Lateinamerika-Experte, wird deutlicher: "Man gewinnt den Eindruck, dass Farias bewusst versucht, das Bild von Allende zu zerstören. Es handelt sich sicher nicht um eine seriöse Arbeit." Laut Birle ist es nicht das erste Mal, dass Farias versucht, mit zweifelhaften Methoden Aufmerksamkeit zu erregen. Eine Einschätzung, die die Kölner Lateinamerika-Forscher teilen.

Etwas Positives gewinnt Sáez-Arance der Debatte jedoch auch ab: "Sie hilft, Allende als eine historische Person wahrzunehmen. Als Sohn seiner Zeit hat er nicht nur gute Sachen, sondern auch Fehler gemacht. Er war kein Heiliger."