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Demographischer Wandel: Von Japan lernen

Esther Felden (z. Z. aus Tokio)10. November 2015

NRW-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze ist derzeit in Japan. Unter anderem will sie sich darüber informieren, wie Japan sich dem Problem der alternden Gesellschaft stellt, das auch für Deutschland brisant ist.

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NRW-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze in Japan. (Foto: DW/Felden)
Bild: DW/E. Felden

Sein Arbeitsplatz ist der 45. Stock im dritthöchsten Gebäude von Tokio, dem Rathaus. Dort ist Shinichiro Matsuura Touristenführer, er erklärt auf Englisch die Highlights in der Skyline der japanischen Hauptstadt. Ehrenamtlich, denn er ist seit einem Jahr pensioniert. Aber er möchte in Kontakt mit Menschen sein, sagt er. Und außerdem will er sein Englisch nicht einrosten lassen. Das brauchte er früher im Berufsleben täglich, denn Matsuura war bei einem deutschen Unternehmen angestellt. Mehr als 40 Jahre arbeitete er für den Unterwäschehersteller Triumph. "Ich habe Stoffe für BHs entwickelt", erzählt er und lächelt dabei verschmitzt.

Für die nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (Links im Artikelbild) ist die Geschichte von Shinichiro Matsuura in doppelter Hinsicht interessant: Er ist bereits im Rentenalter und repräsentiert damit eine stetig wachsende Bevölkerungsgruppe in Japan. Und als japanischer Akademiker, der für eine deutsche Firma gearbeitet hat, ist er außerdem ein Beispiel für die lange Tradition der bilateralen Verbindungen auf beruflicher Ebene.

Toruistenführer Shinichiro Matsuura. (Foto: DW/Felden)
Toruistenführer Shinichiro MatsuuraBild: DW/E. Felden

Ausbau der Hochschulkooperation

Genau darum, um mehr Zusammenarbeit im wissenschaftlichen Bereich, geht es der SPD-Politikern. Schulze ist derzeit mitsamt einer Delegation von Universitätsprofessoren unterschiedlicher Fachrichtungen unterwegs in Japan. Konkretes Ziel der Reise: Drei neue Kooperationsvereinbarungen zwischen Hochschulen beider Länder abzuschließen. "Zwischen Deutschland und Japan gibt es schon seit 150 Jahren Wissenschaftskontakte, und mit NRW existieren vielfältige wissenschaftliche Kooperationen", so Schulze. "Alle großen Hochschulen haben auch intensive Forschungskontakte nach Japan.” Insgesamt gebe es 560 japanische Unternehmen mit mehr als 31.000 Beschäftigten in Nordrhein-Westfalen. "Das Handelsvolumen beträgt rund 8,5 Milliarden Euro, damit ist Japan auch einer der wichtigsten Wirtschaftspartner von NRW.“

Ein weiterer Schwerpunkt der Reise ist der Austausch über die Forschung zu einem Problem, von dem Deutschland und Japan stark betroffen sind. Es geht um den demografischen Wandel, die alternden Gesellschaften. Japan hat die älteste Bevölkerung der Welt, Deutschland folgt auf Platz zwei.

Ds Rathaus von Tokio. (Foto: DW/Felden)
Ds Rathaus von TokioBild: DW/E. Felden

Roboter statt Krankenschwester und Pfleger?

"Die japanische Gesellschaft ist zwar stärker überaltert als unsere", sagt Schulze. "Aber dafür gibt es in Japan eine andere Technikbegeisterung." Technische Unterstützung, beispielsweise durch Roboter, die in Krankenhäusern eingesetzt werden, sind bereits an der Tagesordnung: So gibt es den von Panasonic entwickelten Transportroboter "Hospi", der Medikamente ausfährt oder Akten transportiert. Auch Roboter, die mit alten Menschen musizieren, werden eingesetzt. "Man ist viel eher bereit, technische Unterstützung in einem Bereich anzunehmen, in dem wir in Deutschland sagen: Das müssen Menschen tun, das geht nur über menschliche Kontakte."

Auch Schulze selbst hat Schwierigkeiten, sich ein solches Szenario in der Praxis vorzustellen. "Ich fände es schon komisch, wenn man anstelle eines pflegenden Menschen nur noch einen Roboter hätte. Aber dass Computer helfen, dass sie ältere Menschen vielleicht in der Freizeitgestaltung unterstützen, das kann ich mir gut vorstellen." So könnte ein Roboter beispielsweise mit Senioren singen und ihnen dadurch vielleicht sogar helfen, sich an längst vergessene Dinge zu erinnern.

Mehr als 40 Jahre arbeitete Shinichiro Matsuura in Japan für den deutschen Unterwäsche-Hersteller Triumph. (Foto: DW/Felden)
Mehr als 40 Jahre arbeitete Shinichiro Matsuura in Japan für den deutschen Unterwäsche-Hersteller TriumphBild: privat

Alarmierende Zukunftsaussichten

"Im Jahr 2020 wird der Anteil der über 65jährigen bei mehr als 30 Prozent liegen", erklärt Juristin Miyoko Motozawa. Die Professorin unterrichtet an der Tokioter Universität Tsukuba Familien- und Sozialrecht. Ihrer Ansicht nach sind auch die Begleiterscheinungen der vergreisenden Gesellschaft alarmierend. "Alte Menschen werden zunehmend von der Gesellschaft und ihren Familien ausgegrenzt." Ein Problem, das sich in der Zukunft weiter verschärfen wird. Nach einer Schätzung des japanischen Gesundheits- und Sozialministeriums aus dem Jahr 2012 wird die Bevölkerungszahl von jetzt 127 Millionen auf 87 Millionen im Jahr 2060 sinken. Der Anteil der über 65jährigen werde dann rund 40 Prozent betragen, heißt es dort.

Gerade hat die erste Generation der geburtenstarken Jahrgänge Japans das Seniorenalter erreicht. Einer von ihnen ist Touristen-Guide Shinichiro Matsuura. Mindestens fünf Jahre möchte er noch weitermachen mit seinen ehrenamtlichen Führungen - bis 2020. Dem Jahr, in dem die Olympischen Sommerspiele in Tokio stattfinden. Darauf freut er sich. Denn dann werden besonders viele Touristen kommen, um vom 45. Stock des Rathauses einen Blick von oben auf die Stadt zu werfen. Er selbst wird dann 70 Jahre alt sein.