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"Amerika geht, aber Teheran bleibt"

20. August 2010

Nach siebeneinhalb Jahren haben die USA ihre Kampftruppen aus dem Irak abgezogen. Haben sie ihre Mission also erfüllt? Die europäische Presse zieht eine eher durchwachsene Bilanz.

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Bild: picture-alliance/dpa

Die französische "Libération" zweifelt auch nach der offiziellen Beendigung des Irak-Kriegs am Sinn dieser Unternehmung:

"Amerika hat den Krieg im Irak gewonnen. (...) Aber kann man wirklich sagen, dass ein Krieg gewonnen ist, wenn er 4.000 Menschenleben der (US-)Koalition und vor allem mindestens 100.000 Menschenleben in der irakischen Bevölkerung gekostet hat, die befreit werden sollte? Wenn 2.300 Milliarden Euro ausgegeben wurden, die sicher anderswo eine bessere Verwendung gefunden hätten? (...) Wenn der neokonservative Traum einer für die Demokratie und für eine israelisch-palästinensische Kompromisslösung offenen Region an den politischen und kulturellen Realitäten des Nahen Ostens gescheitert ist?"

Auch der konservative französische "Le Figaro" zieht eine eher düstere Bilanz:

Die letzten US-Kampftruppen verlassen den Irak (Foto:ap)
Und tschüss! Die letzten US-Kampftruppen verlassen den IrakBild: AP

"Der Abzug der letzten US-Kampftruppen aus dem Irak zeigt nicht so sehr das Ende ihres Einsatzes als vielmehr das Ende der Ära Bush. Doch in Bagdad droht an jeder Straßenecke immer noch der Tod, wie es der jüngste Selbstmord-Anschlag am Dienstag gezeigt hat. Der Konflikt hat in keiner Weise die Beziehungen zwischen der arabisch-muslimischen Welt und den USA verbessert. Und die schöne Vorstellung der Neokonservativen im Weißen Haus, nach dem irakischen Beispiel einen großen demokratischen Nahen Osten aufzubauen, bleibt noch eine Utopie."

Die italienische "La Repubblica" glaubt nicht, dass der Irak einer stabilen Zukunft entgegenblicken kann:

"Der Irak, den gerade die letzten großen US-Kampfeinheiten im Scheinwerferlicht der Fernsehkameras Richtung Kuwait verlassen haben, ist ein Land, in dem viel gewählt worden ist, dem es dabei aber nicht gelingt, eine Regierung zu bilden. Die Spaltungen im Land sind tief und nicht nur auf die drei großen ethnischen Gruppierungen begrenzt. Und vor dem Hintergrund dieser Konflikte agieren Kräfte von außen. (...) Amerika geht also, eines Tages wird es für immer sein, aber Teheran bleibt. Und übt einen Einfluss aus, der schon mit dem derzeit nur teilweisen amerikanischen Abzug nur wachsen kann. Dabei ist das, was von außen auf Bagdad einwirkt, nicht immer entzifferbar. Klar ist aber, dass die Einflüsse dazu beitragen, die Bildung einer Regierung zu verhindern."

Die konservative spanische Zeitung "ABC" meint:

US-Truppen demontieren eine Saddam-Statue in Bagdad (Foto:ap)
Das Saddam-Regime haben die USA gestürzt...Bild: AP

"US-Präsident Barack Obama gestaltete den Abzug der US-Kampftruppen aus dem Irak so diskret, dass dieser fast wie eine Geheimoperation aussah. Die USA müssen aus dem Irak-Krieg eine Lehre ziehen: Es reicht nicht, dass eine Großmacht ihren Feind militärisch besiegt; sie muss ihm auch helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Obama überlässt die Iraker nun ihrem Schicksal. Er will, dass die USA sich auf sich selbst konzentrieren und wenig Neigung zeigen, eine dominierende Rolle in der Welt zu spielen. Andere Mächte mit globalen Ambitionen werden sich darüber freuen."

Die dänische Zeitung "Information" vergleicht den Irak-Krieg mit früheren militärischen Unternehmungen der USA:

"Der Abzug der USA aus dem Irak ist jetzt (...) nach sieben Jahren und 4415 eigenen Gefallenen eingeleitet. Die Verluststatistik ist gegenüber den US-Kriegen in Korea und Vietnam bescheiden, wo das Land 53 000 bzw. 58 000 Soldaten opferte. (...) Alles in allem aber endet dieser Krieg als die Hölle, die Ex-Diktator Saddam Hussein vor seiner Hinrichtung vorhergesagt hat. Dabei sollte er angeblich die nicht existierenden Massenvernichtungswaffen Saddams beseitigen und im Gefolge den Irakern und der ganzen arabischen Welt die Demokratie bringen. Heute steht das Land oben auf der Liste der gefährlichsten Staaten der Welt, die Wirtschaft liegt in Ruinen und der Bürgerkrieg um die drittgrößten Ölreserven der Welt steht vor der Tür."

Die österreichische Tageszeitung "Die Presse" schließlich erinnert an die Skandale, die den US-Einsatz im Irak während der letzten sieben Jahre überschatteten:

Irakischer Polizist nach einem Anschlag in Bagdad (Foto:ap)
...jetzt entlassen sie den Irak in eine ungewisse ZukunftBild: AP

"Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wollte einen billigen, schnellen Krieg, doch es sollte ein langer und teurer werden. (...) Aber die politischen Kosten für die USA wiegen vermutlich noch schwerer: Der Angriffskrieg brachte das Land in die Rolle eines Aggressors, der das Völkerrecht missachtet. Die Bilder von den Häftlingsmisshandlungen im Gefängnis von Abu Ghraib durch amerikanische Soldaten, ein Video von der Exekution eines verwundeten Aufständischen während der Offensive in Fallujah - all das hat die Glaubwürdigkeit der Vereinigten Staaten in Sachen Menschenrechte schwer untergraben.

Was steht auf der Haben-Seite? Zweifellos das Ende der Saddam-Hussein-Diktatur. (...) Doch warum die USA nicht versucht haben, Saddam Hussein ohne Krieg aus Bagdad zu vertreiben, wird man nie erfahren."

Zusammengestellt von Thomas Latschan
Redaktion: Diana Hodali