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Altern in der Fremde

15. Dezember 2011

Die erste Migranten-Generation in Deutschland ist in die Jahre gekommen. Ihre Sehnsucht nach der Heimat hat nie aufgehört. Endlich im Ruhestand, fragen sich viele von ihnen: Sollen wir jetzt gehen oder bleiben?

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Sefer Özden im Männercafé Foto: Irem Özgökceler
Bild: DW

Sefer Özden gehört zur ersten Generation türkischer Einwanderer in Deutschland. Seit fast 37 Jahren lebt er hier. Heute ist er 70 Jahre alt - und damit einer von vielen: Die Gruppe der Migranten, die älter als sechzig sind, umfasst in Deutschland rund eine Million Menschen. Das Gefühl, nicht zu wissen, wo sie hingehören, erschwert vielen von ihnen die Entscheidung, wo sie ihren Lebensabend verbringen möchten. Auch Sefer Özden ist zwischen der Türkei und Deutschland hin- und hergerissen.

Ein Leben in der Fremde – für ein Leben in der Heimat

Özden studierte in der Türkei Deutsch auf Lehramt. Nach jahrelanger Arbeit als Lehrer in der türkischen Hauptstadt Ankara bewarb er sich um ein Stipendium in Deutschland. Der Grund, warum Özden das Land verlassen wollte, waren die damaligen politischen Unruhen und der militärische Ausnahmezustand, der 1971 in der Türkei verhängt worden war.

Sefer und Nuray Özden vor dem Kölner Dom (Foto: privat)
Wahlheimat Köln: Sefer Özden und seine Frau Nuray vor dem DomBild: privat

1974 zog Özden nach Deutschland. Seine Frau und zwei Kinder kamen später nach. Für immer in Deutschland bleiben wollte die Familie allerdings nicht. Özdens Ziel war es, eines Tages in der Türkei an der Universität zu lehren. "Wir haben unser Gespartes immer in die Türkei investiert. Wir haben hier nicht mal ein Haus gekauft, obwohl es damals günstig war", erinnert er sich. Aber die Jahre vergingen schnell, außerdem verschlechterte sich die wirtschaftliche und politische Lage in der Türkei. Die Familie blieb in Deutschland. "Wir fühlten uns gezwungen zu bleiben, es war keine freiwillige Entscheidung", so Özden.

Mit der Rente kam das Gefühl von Einsamkeit

Zwei Jahre musste der Lehrer warten, bis er in Deutschland eine Vollzeitstelle bekam. Dann schaffte er es als Türkischlehrer an der Heinrich-Böll-Gesamtschule in Köln Chorweiler. Nebenbei promovierte Özden in Erziehungswissenschaften. 30 Jahre vergingen, 30 Jahre lehrte er Türkisch. Seit fünf Jahren ist er nun Rentner.

Das Ehepaar Özden vor ihrem Sommerhaus in der Türkei (Foto: privat)
Das Ehepaar Özden vor ihrem Sommerhaus in der TürkeiBild: privat

Es war für Özden nicht einfach, sich an das Rentnerleben zu gewöhnen. "Am Anfang realisiert man gar nicht, dass man Rentner ist. Man hat jahrelang in einem bestimmten Rhythmus gearbeitet und gelebt, und dann herrscht plötzlich eine große Leere - man fühlt sich auf einmal sehr einsam". Die schwierige Zeit überwand er mit Gartenarbeit in seinem Sommerhaus in der Türkei. Heute ist Özden ein so genannter "Pendel-Rentner": Er verbringt den Winter in Deutschland und den Sommer in der Türkei.

Rückfahrticket in die Heimat eher unwahrscheinlich

Immer wieder sind ältere Migranten hin- und hergerissen, wo sie leben wollen und versuchen, in beiden Ländern Fuß zu fassen. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr in die Heimat für viele von ihnen sehr gering. Laut einer Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge beabsichtigen 70 Prozent der älteren Migranten zwischen 50 und 79 Jahren, in Deutschland alt zu werden. Das gilt auch für Özden. Verschiedene Gründe halten ihn davon ab, in die Türkei zurückzukehren. "Die medizinische Versorgung ist in Deutschland besser. Und auch der Wunsch, bei den Kindern zu bleiben, ist groß", sagt er.

Migranten haben in Deutschland zwar oft bessere Lebensbedingungen als in ihren Ländern, auf der anderen Seite nimmt mit den Jahren aber auch das Heimweh zu . "Man sagt, dass ab einem bestimmten Alter die Heimat einen Menschen ruft. Die Kindheitserinnerungen werden lebendiger, die Sehnsucht steigt", sagt Sefer Özden. Je älter er wird, desto bewusster wird ihm, wie endlich das Leben ist. "Deswegen möchte man aus jedem Moment das Beste machen", so Özden.

Sefer Özden (Foto: DW)
Sefer Özden ist "Pendel-Rentner"Bild: DW

Auf der Suche nach einem Stück Heimat

Sefer Özden, der mittlerweile auch den deutschen Pass hat, geht oft ins türkische Männercafé in seiner Nachbarschaft. Hier sucht er ein Stück Heimat. Bei Backgammon und türkischem Tee wird heftig diskutiert - über die türkische Politik, Alltagsthemen und über die Freunde, die nicht mehr am Leben sind. "Viele der Gastarbeiter, die in Fabriken, im Kohlebergbau oder in der Schwerindustrie gearbeitet haben, sind verstorben, bevor sie überhaupt 60 geworden sind. Selbst in diesem Café haben viele gesundheitliche Probleme. Einige haben keinen Magen mehr, einige sind gelähmt. Wenigen von ihnen geht es gesundheitlich gut", erzählt Özden.

Sefer Özden selbst hat immer noch viel Lebensenergie. In seinen jungen Jahren war er politisch sehr aktiv und ging auf viele Demos. Heute passt er sich dem Internet-Zeitalter an. Als dynamischer Senior surft er gerne im Netz und mischt sogar in sozialen Netzwerken mit. "Ich verbringe viel Zeit bei Facebook. Vor zwei Jahren habe ich auch angefangen zu twittern, vor allem über politische Themen", erzählt er. Und das sind nicht seine einzigen Interessen: "Nebenbei lerne ich auch Englisch, löse gerne deutsche Kreuzworträtsel und lese viel."

Die Özdens im türkischen Didim am Meer (Foto: privat)
Ein Strandspaziergang im türkischen DidimBild: privat

Trotzdem: das türkische Obst und Gemüse, seine Freunde, Verwandten - und die Sonne und das Meer fehlen dem Rentner sehr. Er träumt davon, eines Tages doch noch in die Türkei zurückzukehren und seinen Lebensabend in der Heimat zu verbringen.

Autoren: Irem Özgökceler und Basak Özay
Redaktion: Julia Elvers-Guyot