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Wenn Angst krank macht

8. Juli 2011

Herzrasen, Zittern, Todesangst: Lampenfieber kann sich ganz unterschiedlich äußern. Bei Berufsmusikern kann es sogar chronisch werden und krank machen. Eine Lampenfieberambulanz an der Uni Bonn bietet Hilfe an.

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Junge Frau mit Fieberthermometer (Foto: Fotolia)
Bild: Fotolia/Gina Sanders

Für zahllose Künstler verwandeln sich Konzertpodien oder Theaterbühnen allabendlich in die Hölle. Das Herz rast, die Hände zittern, der Auftritt wird zur Qual. Der Grund: kaum mehr beherrschbares Lampenfieber und der einzige Wunsch, dass die Quälerei so schnell wie möglich aufhören soll.

Dr. Déirdre Mahkorn Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Oberärztin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie (Foto: Uniklinik Bonn)
Dr. Déirdre MahkornBild: Uniklinik Bonn

Dabei möchte Déirdre Mahkorn helfen. Die gebürtige Irin ist Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie und Oberärztin an der Bonner Universitätsklinik. Sie hat selbst lange überlegt, ob sie Sängerin oder Pianistin werden soll, sich dann aber für die Medizin entschieden – und beschäftigt sich jetzt wissenschaftlich mit dem Thema Lampenfieber. Daraus hat sich die Idee entwickelt, eine "Lampenfieberambulanz" anzubieten. DW-WORLD.DE hat Déirdre Mahkorn in ihrer Praxis besucht.

DW-WORLD.DE: Mit welchen Symptomen haben Lampenfieber-Patienten zu kämpfen?

Déirdre Mahkorn: Meistens spüren die Patienten anhand der körperlichen Symptome, dass sie Angst haben. Am Herzrasen, Schwitzen, an Hitzewallungen. Manche Patienten beschreiben auch Kälteschauer, manche sprechen über massive Probleme mit Mundtrockenheit, dann gibt es immer wieder welche, die mit der Atmung Probleme haben und Beklemmungen, Brustschmerzen verspüren. Dann gibt es die sehr unangenehmen psychischen Symptome wie zum Beispiel das Erleben der Umwelt als verschwommen und unrealistisch. Einige sprechen von Panikattacken, auch von Angst vor Kontrollverlust, und dann gibt es in schlimmen Fällen auch das Gefühl der Todesangst, das Gefühl, mir stößt was ganz Schlimmes zu, ich sterbe gleich.

Wie kann man sich diesen Problemen nähern?

Die ersten Gespräche sind gekennzeichnet durch das Sammeln von biografischen Erfahrungen mit Angst. Wir schauen uns an, wie die Prägung im Musikunterricht und im Elternhaus gewesen ist, welche Werte und Erwartungen man da mitbekommen hat. Dann sammeln wir ganz konkrete Angstsituationen und versuchen herauszukriegen, wie das Umgangsmuster damit ist. Aus diesen Erkenntnissen können wir sehr gut an den Gedanken arbeiten, denn jede negative Emotion, die wir haben, hat immer auch einen negativen Gedanken, der diese Emotion verursacht. Die Arbeit an den Gedanken ist deutlich wichtiger, als die Arbeit an den Symptomen.

Welche Therapiemöglichkeiten gibt es, wenn diese Vorarbeit geleistet ist?

Wir Psychiater haben in den letzten Jahren immer mehr die Erkenntnis gewonnen, dass Verhaltenstherapie bei Angsterkrankungen den größten Erfolg verspricht. Es werden Situationen benannt, in denen Angst verspürt wurde, diese Situationen werden gewichtet und besonders schlimme Situationen heraus gegriffen. Jede Situation wird analysiert, und es wird dann eine ganz klare Übungsstrategie entworfen. Das sind sogenannte Konfrontationsübungen. Und dann ist es so, dass man mit zunehmender Routine die Angst nicht mehr so stark spürt oder lernt, souverän damit umzugehen.

Welche Übungsmöglichkeiten gibt es?

Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt Patienten, die sagen: Ich habe maximal Probleme, in einer Grundschule mein Instrument vorzustellen oder in einem Altenheim zu spielen. Dann gibt es welche, die sagen, mir macht das Mühe, wenn es ein kleiner Saal ist, wenn die Leute zu nahe an mich ran kommen. Diese Situationen werden dann bewusst gesucht. Ich habe einen sehr kreativen Patienten gehabt, der sich überlegt hat, dass er ja eigentlich Straßenmusik machen und seine Angststücke auf der Straße spielen könnte. Das hat dazu geführt, dass er richtig gut wurde und seinen Beruf wieder mit Freude ausgeführt hat. Es geht einfach darum, die Vermeidung abzuschaffen und sich den Angstsituationen zu stellen.

Welche Chancen haben die Betroffenen, ihre Angst endgültig zu überwinden?

Die Chancen sind beim hoch motivierten, klugen Patienten, der seine Situation ändern will, sehr gut. Davor steht natürlich immer die Entscheidung, ich stelle mich dieser Therapie, die auch sehr anstrengend, sehr belastend ist. Aber wenn die Entscheidung getroffen ist, ist ja die entscheidende Weiche gestellt, um das Problem abzuschaffen, dann sind die Chancen sehr gut. Es gibt auch Patienten, denen man Medikamente geben muss, wenn die Panikattacken sehr häufig auftreten.

Wie lange dauert die Therapie in der Regel?

Es kommt darauf an, wie betroffen die Patienten sind, wie beeinträchtigt sie sind. Ich hatte Patienten, die nach drei bis vier Stunden mit entsprechenden Informationen ausgerüstet, ganz gut und selbstbestimmt wieder leben konnten. Ich habe auch Patienten, die einmal im Monat zwei bis drei Tage hintereinander kommen und schon gute Fortschritte sehen oder die regelmäßig jede Woche kommen und die dann nach 20 Stunden sagen, jetzt mache ich mal alleine weiter. Die meisten Patienten sind durch die Informationen und die Übungen schnell so selbstbestimmt, dass sie mich nicht mehr brauchen. Und das ist ja das Ziel.

Das Gespräch führte Gudrun Stegen.

Redaktion: Marlis Schaum