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Marodes Bahnsystem

1. Juli 2009

Das Zugunglück im italienischen Viareggio ist einer der schwersten Eisenbahnunfälle in der europäischen Geschichte. Dass der Güterzug in Italien entgleist ist, kommt für viele Kritiker nicht überraschend.

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(Foto: Maksim Nelioubin)
Es gibt viele Gründe, die italienische Bahn zu kritisierenBild: Maksim Nelioubin

Langsam und feierlich rollte am 3. Oktober 1839 die erste Eisenbahn Italiens über die Gleise - 7640 Meter Schienenstrecke von Neapel nach Granatello. Die Chronisten der damaligen Zeit vermerkten: "Diese Zugstrecke hat im Augenblick noch keine besondere wirtschaftliche Bedeutung. Die Eisenbahn dient dem wunderbaren Vergnügen, durch eine zauberhafte Landschaft zu fahren."

170 Jahre später hat das Vergnügen schon lange ein Ende.

Mangelnde Sicherheit, große Verspätungen

Ein Güterzug auf einer Schiene (Foto: BilderBox)
Nur noch wenig Güter- und Personenverkehr läuft über die italienischen SchienenBild: BilderBox

Bis heute sind wichtige Strecken in Italien eingleisig. So auch die Nord-Süd-Achse zwischen Verona und Bologna. Dort hat sich vor vier Jahren das letzte schwere Unglück ereignet. Die Eisenbahner wollen mit Streiks immer wieder auf die mangelnde Sicherheit aufmerksam machen.

Rundfunk und Fernsehen berichten über ausgefallene Züge, wartende Reisende auf überfüllten Bahnhöfen, Verspätungen und verständlichen Ärger. Die Italiener haben sich daran gewöhnt, dass die Züge ab und zu stillstehen.

Weniger Züge auf den Schienen

Als die Bahn noch staatliches Monopol war, steckte sie in gewaltigen Schulden. Jetzt ist sie privatisiert und der Service werde immer schlechter, sagen die Kunden. "Vergangenes Jahr haben sie ganze Waggons voller Zecken gefunden. In der ersten Klasse geht es vielleicht noch, aber in der zweiten ist die Situation eindeutig schlechter", beschwert sich ein Bahnfahrer. Die Eisenbahnverwaltung sagt, Sicherheit sei wichtiger als Service. Das führt dazu, dass der Wagenpark schrumpft, weil Waggons veraltet sind und die bis zu 40 Jahre alten Loks nicht mehr auf die Strecke geschickt werden können, weil sie kaputt sind.

Ein Zug steht in Flammen (Foto: AP)
In der Nacht auf den 1. Juli entgleiste ein Güterzug in Viareggio - und explodierteBild: AP

Das jüngste Unglück sei vorhersehbar gewesen, behaupten die Gewerkschaften. Die Bahnmanager verweisen dagegen auf die Statistiken: In den letzten zehn Jahren seien die Unfälle um fast die Hälfte zurückgegangen. Trotzdem will man jetzt die Wartungsarbeiten um zehn Prozent aufstocken.

In den vergangenen 20 Jahren wurden 250 Kilometer Strecken geschlossen, die Zahl der Loks ging von 5600 auf 4700 zurück, die der Waggons von 13300 auf 8600 und die Zahl der Güterwagen wurde um mehr als die Hälfte reduziert. Auf den Schienen werden nur noch elf Prozent der Güter bewegt und neun Prozent der Reisenden.

Führungsriege statt Serviceangestellten

Im gleichen Maß, in dem das Personal in den Zügen abnahm, vermehrte sich das in den Führungsetagen der Eisenbahnverwaltung: Die Zahl der Angestellten sank von 216.000 auf 106.000, während sich die unkündbaren Spitzenverdiener in den Direktorenbüros von 600 auf 1200 verdoppelt haben. Dafür mangelt es an Personal an den Fahrkartenschaltern, wie ein Kunde erzählt: "Man wartet halt in Gottes Namen bis man dran ist. In Italien sind wir das Warten gewöhnt: Wir warten seit 150 Jahren auf Reformen, da ist das hier nichts gegen."


Autor: Karl Hoffmann
Redaktion: Julia Kuckelkorn/Sandra Voglreiter