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Jüdische Lobby-Gruppen

10. November 2009

Der Frieden im Nahen Osten wird durch jüdische Lobby-Gruppen in den USA zerstört, meint der Politologe John Mearsheimer. Doch die Lage ist komplexer. Das zeigt ein Kongress der jüdischen Gemeinden in Washington.

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Orthodoxe Juden vor einem Bus in New York (Foto: picture-alliance, dpa)
Orthodoxe Juden in New York: Nur ein Teil einer sehr pluralistischen GemeindeBild: picture-alliance / dpa

Es war nicht irgendein Tag, an dem Benjamin Netanjahu das Weiße Haus betrat. Es war der Jahrestag der Reichspogromnacht. Der Nacht, in der 1938 überall in Deutschland Synagogen brannten und der Schrecken des Holocaust begann.

Über 3000 Vertreter der jüdischen Gemeinden der USA blickten voller Spannung auf das Weiße Haus. Denn zeitgleich traf sich der wichtigste Dachverband jüdischer Organisationen in den USA, die "Jewish Federations of North America". Zu dem Kongress waren Vertreter der verschiedenen Strömungen des Judentums gekommen. Man konferierte in einem Tagungshotel in Washington D.C., zwei Meilen nördlich von Obamas Residenz.

Besonders wichtig ist den amerikanischen Juden die Sicherheit des jüdischen Volkes. Und auch in der US-amerikanischen Diaspora bedeutet das: Die Sicherheit Israels.

Obama darf seine jüdischen Wähler nicht enttäuschen

Benjamin Netanjahu nach seinem Besuch im Weißen Haus (Foto: ap)
Netanjahu in Washington: Israels Sicherheit ist auch für Juden in den USA wichtigBild: AP

Eigentlich sollte Obama auf dem Kongress sprechen, doch wegen der Trauerfeier nach dem Amoklauf in Fort Hood änderte er seine Pläne. So kam es nur zu einem Treffen hinter verschlossenen Türen mit Netanjahu. Und auch wenn die Atmosphäre zwischen den beiden Spitzenpolitikern äußerst unterkühlt gewesen sein soll und Obama auf eine gemeinsame Pressekonferenz verzichtete - eines hob der US-Präsident deutlich hervor: Das Engagement für die Sicherheit Israels.

Obama weiß, wie wichtig solche Äußerungen sind. Sie gelten auch der jüdischen Gemeinde seines Landes. Rund 80 Prozent der jüdischen US-Amerikaner haben ihn vor einem Jahr gewählt. Zuletzt aber drohte die Stimmung zu kippen. Nachdem der Präsident einen totalen Siedlungsstopp von Israel verlangt hatte, fragte man sich in der jüdischen Gemeinde, ob Obama nicht zu viel von den Israelis verlange und damit die Sicherheit des Landes gefährde.

Vor einer Woche schwenkte die US-Regierung um. Da kam Außenministerin Hillary Clinton den Israelis ein großes Stück entgegen: Ein Siedlungsstopp der Israelis sei keine Vorbedingung mehr für die Aufnahme von Friedensverhandlungen. Woher kam dieser Wandel Obamas?

Mearsheimer: Obama wurde vorgeführt

Zumindest für John. J. Mearsheimer ist die Antwort ein klarer Fall. Der Politikwissenschaftler lehrt an der University of Chicago und ist Autor des kontroversen Buches "The Israel Lobby". Die pro-israelische Lobby in den USA, so Mearsheimers Analyse, habe Obama vorgeführt und ihn dazu gebracht vor ihr zu kapitulieren. "Hier bringt eine Interessensgruppe den amerikanischen Präsidenten dazu für eine Politik einzutreten, die er selbst nicht für richtig hält." Die pro-israelische Lobby in den USA, so Mearsheimer, sei mächtiger als jeder amerikanische Präsident. Daran habe auch Obama nichts geändert.

Mearsheimer ist bekannt für seine provokanten Äußerungen. Gemeinsam mit Stephen Walt hatte er 2007 in seinem Buch die These vertreten, jüdische Interessensgruppen in den USA übten massiven Einfluss auf die finanzielle, politische und militärische Unterstützung Israels durch die Vereinigten Staaten aus. Diese Interessensgruppen nannten sie die "Israel Lobby", was eine lose Koalition aus Intellektuellen, Entscheidungsträgern und Interessensgruppen bezeichnen sollte, deren Einfluss sich auf Politiker, politische Analysten und Journalisten erstrecke.

