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Alles eine Frage der Trägheit

Ingun Arnold11. April 2004

Äußerlich gleicht ein Ei dem anderen, das rohe und das gekochte. Lässt man sie aber auf der Tischplatte rotieren, dann zeigt sich: Das eine trudelt lustlos vor sich hin, das andere dreht elegante Pirouetten. Warum?

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Ist das Ei roh oder gekocht?

Eier sind eine (Hobbykoch-)Wissenschaft für sich: Eine Antwort auf die Frage, ob das Ei frisch ist oder nicht, gibt der Test im Wasserglas: Frisch sinkt. Alt schwimmt. Geht es darum herauszufinden, ob das Ei roh ist oder gekocht, dann hilft der schwungvolle Dreh auf der Tischplatte: Rohe Eier eiern, gekochte drehen und drehen sich – bei genügend Schwung sogar bis auf die stumpfe Spitze.

Hartgekocht = Reibungskünstler

Woher nimmt das gekochte Ei die Energie, sich beim Drehen aufzurichten und um die eigene Achse zu kreiseln? Keith Moffat von der Universität Cambridge und Yutaka Shimomura von der Keio University wollten es ganz genau wissen. Ein halbes Jahr Eierdrehen und ein bisschen Querdenken bescherten ihnen eine verblüffende Erkenntnis: Das hartgekochte Ei verhält sich genauso wie ein Stehaufkreisel.

Physik Stehaufkreisel tippe top

Dieser Kreisel sieht aus wie eine Halbkugel mit Stiel. Im Ruhezustand steht er auf der Spitze der Halbkugel, Stiel nach oben. Wird er aber in Bewegung versetzt, dann tut er auf den ersten Blick etwas physikalisch Absurdes: Der Kreisel richtet sich auf und rotiert auf der Spitze des Stiels, Halbkugel nach oben. Irgendwie ist es ihm gelungen, seinen Schwerpunkt von unten aus der tiefsten nach oben in die höchste Lage zu verschieben und so die Schwerkraft zu überlisten. Ähnliches passiert mit einem hartgekochten Ei, wenn es sich auf einer Tischplatte dreht.

Das Geheimnis liegt in der Reibung. Wenn das Ei rotiert, bekommt es von der Tischplatte winzige Stöße ab. Das Ei wippt. Hat man es kräftig genug angeschubst und hat es demzufolge genügend "Schwung", greifen jetzt die Kreiselkräfte an der Symmetrieachse des Eis an. Da es sich aber noch "in Schieflage" befindet, weicht es den Kräften aus: Es richtet sich auf. Und kreiselt.

Gleichzeitig verlagert sich der Schwerpunkt des Eis und es gewinnt an Rotationsenergie. Das Ei verhält sich nun wie ein Eiskunstläufer, der Pirouetten dreht. Allerdings richtet sich das Ei nur auf, wenn die Tischplatte nicht zu glatt und nicht zu rau ist: Auf einer Glasplatte funktioniert der Eierkreisel genauso wenig wie auf einem Tisch mit Tischtuch. Ohne Reibung kann das Ei nicht wippen. Bei zu viel Reibung kommt es zu schnell zur Ruhe und die Kreiselkräfte können gar nicht erst wirken.

Roh = massenträge

Straußenei
Bild: AP

Für das schlaffe Torkeln der rohen Eier sind zwei gegeneinander wirkende Kräfte verantwortlich. Hat man dem Ei erst einmal den richtigen Dreh verpasst, dann wirken Fliehkraft (durch die Rotation), Kreiselkräfte und Reibung (auf der Tischplatte) auf das Ei ein. Wären Dotter und Eiweiß hartgekocht, dann würde die Kombination der Kräfte dafür sorgen, dass das Ei sich aufrichtet und kreiselt. Aber das flüssige Innere des rohen Eis absorbiert die zum Kreiseln notwendige Energie.

Zum einen schwappt es innerhalb der Schale hin und her und wird deshalb nicht so schnell und in die gleiche Richtung beschleunigt wie seine äußere Hülle. Zum anderen "will" es sich, einmal in Bewegung gesetzt, einfach weiter so bewegen. Grund hierfür ist das physikalische Phänomen der Massenträgheit: Jeder Körper stemmt sich mit seiner Masse gegen eine Änderung seiner Geschwindigkeit und seiner Richtung. Beim rohen Ei arbeiten Eihülle und Eiinneres gegeneinander. Beim gekochten Ei gibt es kein träges, hin und her schwappendes Inneres. Es verhält sich wie ein starrer Körper aus "einem Guss". Siehe oben.