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Islamophobie auf dem Vormarsch

Christoph Hasselbach25. April 2012

Kopftuchträgerinnen haben bei vielen Arbeitgebern keine Chance, beklagt Amnesty International (AI). Die Organisation wirft der Politik vor, die Augen vor der Benachteiligung von Muslimen zu verschließen.

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Frauen demonstrieren in Brüssel gegen Koptuchverbote (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Amnesty International hat für seinen Bericht besonders fünf Länder in Europa unter die Lupe genommen: Belgien, Frankreich, die Niederlande, Spanien und die Schweiz. Dass Diskriminierung in allen diesen Ländern stattfindet, ist sicher keine Überraschung. Doch, so John Dalhuisen, der Europa-Chef von Amnesty, "bei Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe besteht immerhin ein gesellschaftlichen Konsens darüber, dass sie unannehmbar ist. Das gilt aber nicht für Diskriminierung aufgrund des Glaubens und das vor allem, wenn es um den Islam geht." Eigentlich steht in jeder europäischen Verfassung, dass niemand wegen seiner Herkunft und eben auch nicht wegen seines Glaubens benachteiligt werden darf. Doch schon in der Schweiz vermisst Amnesty “angemessene Gesetze gegen Diskriminierung“. Das Hauptproblem in den meisten Ländern sind aber nicht fehlende Gesetze, meint Dalhuisen. Diese hätten sich als ziemlich zahnlos erwiesen - "nicht weil die Gesetze schlecht wären, sondern weil diese Diskriminierung weitgehend geduldet wird".

Schaden Kopftuchträgerinnen dem Unternehmensimage?

Beispiel Arbeitswelt. Marco Perolini, bei Amnesty zuständig für das Thema Diskriminierung und Mitautor des Berichts, sieht einen Trend in Europa. Danach versuchen Arbeitgeber gar nicht mehr, sich beim Umgang mit Muslimen hinter Ausflüchten zu verstecken. Viele Muslime mit Bart hätten bei Bewerbungsgesprächen von vornherein keine Chance. Bei Frauen sei es das Kopftuch. Potenzielle Arbeitgeber sagten ihnen offen, sie erfüllten alle Anforderungen für die Stelle, sie könnten sie aber trotzdem nicht bekommen, wenn sie nicht ihr Kopftuch ablegten. "Private Arbeitgeber behaupten", sagt Perolini, "dass Arbeitnehmerinnen, die ein Kopftuch tragen, Kunden oder Kollegen verunsichern könnten oder dass sie nicht zum Unternehmensimage passten."

Hajare Boujitat (r.) und John Dalhuisen (Foto: AP/dapd)
Dalhuisen, Boujitat: ständiger RechtfertigungsdruckBild: AP

“Das ist doch nicht normal!“

Davon kann Hajare Boujitat ein Lied singen. Die junge Muslimin ist belgische Staatsbürgerin und trägt Kopftuch. Amnesty hat sie eingeladen, um von ihren Erfahrungen zu berichten. Sie hatte sich für ein Berufspraktikum bei einer karitativen Organisation beworben. Deren Namen möchte sie lieber nicht nennen. Erst wurde sie im Bewerbungsgespräch abgewiesen, ganz offen wegen des Kopftuchs. Schließlich klappte es doch. Aber was dann folgte, hätte sich die junge Frau vorher nicht träumen lassen. "Eine kühle Atmosphäre, als ich kam. Viele Kollegen wollten nicht mit mir reden; manche betrachteten mich gar nicht als Kollegin und sagten auch ganz klar: 'Mit der arbeite ich nicht zusammen.'" Es wurde für Boujitat kein Einzelfall. Sie hat sich trotzdem durchgebissen, gibt aber zu, nicht jeder halte ein solches Spießrutenlaufen durch. Sie ruft die belgische Politik auf, das Diskriminierungsverbot ernst zu nehmen, und an die Muslime appelliert sie, auf ihren Rechten zu bestehen. "Das ist doch nicht normal! Das ist nicht das, was ich vom täglichen Zusammenleben unter Kollegen erwarte."

Düstere Aussichten

Das Tragen religiöser oder kultureller Symbole gehört für Amnesty zu den Grundrechten. Einschränkungen müssten sehr gut begründet und angemessen sein. Ein generelles Verbot für das Tragen der Burka in der Öffentlichkeit, wie in Frankreich und Belgien, lehnt Amnesty ab. Hajare Boujitat regt sich auch deshalb so auf, weil sie sich durch Fragen nach ihrem Kopftuch unter ständigem Rechtfertigungsdruck sieht. Der Frager vermute, sie werde instrumentalisiert. "Als wenn ich nicht intelligent genug wäre, das selbst zu entscheiden! Ich lehne es ab, nur über mein Kopftuch definiert zu werden." Die junge Frau macht sich keine Illusionen über die Zukunft. Sie befürchtet, dass das Klima für Muslime in Europa eher noch schlechter wird. Der jüngste Wahlerfolg der Nationalen Front in Frankreich macht ihr Angst. Und auch Amnesty International konstatiert, Politiker würden nicht nur nichts gegen antimuslimische Vorurteile unternehmen, im Kampf um Wählerstimmen förderten sie sie sogar.

Marine Le Pen (Foto: Reuters)
Europäischer Trend: der Aufstieg der Nationalen Front unter Marine Le PenBild: Reuters