Damit lösten die beiden Wissenschaftler eine Kontroverse in der amerikanischen Publizistik aus wie es sie seit Samuel P. Huntingtons "Clash of Civilizations" nicht mehr gegeben hatte und sahen sich - was wenig erstaunte - dem Vorwurf des Antisemitismus ausgesetzt. Der Bonner Politikwissenschaftler Tim Maschuw hat in einem Buch eine Antwort auf "The Israel Lobby" geschrieben und das Werk kritisiert. Sein Urteil: "Die Leitlinien der Politik werden immer noch im Weißen Haus entworfen und nicht bei den Lobbys."

Progressive Kräfte befürworten Zweistaatenlösung

Hauptkritik am Buch von Mearsheimer und Walt: Sie zeichnen ein recht einseitiges Bild der Lobbyorganisationen. Doch die jüdischen Amerikaner sind alles andere als einheitlich. Die "Jewish Federations of America" etwa, bestehen aus 157 jüdische Vereinigungen und 400 unabhängigen Gemeinden. Und hier finden sich neben liberalen Gemeinden auch Orthodoxe, neben konservativen Lobbyvertretern auch junge, progressive Kräfte.

Jüdischer Laden nach der Reichspogromnacht in Deutschland (Foto: ap)
Jüdischer Laden nach Reichspogromnacht: Das Streben nach SicherheitBild: AP

Zu diesen progressiven Gruppen zählt "J-Street", eine noch junge Lobbygruppe, die Israel zum Teil scharf für seine Siedlungspolitik kritisiert – und damit bei den etablierten Lobbygruppen wie Aipac, wie der Anti Defamation League oder dem American Jewish Committee auf höchste Ablehnung stößt. Die Organisation selbst bezeichnet sich als dezidiert "pro-israelisch" und als "pro-peace". J-Street versteht sich als Friedensorganisation und befürwortet eine Zweistaatenlösung. Und wie die anderen jüdisch-amerikanischen Lobbygruppen versucht auch sie auf den außenpolitischen Kurs der USA einzuwirken.

Bereits 18 Monate nach seiner Gründung konnte J-Street ein Budget von 3 Millionen Dollar und 22 feste Mitarbeiter vorzeigen. Zwar ist dies nicht viel im Vergleich zu den 70,6 Millionen Dollar von Aipac, aber auch hier wird Lobbyarbeit betrieben. So unterstützte J-Street bei den Kongresswahlen 2008 mit einer Million Dollar Kandidaten, die sich für einen Frieden im Nahen Osten einsetzen wollten. Im Oktober hielt J-Street seine erste nationale Konferenz ab, an der sich elf weitere Friedensgruppen beteiligten, darunter etablierte Organisationen wie Americans for Peace Now, das Israel Policy Forum und der New Israel Fund.

Obama braucht die Einigung - auch bei den Juden der USA

Neben den konservativen Kräften, auf die sich Mearsheimer bezieht, mischen sich also weitere Lobbygruppen ins Spiel. US-Präsident Obama trägt dem Rechnung. Als er im Juni die Vorsitzenden von 16 jüdischen Organisationen zu einem Gespräch einlud, standen auf der Liste auch Vertreter der progressiven Gruppen. Und obwohl er nicht zum Kongress der jüdischen Gemeinden in Washington kam, lud Obama am Dienstag verschiedene Vertreter zu sich ins Weiße Haus. Damit bemüht er sich um eine Einigung unter den US-amerikanischen Juden. Eine Einigung benötigt er auch zwischen Israelis und Palästinensern.

Obama braucht einen Friedensvertrag, die Staaten Israel und Palästina Seite an Seite. Im Prinzip kann er sich dabei auf die Unterstützung der amerikanischen Juden verlassen. "J-Street" führte eine Umfrage durch: Rund 76 Prozent der amerikanischen Juden befürworten eine Zweistaatenlösung.

Autorin: Sarah Judith Hofmann

Redaktion: Benjamin Hammer/ako