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Am Ende der EU

6. September 2009

Sulina ist ein exotischer Ort. Das rumänische Städtchen liegt abgelegen mitten im Donaudelta am Schwarzen Meer. Einst ein florierender Hafen, liegt Sulina heute nicht nur geografisch am Ende Europas. Von Keno Verseck:

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Leuchtturm von Sulina (Foto: dpa)
Der Leuchtturm von Sulina hat bessere Zeiten gesehenBild: DPA

Panait Zachis zieht vergilbte Fotografien aus einer Tüte. Der weißhaarige 82-Jährige wohnt in der Straße Nr. 3, wenige Schritte vom alten Leuchtturm entfernt. Er schwärmt von seiner Kindheit und von der goldenen Zeit der dreißiger Jahre. Damals war Sulina ein Tor zwischen Orient und Okzident. Hier lebten Menschen aus halb Europa, an die 15.000 Leute, dreimal mehr als jetzt. "Ich weiß nicht, ob Sulina noch einmal wird, was es war", sagt Zachis und schüttelt den Kopf. "Damals, mit dieser großen Zahl von Geschäften, Cafés und Kneipen - die Leute hatten Arbeit. Und jetzt? Wir haben nicht mal ein Krankenhaus. Nur die große Zahl der Fischer ist geblieben. Aber mit ihnen kommt Sulina nicht mehr hoch."

Fischer auf dem Donaudelta (Foto: dpa)
Ein Großteil der Bevölkerung lebt vom FischfangBild: DPA

EU-Normen fordern Veränderung

Der Fischgroßhändler Alexandru Cusmin, den jeder in der Stadt nur Sandu nennt, schimpft. Seine Arbeiter, halbstarke Jungs mit herben Gesichtern, laden Fisch aus, Sandu findet, dass sie trödeln. Er ist 38 Jahre alt, schlank und muskulös, gekleidet in Baseball-Mütze und Trainingsanzug. Er ist einer der wenigen größeren privaten Unternehmer in Sulina. In seinem Großhandel arbeiten 14 Leute, vier Dutzend Fischer sind für ihn im Delta unterwegs.

Donaudelta in Rumänien (Foto: dpa)
Seit Rumänien zur EU gehört, müssen sich die Fischer im Donaudelta an neue Regeln gewöhnenBild: DPA

Er sei einmal fast reich gewesen, erzählt er, jetzt lebe er gerade noch einigermaßen gut von dem Geschäft. "Am Anfang war es schön, es gab nicht so viele Gesetze und Beschränkungen beim Fischen und beim Fischhandel", erinnert er sich. "Jetzt ist es schwieriger. Seit dieser Integration mit Europa kommen hier jeden Tag irgendwelche Behörden an und wollen, dass wir alle möglichen Normen erfüllen, aber wir haben nicht das Geld, sie in die Praxis umzusetzen."

Fischen und Tourismus

Touristen- und Fischerboot am Donauufer in Sulina (Foto: dpa)
Neben den Holzbooten der Fischer gibt es einige TouristenbooteBild: DPA

Draußen, vor dem Kühlhaus, am Ufer des Flusses: Ein Holzkahn mit uraltem Dieselmotor quält sich langsam flussaufwärts, drüben, an der Uferpromenade, reihen sich alte Bürgerhäuser aneinander. Allenthalben auch: Hinterlassenschaften der Ceausescu-Zeit. Im Becken des früheren Freihafens rosten alte Fischtrawler vor sich hin, oberhalb der Stadt verfällt die frühere Fabrik für Fischkonserven.

Marius und Veronica Pitic stehen in der Küche ihres kleinen Hauses. Zwei Eheleute, beide Ende dreißig, gestandene Eltern einer siebzehnjährigen Tochter und doch manchmal ausgelassen wie die Teenager. Marius Pitic ist Fischer, Veronica Hausfrau. Sie wohnen und leben bescheiden am Stadtrand von Sulina. Eigentlich mögen sie ihr Leben so wie es ist, sie klagen über nichts. Doch der Fischfang bringt immer weniger ein, deshalb haben die Pitics angefangen, in den Sommermonaten Touristen zu beherbergen. Zwar kommen noch nicht viele Urlauber nach Sulina, doch für ein Nebeneinkommen reicht es allemal. Und vielleicht ist der Tourismus irgendwann ganz die Zukunft der Familie.

Alles etwas langsamer

Pferd steht am Donauufer in Sulina (Foto: dpa)
Sulina - sprichwörtlich das Ende der WeltBild: DPA

Auf einem Baugrundstück am anderen Ende von Sulina, ein paar Meter vom Donauufer entfernt, können Marius und Veronica Pitic ihre Zukunft besichtigen: Hier wird vielleicht schon im nächsten Jahr eine kleine Pension stehen, mit hübschem Vorgarten, Kinderspielplatz und zwei Ponys. Dazu ein Bootsanleger am Donauufer. Und wo soll das Geld für ihren Plan herkommen? Die Pitics wissen es noch nicht.

"Wir würden gern Geld von der EU bekommen", sagt Veronica Pitic. "Aber ich glaube nicht, dass es klappt, denn die Anforderungen für so ein Projekt sind sehr hoch. Nur große Firmen haben Chancen, von den EU-Fonds zu profitieren. Wahrscheinlich werden wir alles aus eigener Kraft aufbauen, auch wenn es etwas länger dauert."

Autor: Keno Verseck
Redaktion: Andreas Ziemons