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Am Tropf des Erdöls

Rafael Heiling31. Mai 2004

Wenn das Erdöl ausgeht, dann trifft das alle im Alltag. In Deutschland werden über 90 Prozent des Öls verfahren, verflogen, verheizt. Aber nur wenige ahnen: Auch bei Tabletten und Teppichen könnte es schwierig werden.

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Noch einige Jahrzehnte, dann könnten die Bohrer ins Leere laufen: Erdöl ist endlich. Dass irgendwann die Autos mit etwas anderem fahren müssen als Benzin, ist klar. Dass dann die Ölheizung ausgedient hat, auch. Die Teilnehmer der "Renewables"-Konferenz in Bonn (1. bis 4. Juni 2004) wollen sich für alternative Energien stark machen. Dabei würde ohne das "schwarze Gold" der gesamte Alltag anders aussehen: "Erdöl ist in über 90 Prozent der Produkte, die organisch und von Menschenhand gemacht sind", sagt Andreas Kirschning, Professor für Organische Chemie an der Universität Hannover.

In der Vitaminpille und im Unkraut-Ex

Das heißt: Erdöl ist "in Teppichböden, in jedem Kunststoff, in jedem Lack, in fast jedem Medikament. Auch in der Kleidung, die man trägt, selbst wenn es Baumwolle ist. Die wurde auch gefärbt und mit Zusätzen behandelt, für die man Erdöl braucht", erklärt Kirschning. Sogar bei der Herstellung von Vitaminpräparaten sei Öl beteiligt. "Und bei Pflanzenschutzmitteln ist es im Prinzip auch so", ergänzt Manfred Ritz, Sprecher beim Verband der Chemischen Industrie (VCI).

Natürlich wird die zähe schwarze Flüssigkeit nicht direkt vom Erdloch weg verarbeitet - aber aus dem Öl werden viele Stoffe gewonnen, die die chemische Industrie braucht, sagt Ritz: "Ohne Erdöl gäbe es BASF nicht mehr und nur noch einen verschwindend geringen Teil der Pharma-Industrie." Laut BASF entfallen vier Prozent des weltweiten Ölverbrauchs auf die Kunststoff-Herstellung.

Kohle wäre ein Ersatz - theoretisch

Pillen
Auch für Tabletten braucht man Stoffe, die aus dem Erdöl kommen.Bild: Bilderbox

Also: Die Gehäuse von Computer, Fernseher und Stereoanlage, Verkleidungen und Karosserieteile vom Auto, Verpackungsfolien, Kopfschmerztabletten und Acrylfarbe - all das müsste man irgendwie anders herstellen. Nur wie?

"Man kann Kohle verflüssigen, daraus Benzin machen und dann die Folgeprodukte gewinnen", erklärt Kirschning gegenüber DW-WORLD. "Südafrika hat dieses Verfahren schon während der Apartheid durchgeführt und fährt damit wohl noch immer ziemlich gut." Das Verfahren habe Deutschland in den 1920er Jahren entwickelt, weiß Ritz: "Aber es ist ein extrem umweltbelastender Prozess." Immerhin seien die Kohlevorräte größer als die Ölvorkommen.

Strom aus Sonne, Diesel aus Gas

Fantastic Plastic World - Kunststoffmesse in Düsseldorf
Jede Menge Plastik - nur mit Öl.Bild: AP

Die Methode, Pflanzen wie Hanf oder Raps als Rundum-Ersatz zu nutzen, hält Kirschning für wenig hilfreich: "Sie bräuchten gigantische Flächen, um den Bedarf zu decken. Und Sie können keine Medikamente, keine Farben daraus machen." Er setzt zumindest in der Transportfrage auf Solartechnik: Mit Sonnen-Energie ließe sich zum Beispiel Wasserstoff gewinnen für Brennstoffzellen und H2-Tankstellen der Zukunft. Solarenergie sei auch am vielseitigsten - "da wird in Zukunft die Technik hingehen müssen".

Shell konzentriert sich auf anderes, sagt Sprecher Rainer Winzenried: "Mittlerweile gibt es Verfahren, Erdgas in Ölprodukte umzuwandeln." In Malaysia betreibe Shell eine Anlage, die das Gas in Diesel umwandeln könne. Und Erdgas gebe es noch reichlich.

Kaum Pläne für danach

Doch Chemie-Konzerne wie Bayer haben noch keine konkreten Szenarien in der Schublade, was zu tun wäre, wenn kein Öl mehr fließt. "Da denkt noch kein Mensch dran", sagt auch Verbandssprecher Ritz. Rainer Winzenried von Shell möchte keine Prognose abgeben: "Die haben immer sowas von total daneben gelegen." Außerdem würden Erdöl-Lagerstätten im Schnitt nur zu 35 Prozent ausgebeutet - werde die Technik da besser, "steigen die Weltölreserven gleich um Millionen Tonnen".

Trotzdem, sagt er: "Am Ende des Tages sind die Ölreserven endlich." Kirschning findet, alternative Energien würden zu langsam entwickelt. Dabei nehme auch in China und Indien der Ölverbrauch drastisch zu: "Es wird knapper."