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Andere Umstände

19. Dezember 2015

Schwanger zur Unzeit: Das verbindet Maria und ihre Verwandte Elisabeth. Aber ihre Begegnung ist mehr. Sie öffnet die Frauen für das Eingreifen Gottes in ihrem Leben, so Hildegard König von der katholischen Kirche.

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Hausalter Szenen aus dem Leben der Jungfrau Maria
Elsheimer, Adam; 1578-1610. 'Hausaltar mit sechs Szenen aus dem Leben der Jungfrau Maria' (Krönung, Verkündigung, Christi Geburt, Heimsuchung, Anbetung der Könige, Tod Mariä)Bild: picture-alliance/akg-images

Teenager wird Mutter – Sechzigjährige schwanger. Solche Schlagzeilen sind gelegentlich in Zeitungen zu lesen. Mal stehen sie dick auf der ersten Seite, mal eher hinten unter „Vermischtes“. Schwangerschaft zur Unzeit. Die eine zu früh, die andere zu spät und offensichtlich erwähnenswert. Erste Frage, wenn mir so etwas unter die Augen kommt: Ja, muss das denn sein? Zweite Frage: Warum steht so etwas in der Zeitung? - Irgendwas ist dran an dem Thema, auch in einer Gesellschaft, in der jede und jeder sein Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten kann und muss.

Ehre und Scham im Körper der Frau verankert
Anderswo ist und zu anderen Zeiten war das anders: Wo gesellschaftliche Werte in die Koordinaten von Ehre und Scham eingeschrieben sind, und Ehre und Scham im Körper der Frauen verankert werden, wird eine Schwangerschaft zur Unzeit zum Aufreger. Mag man der alten Schwangeren vielleicht mit Unverständnis und Spott begegnen, trifft die junge Schwangere, zumal wenn sie unverheiratet ist, soziale Ächtung und Strafe.

Im Evangelium des heutigen Sonntags begegnen uns im ersten Kapitel nach Lukas zwei solcherart schwangere Frauen. Genauer gesagt: Sie begegnen einander. Die junge, ledige Maria, gerade erst schwanger geworden, macht sich auf zu ihrer alten Verwandten Elisabeth, die im 6. Monat ist.

Schwangerschaftserfahrung als theologische Einsicht
Maria weiß von der Schwangerschaft der Verwandten, Elisabeth dagegen weiß nichts von Marias Schwangerschaft. In dem Moment, wo die beiden Frauen zusammenkommen, spürt Elisabeth etwas, was in diesen Umständen ganz normal ist, nämlich, dass das Kind in ihrem Leib strampelt. Und diese ganz normale Schwangerschaftserfahrung eröffnet ihr eine hochtheologische Einsicht: Das junge Mädchen vor ihr ist ebenfalls werdende Mutter, und zwar Mutter ihres Herrn. In der Sprache der Bibel ist Herr ein Gottestitel. Sie nennt Maria also „Gottesmutter“.

Maria wehrt diese Aussage nicht ab, vielmehr antwortet sie mit einem Gotteslob, wie es in Israel von Alter her gebetet wird: Was sie am eigenen Leib erfährt, deutet sie als Eingreifen Gottes, ein Eingreifen, das die Umstände in der Welt umkehrt zugunsten der Niedrigen, Armen und Hungrigen, also der Unbedeutenden und an den Rand Gedrängten, vor allem auch der Frauen.

Was wir zur hören und zu lesen bekommen, ist kein Tatsachenbericht, sondern ein kunstvoll komponierten Stück Literatur, in dem der Verfasser seinen Glauben und seine Hoffnung auf den Messias kundtut, auf den Messias, der für ihn das sichtbare Antlitz des ganz verborgenen und unbegreiflichen Gottes in der Welt ist.

Gottes Zuwendung zur Welt
Die Bibel ist voll von solchen Geschichten über Gott und die Welt, und die ganz große Erzählung, die darin vermittelt wird, will sagen: Die Welt kann noch so chaotisch sein, die Menschheit noch so gewalttätig und verdorben, Gott wendet sich nicht ab mit Grausen, sondern bleibt ihr zugewandt. Zuwendung, Zuneigung und Verzeihen sind göttliche Eigenschaften. Die Bibel fasst das im Wort „Barmherzigkeit“ zusammen. Und von dieser Barmherzigkeit haben die Frauen, Maria und Elisabeth, eine Ahnung.

Maria betet: Barmherzig ist er…. allen, die ihn fürchten (Lk 1,50). Also allen, die mit Gott rechnen, wird seine Barmherzigkeit erfahrbar. – Allen, nicht nur den Anständigen und Frommen, den Fitten und Leistungsfähigen, sondern auch und vor allem denen, die nicht auf sich selbst stolz sein können. Denn eines ist klar: Wer nicht auf sich selbst zählen kann und in der Welt nichts zählt, muss, wenn er bestehen will, mit Barmherzigkeit rechnen, sei sie nun göttlich oder menschlich.

Das nehme ich mit als Impuls in die Woche. Wenn ich wieder mal meine eigenen Grenzen erfahre und mich überfordert fühle, wenn Stress und Ärger mir zusetzen und meine kleine Welt oder die ganze große aus dem Ruder zu laufen droht, dann versuche ich inne zu halten. Vielleicht ist das genau der Moment, in dem etwas von göttlicher und menschlicher Barmherzigkeit bei mir ankommen will.

Prof. Dr. Hildegard König, Chemnitz
Prof. Dr. Hildegard König, ChemnitzBild: Hildegard König

Zur Autorin: Prof. Dr. Hildegard König hat in Tübingen katholische Theologie und Germanistik studiert. Ein Schwerpunkt ihrer Forschung liegt im Bereich „Alte Kirchengeschichte und Patristik“. Nach einem Studienaufenthalt in Rom lehrte sie an den Universitäten Luzern, Frankfurt, Tübingen und an der RWTH Aachen. Nach einer Gastprofessur an der LMU München arbeitet sie seit 2011 als Professorin für Kirchengeschichte an der Technischen Universität Dresden. Darüber hinaus ist sie als freie Dozentin tätig.

Kirchliche Verantwortung: Dr. Silvia Becker, Katholische Hörfunkbeauftragte